Materialaktionist, Revolutionär - und vorbestraft
Der Wiener Aktionskünstler Otto Muehl wollte Kunst und Leben verbinden und gründete mit Gleichgesinnten eine Kommune. Auch Toni Elisabeth Altenberg lebte 18 Jahre lang dort. Er war sicher ein wichtiger Künstler, sagt sie - "aber was er mit den Kindern gemacht hat, das ist auf jeden Fall zu verurteilen".
Liane von Billerbeck: Der Wiener Aktionskünstler Otto Muehl ist gestorben, gestern im Alter von 87 Jahren. Er wollte Kunst und Leben verbinden und gründete mit Gleichgesinnten eine Kommune, die er "Aktionsanalyse" nannte. Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, die Kleinfamilie also abgeschafft, das Privateigentum ebenfalls, und freie Sexualität propagiert. Toni Elisabeth Altenberg war 18 Jahre lang in Otto Muehls Kommune, die sich nach ihrer Ausbreitung von Wien nach Berlin, Düsseldorf, München, La Gomera und Faro in Portugal "AAO" nannte, also "Aktionsanalytische Organisation". Doch die angeblich freie Sexualität hatte Schattenseiten, es war auch sexualisierte Gewalt, für die Otto Muehl wegen Vergewaltigung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Zu seinem 85. Geburtstag vor zwei Jahren wurden Otto Muehls Arbeiten im Wiener Museumsquartier ausgestellt und wieder gab es heftige Debatten um Muehl und die Frage, ob Kunst und Leben zu trennen seien. Toni Elisabeth Altenberg ist jetzt am Telefon, Frau Altenberg, ich grüße Sie!
Toni Elisabeth Altenberg: Guten Tag!
von Billerbeck: Wie kamen Sie zu Otto Muehl und dessen Kommune?
Altenberg: Ich habe Otto Muehl schon vor der Kommune kennengelernt, ich habe damals in Wien gewohnt, der Wiener Aktionismus war eine bekannte Kunstrichtung in Österreich. Und das wurde jetzt in Ihrem Vorwort sehr kurz zusammengefasst, ich halte das schon für eine wichtige und bedeutende Kunstrichtung, die mich damals auch sehr fasziniert hat.
von Billerbeck: Das war also eher die Kunst Otto Muehls, die Sie angezogen hat?
Altenberg: Zunächst ja. Es gab ja damals noch keine Kommune. Und wie ich Otto persönlich dann kennengelernt habe, da bestand die Kommune aus sechs Leuten, es war also etwas, was es in Wien viel gab und überall auch, in den USA, in Deutschland, Kommunen waren ja damals sehr "in". Viele Leute haben Kommunen gegründet, ich selber habe auch in meiner Wohnung immer mit Leuten zusammengewohnt und habe mich dann dieser Kommune angeschlossen.
von Billerbeck: Was war es besonders, was Sie da angezogen hat an dem Künstler und an dem Menschen Otto Muehl?
Altenberg: Also, er war viel älter als die meisten anderen, er war 20 Jahre älter als ich, einige waren noch jünger als ich. Er war durchaus eine interessante Persönlichkeit, obwohl man sein Machtstreben auch schon ahnen konnte. Aber das ist eine Sache, die sich auch aus einer Gruppendynamik ergibt.
von Billerbeck: Wenn man 18 Jahre in so einer Gruppe lebt, dann muss ja die Anziehung stark gewesen sein, Sie haben ja auch ein Buch darüber geschrieben. Was war es, das diese Faszination ausgemacht hat, das Sie in dieser Gruppe so lange bleiben ließ?
Altenberg: Ja, die Gruppe bestand ja nicht nur aus Otto Muehl, sondern aus vielen Menschen, mit denen ich zusammengelebt habe wie eine große Familie, mit denen ich gemeinsam - wir hatten ja auch gemeinsame Sexualität, gemeinsames Eigentum, wir hatten Kinder, wir hatten eine gemeinsame Schule -… also, die Bindung, die ich hatte, war ja an viele Menschen, mit denen ich da zusammengelebt habe. Und was sich später daraus entwickelt hat, das ist so ganz allmählich entstanden. Wir waren ja anfangs…, wir sind ja mit sehr viel Idealismus darangegangen, wir wollten zur bestehenden Gesellschaft ein Gesellschaftsmodell…, etwas Neues ausprobieren, was allerdings dann ziemlich gescheitert ist.
von Billerbeck: Also eine Alternative zur Kleinfamilie, das Gemeinschaftsleben, eine neue Art zu leben. Das entsprach ja auch dem Zeitgeschmack, das haben ja viele probiert.
