Mathias Greffrath zur Verzichtsdebatte

"Eine Vorstellung von Schulden wie die schwäbische Hausfrau"

Porträt von Mathias Greffrath.
Der Publizist Mathias Greffrath kritisiert eine soziale Schieflage in der Forderung, "alle" müssten angesichts der Neuverschuldung jetzt verzichten © Laif / Polaris / Hermann Bredehorst
Moderation: Anke Schaefer |
Wegen der hohen Neuverschuldung des Staates müssen alle den Gürtel enger schnallen, fordern konservative Politiker. Der linke Publizist Mathias Greffrath findet das falsch und betont: Die Verschuldung sei immer noch niedriger als während der Finanzkrise.
Noch einmal 180 Milliarden Euro will der Bund im nächsten Jahr an Schulden aufnehmen, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern, das ist annähernd so viel wie 2020, als die Neuverschuldung coronabedingt um 217 Milliarden stieg. Muss der Staat angesichts dieser Schuldenlast künftig wieder mehr sparen, und müssen auch die Menschen den Gürtel wieder enger schnallen?

Längerfristiger Einbruch bei den Staatseinnahmen?

Politiker wie der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) gehen davon aus, dass die Staatseinnahmen zehn Jahre lang unter dem vor der Coronakrise erwarteten Niveau liegen werden, wenn nicht noch länger:
"Insofern müssen wir die Menschen darauf vorbereiten, dass wir weniger haben und dass wir auch diese Schulden zurückzahlen müssen", sagt er im Deutschlandfunk. "Bevor wir Steuererhöhungen oder Solibeiträge oder Ähnliches diskutieren, sollten wir dann eine offene Diskussion mit den Menschen führen, welche Dinge wir uns noch leisten wollen und welche wir uns vielleicht in Zukunft nicht mehr leisten können."
Der Publizist Mathias Greffrath findet das falsch. "Eine Vorstellung von Schulden, wie die schwäbische Hausfrau sie hat", sagt er mit Blick auf die - allerdings hoch umstrittene -Moderne Geldtheorie (Modern Monetary Theory). Diese besage: "Staaten können Schulden machen und sie müssen die Schulden nicht abbezahlen, sie müssen nur dafür sorgen, dass sie die Tilgung bezahlen können."
Greffrath hält die Schuldensituation offenbar noch für bewältigbar: "Wir sind auf jeden Fall nicht so hoch in der Neuverschuldung - auch in der geplanten Neuverschuldung - wie nach der Finanzkrise 2008, und das haben wir ja in vier, fünf, sechs, sieben Jahren abgebaut."

"Ein starkes soziales Ungleichgewicht"

Darum, dass alle den Gürtel enger schnallen sollen, geht es Greffrath zufolge bei der Verzichtsrhetorik auch nicht, wie er kritisiert. Denn diejenigen, die sagten, "wir" müssten uns einschränken, seien auf der anderen Seite gegen einen Corona-Soli oder gegen eine Vermögenssteuer.
"Da geht es aufs Soziale, und gleichzeitig werden ja Steuererhöhungen ausgeschlossen, von der CDU zumindest", so der Publizist. "Das Ganze hat für mich ein starkes soziales Ungleichgewicht."
(uko)

Mathias Greffrath ist Schriftsteller und Journalist. Anfang der 90er-Jahre leitete er die Zeitschrift "Wochenpost" in Berlin. Seither schreibt Greffrath als freier Journalist unter anderem für "Die Zeit", die "Süddeutsche Zeitung" und die deutsche Ausgabe von "Le Monde diplomatique". Greffrath ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac und im PEN-Zentrum Deutschland.

Die ganze Sendung "Der Tag mit Mathias Greffrath" hier zum Nachhören:
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