Eine besondere Künstlerfreundschaft
Stilleben, Landschaften, Akte: Die französischen Maler Henri Matisse und Pierre Bonnard waren nicht nur Freunde, sie wählten auch die gleichen Themen. 120 Werke sind nun im Frankfurter Städel Museum zu sehen - darunter sensationelle und ungewöhnliche Bilder.
Eigentlich hätte man schon längst drauf kommen können. Doch jetzt, wo die beiden Bilder im selben Raum hängen, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: "Der große liegende Akt" von Matisse, 1935, und Bonnards "Liegender Akt auf weißblau kariertem Grund", 1909, wirken wie Geniestreich und Hommage. Derselbe blauweiße Bettüberwurf, eine vergleichbare Pose, dieselbe Macht des Erotischen.
Man mag es kaum glauben: Sollte Matisse, der doch als der moderne Erneuerer gilt, so starke Anleihen bei Bonnard genommen haben?
Felix Krämer, Kurator der Städel-Ausstellung:
"Das, was man in dieser Ausstellung sehen kann, ist: Die sind eben einerseits sehr ähnlich, aber andererseits auch sehr verschieden. Aber was man nicht festellen kann: dass der eine besser ist als der andere. Das ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Bonnard ist nicht der Nacheiferer von Matisse, sondern es ist der Counterpart. Und Bonnard ist wirklich der Partner im Geiste, den auch Matisse brauchte, so wie Bonnard Matisse benötigte."
Das größte Glück, das einem Maler widerfahren kann
Zwei Gemälde, die die Künstler jeweils voneinander besaßen und ihr Leben lang behielten, bilden den Auftakt dieser Ausstellung, die eine ungewöhnliche Freundschaft feiert: Bonnards "Abend im Wohnzimmer" von 1907 und "Das offene Fenster", 1911, von Matisse. Hängeflächen in zartem Flieder, in Rosa, in Mint verleihen dieser Künstlerfreundschaft fast etwas Schlüpfriges. Eine Hörstation, die den Briefwechsel akustisch belebt, macht allerdings klar: Hier geht es um begeisterte Komplimente, um tiefe gegenseitige Inspiration, um Schützenhilfe in Zeiten der Krise.
In einem Brief an seinen Freund schreibt Bonnard im Januar 1940:
"Mein lieber Matisse, ich freue mich, dass meine Untersuchungen Ihnen gefallen. Wenn ich an Sie denke, denke ich an einen von aller überkommenen ästhetischen Konvention befreiten Geist. Dies allein gestattet eine direkte Sicht auf die Natur. Das größte Glück, das einem Maler widerfahren kann. Dank Ihnen habe ich ein wenig daran teil. Auf bald hoffentlich: Bonnard".
In der Abfolge der Räume und der Hängung inszeniert Kurator Felix Krämer einen direkten Dialog. Keine Chronologie, sondern Sujets: Interieur, Akt, Stillleben, Landschaft. Vergleichendes Sehen ist gewollt. Und so entdeckt man plötzlich ungewöhnliche blaue Farbflächen bei Bonnard oder die magischen Fensterblicke bei Matisse, die man sonst für ein Markenzeichen des Kollegen hielt. Aber zugleich sind immer auch die Unterschiede präsent.
Felix Krämer: "Ein Matisse-Bild, das dringt sofort in unseren Kopf ein. Wenn Sie das einmal gesehen haben, das vergessen Sie nicht, das können Sie auch danach gut beschreiben, hat aber die Gefahr immer des Dekorativen und des Eindeutigen, während Bonnard - der ist viel komplizierter. Für Bonnard brauchen Sie Geduld, Bonnard, da müssen Sie die Bereitschaft haben, sich auf eine Suche zu begeben, das Bild müssen Sie erforschen, erkunden".
Intime Darstellungen der Lebensgefährtin Marthe
Es gibt sensationelle und ungewöhnliche Bilder zu sehen. "Das große rote Interieur" von Henri Matisse, 1948, aus dem Centre Pompidou. Sein Stillleben aus der Eremitage Sankt Petersburg, das als Hintergrund den berühmten "Tanz" einspiegelt. Bonnards "Akt vor dem Spiegel", aus Venedig oder "Die große Badewanne" aus Privatbesitz: intime und geheimnisvolle Darstellungen der Lebensgefährtin Marthe. Der Maler hat sie im Laufe von 50 Jahren auf etwa 400 Gemälden verewigt, mit dem immer gleichen jugendlichen Körper.
Die Freude über diese Bilder wäre vielleicht größer gewesen, wenn man sie konventioneller präsentiert hätte, also doch in räumlicher und personeller Trennung. Um die jeweilige Entwicklung der beiden Künstler deutlicher zu spüren. Aber Kurator Felix Krämer möchte nun einmal die Zuschreibungen der Kunstgeschichte in Frage stellen, irritieren und möglichst korrigieren.
Felix Krämer: "Ich glaube, dass dieser intensive Dialog zwischen den beiden, der diente auch dazu, dass man sich gegenseitig versichtert hat: das, was wir da machen, das ist richtig, das ist gut. Also ein gemeinsames Nachdenken, wie man figürlich malt, ohne dass es platt wird, dass man dem Zauber der Malerei, dem Geheimnis der Malerei... Beide gehen jeweils ihren ganz eigenen Weg, aber es ist eben ein verwandter Weg."
Der eine modern, schnell und klar, der andere ein melancholischer Träumer, ein Spätimpressionist, jemand von gestern? Nein, sagt diese Frankfurter Ausstellung, so einfach ist die Sache nicht. Sondern viel verwickelter, spannender, subtiler, gebrochener. Eben wie im wirklichen Leben, im Künstlerleben.