Altenberg: Ja, genau.
von Billerbeck: Trotzdem fragt man sich, wo ist der Punkt, wo aus dieser Gemeinschaft eine hierarchisch organisierte Gruppe wird, um nicht Sekte zu sagen, eine ja geradezu totalitäre Herrschaft entsteht? Was ist dieser Punkt, wo das kippt?
Altenberg: Also, "Punkt" kann man nicht sagen, es ist nicht an einer Stelle gekippt, es ist ganz allmählich dazu übergegangen. Ein wichtiger Schritt war die Ökonomie. Wir waren…, am Anfang haben wir gelebt von Einzugsgeldern, von Leuten, die eingezogen sind, alles mitgebracht haben, was sie hatten. Und wir hatten immer genug Geld. Irgendwann haben wir keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen - der Grund war, dass Aids aufkam. Und ab dem Moment war es mit unserer Ökonomie… – wir haben zwar Handwerksbetriebe gehabt, wir haben biologische Landwirtschaft, aber davon kann man so eine große Gruppe mit eigener Schule nicht erhalten, wir wären fast pleite gegangen. Und dann haben wir angefangen, in den Stadtgruppen Versicherungen, Finanzierungen, Lebens-, Krankenversicherungen zu verkaufen und haben damit sehr viel Geld verdient. Aber das hat die Gruppe sehr verändert, das hat eine völlig neue Sache hineingebracht. Auf einmal war Geldverdienen wichtig und es wurde dann immer rigider. Das hat das sehr verändert.
von Billerbeck: Das heißt, das eigentliche Gesellschaftsmodell, das Sie angezogen hat und viele andere Menschen ja auch angezogen hat, dieses Gemeinschaftsmodell, das wurde dadurch aufgebrochen und kippte so langsam, und aus dieser Gemeinschaft wurde eben etwas anderes.
Altenberg: Ja.
von Billerbeck: Wie haben Sie das erlebt?
Altenberg: Ja, das habe ich schon als Unterdrückung erlebt, wobei ich heute … Damals habe ich das vielleicht anders gesehen. Wenn ich das so aus der Ferne von heute betrachte, es ist ja doch lange her, muss ich sagen, dass ich auch viel dazu beigetragen habe, das einfach immer mitzumachen und nicht zu sagen: "Halt, so geht das nicht." Das ist aber sehr allmählich und in winzigen Schritten gegangen, sodass man immer mehr korrumpiert wurde und sich immer mehr gefallen hat lassen und das gar nicht so wahrgenommen hat: Wann ist es denn eigentlich passiert. Irgendwann war man da drin und wusste gar nicht, …
von Billerbeck: … wie es dazu gekommen ist?
Altenberg: … wie es dazu gekommen ist! Im Rückblick ja, aber damals hat man einfach darin gelebt und … Es war ja nicht nur Totalitäres, wir haben ja auch viele schöne Sachen gemeinsam erlebt.
von Billerbeck: Trotzdem ist das, was in der Öffentlichkeit gerade hierzulande über Otto Muehl gesagt wird: Da ist einerseits der Künstler, aber trotzdem einer, dessen Werk ja auch immer einen Fleck hat, weil er eben wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen hat, weil sexueller Missbrauch ein Thema war, Demütigung von Kindern. Sie hatten selber einen Sohn, die Eltern und Kinder wurden ja getrennt, also jedenfalls im Sinne der Kleinfamilie, die Gemeinschaft war da.
Altenberg: Ja, richtig.
von Billerbeck: Wie haben Sie das erlebt, hatten Sie nicht Sehnsucht nach dem Sohn, haben Sie sich nicht verlassen gefühlt, wenn Sie ihren Sohn nur einmal im Monat sehen konnten?
Altenberg: Also, mein Sohn war acht Jahre alt, bei anderen Müttern ist das ja viel früher passiert. Und natürlich habe ich Sehnsucht gehabt, er auch nach mir. Aber es war auch diese … Wir hatten ja die Schule am Friedrichshof, die musste finanziert werden, und am Friedrichshof in Österreich wurde nichts verdient, da wurde nur Geld ausgegeben. Und es haben sich dort immer mehr Mütter mit Kindern angesammelt und in den Städten waren immer mehr Männer, je mehr Kinder wir bekamen. Und es war auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit damals. Die Kinder so früh zu trennen, wie es später geschehen ist, das war etwas, das war also schon ziemliche Willkür.
von Billerbeck: Wie hat das denn Ihr Sohn erlebt, dass da auch Demütigungen und sexualisierte Gewalt gegen Kinder stattgefunden hat?
Altenberg: Na ja, mein Sohn hat mit mir nach der Kommune … er ist dann mit 15 Jahren, wie er 15 war, ist er dann zu mir gekommen, wir haben dann zusammen gelebt und er hat mir sehr viel erzählt darüber. Vieles habe ich auch nicht gewusst und wir hatten eine intensive Auseinandersetzung darüber, was da abgelaufen ist und wie er das erlebt hat. Er war natürlich sehr kritisch. Er hat sich aber immer gewehrt, er hat zu den wenigen gehört, die sich wirklich nichts gefallen haben lassen. Und er hat immer opponiert gegen Otto Muehl.
von Billerbeck: Es gab irgendwann den Punkt, als Sie diese Gruppe verlassen haben. War das auch wieder so ein Punkt, wo klar war, hier ist Schluss, oder war das ein langsames Hinausgehen, dass man sich dann irgendwann sagt, das lässt du nicht mehr mit dir machen?
Altenberg: Ja, das würde ich eher so sagen, das war lang, das ging langsam, da war schon dieser Prozess gegen Otto Muehl am Laufen, was allerdings in der Kommune geheim gehalten wurde, das hat man erst sehr spät erfahren, dass das läuft. Aber ich habe einfach immer mehr gemerkt, das stimmt alles nicht und wir sind da immer nur am Arbeiten und immer heißt es nur: Wir machen das alles für unsere Kinder, damit es denen mal besser geht. Und ich habe gemerkt immer mehr, das stimmt alles so nicht. Aber man trennt sich nicht so leicht, so wie man auch in einer Ehe vielleicht schon lange nebeneinander herlebt und eigentlich funktioniert nichts mehr, aber den Schritt zu wagen sich zu trennen, ist immer schwer, weil auch eine Bindung war. Nicht an Otto Muehl, aber es waren ja viele Freunde und wir haben auch heute noch untereinander eine starke Bindung. Immer noch.
von Billerbeck: Es wird ja immer sehr unterschieden zwischen dem Otto Muehl, der da ein Hierarch war und Gewalt ausgeübt hat in der AAO, und dem Künstler Otto Muehl. Hierzulande würde das nicht so getrennt werden, glaube ich. Ist das ein österreichisches Ding, dass man sagt, ja, aber er war ein großer Künstler, mag er wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen haben und da vielen Menschen auch Böses getan haben?
Altenberg: Ja, das ist, weiß ich nicht, ob das wirklich in Deutschland anders wäre, das kann ich nicht sagen. Das liegt vielleicht auch am Kunstmarkt, mit Kunst ist ja auch Geld zu verdienen, das kann ich nicht sagen. Er war sicher als Künstler ein wichtiger Künstler, das glaube ich schon, aber was er mit den Kindern gemacht hat, das … Das ist auf jeden Fall zu verurteilen.
von Billerbeck: Toni Elisabeth Altenberg war das. 18 Jahre war sie in der AAO von Otto Muehl. Der Wiener Aktionskünstler ist gestern mit 87 Jahren gestorben. Danke Ihnen für das Gespräch!
Altenberg: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Toni Elisabeth Altenberg: Guten Tag!
von Billerbeck: Wie kamen Sie zu Otto Muehl und dessen Kommune?
Altenberg: Ich habe Otto Muehl schon vor der Kommune kennengelernt, ich habe damals in Wien gewohnt, der Wiener Aktionismus war eine bekannte Kunstrichtung in Österreich. Und das wurde jetzt in Ihrem Vorwort sehr kurz zusammengefasst, ich halte das schon für eine wichtige und bedeutende Kunstrichtung, die mich damals auch sehr fasziniert hat.
von Billerbeck: Das war also eher die Kunst Otto Muehls, die Sie angezogen hat?
Altenberg: Zunächst ja. Es gab ja damals noch keine Kommune. Und wie ich Otto persönlich dann kennengelernt habe, da bestand die Kommune aus sechs Leuten, es war also etwas, was es in Wien viel gab und überall auch, in den USA, in Deutschland, Kommunen waren ja damals sehr "in". Viele Leute haben Kommunen gegründet, ich selber habe auch in meiner Wohnung immer mit Leuten zusammengewohnt und habe mich dann dieser Kommune angeschlossen.
von Billerbeck: Was war es besonders, was Sie da angezogen hat an dem Künstler und an dem Menschen Otto Muehl?
Altenberg: Also, er war viel älter als die meisten anderen, er war 20 Jahre älter als ich, einige waren noch jünger als ich. Er war durchaus eine interessante Persönlichkeit, obwohl man sein Machtstreben auch schon ahnen konnte. Aber das ist eine Sache, die sich auch aus einer Gruppendynamik ergibt.
von Billerbeck: Wenn man 18 Jahre in so einer Gruppe lebt, dann muss ja die Anziehung stark gewesen sein, Sie haben ja auch ein Buch darüber geschrieben. Was war es, das diese Faszination ausgemacht hat, das Sie in dieser Gruppe so lange bleiben ließ?
Altenberg: Ja, die Gruppe bestand ja nicht nur aus Otto Muehl, sondern aus vielen Menschen, mit denen ich zusammengelebt habe wie eine große Familie, mit denen ich gemeinsam - wir hatten ja auch gemeinsame Sexualität, gemeinsames Eigentum, wir hatten Kinder, wir hatten eine gemeinsame Schule -… also, die Bindung, die ich hatte, war ja an viele Menschen, mit denen ich da zusammengelebt habe. Und was sich später daraus entwickelt hat, das ist so ganz allmählich entstanden. Wir waren ja anfangs…, wir sind ja mit sehr viel Idealismus darangegangen, wir wollten zur bestehenden Gesellschaft ein Gesellschaftsmodell…, etwas Neues ausprobieren, was allerdings dann ziemlich gescheitert ist.
von Billerbeck: Also eine Alternative zur Kleinfamilie, das Gemeinschaftsleben, eine neue Art zu leben. Das entsprach ja auch dem Zeitgeschmack, das haben ja viele probiert.
Altenberg: Ja, genau.
von Billerbeck: Trotzdem fragt man sich, wo ist der Punkt, wo aus dieser Gemeinschaft eine hierarchisch organisierte Gruppe wird, um nicht Sekte zu sagen, eine ja geradezu totalitäre Herrschaft entsteht? Was ist dieser Punkt, wo das kippt?
Altenberg: Also, "Punkt" kann man nicht sagen, es ist nicht an einer Stelle gekippt, es ist ganz allmählich dazu übergegangen. Ein wichtiger Schritt war die Ökonomie. Wir waren…, am Anfang haben wir gelebt von Einzugsgeldern, von Leuten, die eingezogen sind, alles mitgebracht haben, was sie hatten. Und wir hatten immer genug Geld. Irgendwann haben wir keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen - der Grund war, dass Aids aufkam. Und ab dem Moment war es mit unserer Ökonomie… – wir haben zwar Handwerksbetriebe gehabt, wir haben biologische Landwirtschaft, aber davon kann man so eine große Gruppe mit eigener Schule nicht erhalten, wir wären fast pleite gegangen. Und dann haben wir angefangen, in den Stadtgruppen Versicherungen, Finanzierungen, Lebens-, Krankenversicherungen zu verkaufen und haben damit sehr viel Geld verdient. Aber das hat die Gruppe sehr verändert, das hat eine völlig neue Sache hineingebracht. Auf einmal war Geldverdienen wichtig und es wurde dann immer rigider. Das hat das sehr verändert.
von Billerbeck: Das heißt, das eigentliche Gesellschaftsmodell, das Sie angezogen hat und viele andere Menschen ja auch angezogen hat, dieses Gemeinschaftsmodell, das wurde dadurch aufgebrochen und kippte so langsam, und aus dieser Gemeinschaft wurde eben etwas anderes.
Altenberg: Ja.
von Billerbeck: Wie haben Sie das erlebt?
Altenberg: Ja, das habe ich schon als Unterdrückung erlebt, wobei ich heute … Damals habe ich das vielleicht anders gesehen. Wenn ich das so aus der Ferne von heute betrachte, es ist ja doch lange her, muss ich sagen, dass ich auch viel dazu beigetragen habe, das einfach immer mitzumachen und nicht zu sagen: "Halt, so geht das nicht." Das ist aber sehr allmählich und in winzigen Schritten gegangen, sodass man immer mehr korrumpiert wurde und sich immer mehr gefallen hat lassen und das gar nicht so wahrgenommen hat: Wann ist es denn eigentlich passiert. Irgendwann war man da drin und wusste gar nicht, …
von Billerbeck: … wie es dazu gekommen ist?
Altenberg: … wie es dazu gekommen ist! Im Rückblick ja, aber damals hat man einfach darin gelebt und … Es war ja nicht nur Totalitäres, wir haben ja auch viele schöne Sachen gemeinsam erlebt.
von Billerbeck: Trotzdem ist das, was in der Öffentlichkeit gerade hierzulande über Otto Muehl gesagt wird: Da ist einerseits der Künstler, aber trotzdem einer, dessen Werk ja auch immer einen Fleck hat, weil er eben wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen hat, weil sexueller Missbrauch ein Thema war, Demütigung von Kindern. Sie hatten selber einen Sohn, die Eltern und Kinder wurden ja getrennt, also jedenfalls im Sinne der Kleinfamilie, die Gemeinschaft war da.
Altenberg: Ja, richtig.
von Billerbeck: Wie haben Sie das erlebt, hatten Sie nicht Sehnsucht nach dem Sohn, haben Sie sich nicht verlassen gefühlt, wenn Sie ihren Sohn nur einmal im Monat sehen konnten?
Altenberg: Also, mein Sohn war acht Jahre alt, bei anderen Müttern ist das ja viel früher passiert. Und natürlich habe ich Sehnsucht gehabt, er auch nach mir. Aber es war auch diese … Wir hatten ja die Schule am Friedrichshof, die musste finanziert werden, und am Friedrichshof in Österreich wurde nichts verdient, da wurde nur Geld ausgegeben. Und es haben sich dort immer mehr Mütter mit Kindern angesammelt und in den Städten waren immer mehr Männer, je mehr Kinder wir bekamen. Und es war auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit damals. Die Kinder so früh zu trennen, wie es später geschehen ist, das war etwas, das war also schon ziemliche Willkür.
von Billerbeck: Wie hat das denn Ihr Sohn erlebt, dass da auch Demütigungen und sexualisierte Gewalt gegen Kinder stattgefunden hat?
Altenberg: Na ja, mein Sohn hat mit mir nach der Kommune … er ist dann mit 15 Jahren, wie er 15 war, ist er dann zu mir gekommen, wir haben dann zusammen gelebt und er hat mir sehr viel erzählt darüber. Vieles habe ich auch nicht gewusst und wir hatten eine intensive Auseinandersetzung darüber, was da abgelaufen ist und wie er das erlebt hat. Er war natürlich sehr kritisch. Er hat sich aber immer gewehrt, er hat zu den wenigen gehört, die sich wirklich nichts gefallen haben lassen. Und er hat immer opponiert gegen Otto Muehl.
von Billerbeck: Es gab irgendwann den Punkt, als Sie diese Gruppe verlassen haben. War das auch wieder so ein Punkt, wo klar war, hier ist Schluss, oder war das ein langsames Hinausgehen, dass man sich dann irgendwann sagt, das lässt du nicht mehr mit dir machen?
Altenberg: Ja, das würde ich eher so sagen, das war lang, das ging langsam, da war schon dieser Prozess gegen Otto Muehl am Laufen, was allerdings in der Kommune geheim gehalten wurde, das hat man erst sehr spät erfahren, dass das läuft. Aber ich habe einfach immer mehr gemerkt, das stimmt alles nicht und wir sind da immer nur am Arbeiten und immer heißt es nur: Wir machen das alles für unsere Kinder, damit es denen mal besser geht. Und ich habe gemerkt immer mehr, das stimmt alles so nicht. Aber man trennt sich nicht so leicht, so wie man auch in einer Ehe vielleicht schon lange nebeneinander herlebt und eigentlich funktioniert nichts mehr, aber den Schritt zu wagen sich zu trennen, ist immer schwer, weil auch eine Bindung war. Nicht an Otto Muehl, aber es waren ja viele Freunde und wir haben auch heute noch untereinander eine starke Bindung. Immer noch.
von Billerbeck: Es wird ja immer sehr unterschieden zwischen dem Otto Muehl, der da ein Hierarch war und Gewalt ausgeübt hat in der AAO, und dem Künstler Otto Muehl. Hierzulande würde das nicht so getrennt werden, glaube ich. Ist das ein österreichisches Ding, dass man sagt, ja, aber er war ein großer Künstler, mag er wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen haben und da vielen Menschen auch Böses getan haben?
Altenberg: Ja, das ist, weiß ich nicht, ob das wirklich in Deutschland anders wäre, das kann ich nicht sagen. Das liegt vielleicht auch am Kunstmarkt, mit Kunst ist ja auch Geld zu verdienen, das kann ich nicht sagen. Er war sicher als Künstler ein wichtiger Künstler, das glaube ich schon, aber was er mit den Kindern gemacht hat, das … Das ist auf jeden Fall zu verurteilen.
von Billerbeck: Toni Elisabeth Altenberg war das. 18 Jahre war sie in der AAO von Otto Muehl. Der Wiener Aktionskünstler ist gestern mit 87 Jahren gestorben. Danke Ihnen für das Gespräch!
Altenberg: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.