Ein Königreich für mehr Drama!
"Die Simpsons" im Mittelalter? In seiner neuen zehnteiligen Märchen-Parodie "Disenchantment", die ab 17. August auf dem Streamingportal Netflix zu sehen ist, sucht Simpsons-Erfinder Matt Groening neue künstlerische Freiheiten.
"Futurama" ist eine Workplace Comedy: Kurierdienst-Alltag im New York des Jahres 3000. "Die Simpsons" persifliert Familien-Sitcoms. Am 17. August startet Matt Groenings drittes Projekt: Die Netflix-Trickserie "Disenchantment" ist blutiger, derber und will komplexere Handlungsbögen schlagen. Mit nur einer Hauptfigur, gerahmt von Side-Kicks: Noch keine Groening-Serie war so eingleisig, linear. Und schlicht gestrickt?
Tiabeanie ist 19 und einzige Prinzessin des trostlosen Märchen-Stadtstaats "Dreamland". Ihre Mutter starb. Ihr Vater, bräsiger Mix aus Homer Simpson und Donald Trump, will sie verheiraten, für neue Adels-Allianzen. Der Thron aus Schwerten, an dem sich Beans Verlobter versehentlich ersticht, ist die einzige große Hommage an "Game of Thrones".
Die Vorschauen und Trailer, die Beans Flucht in die Wildnis zeigen, trügen: Netflix bot sieben der ersten zehn Folgen für Rezensionen. Bisher ist "Disenchantment" keine Heldenreise, Quest, Odyssee durch Zauberwelten. Und leider auch keine Coming-of-Age- oder Freundschafts-Serie.
Bean ist Alkoholikerin. Ihr fehlen Ziele, besonderes Talent. Und jedes Interesse am Elend der Dörfler und Diener um sie herum. Eine Slacker- und Fremdschäm-Figur wie aus Lena Dunhams "Girls" oder "Broad City".
Ein nihilistischer Dämon und ein notgeiler Elf
Beans geheimnisvollstes Hochzeitsgeschenk heißt Luci - ein katzenhafter Dämon im Stil von Stewie ("Family Guy"), der Bean einredet, sie hätte Spaß, je mehr sie eskalieren lässt. Elfo – ein naiver 18-Jähriger, der das Pralinen-Förderband im Elfenreich verließ, weil er das wahre, bittere, blutige Leben kennenlernen will – beginnt als moralisches Gegengewicht zu Luci. Doch weil sich Elfo in Bean verliebt, kippt die Figurendynamik: ein nihilistischer Dämon. Eine desinteressierte Antiheldin. Und ein weinerlicher, notgeiler Elf - ebenfalls mehr Teufelchen als Engel.
Warum will diese kantige, feministisch angelegte Figur zwei kindliche Störer bemuttern? Warum spielt jede Episode im trostlosen Schloss? Und warum häuft Bean bei allem, was sie halbherzig versucht, versehentlich Leichenberge an? "Disenchantment" nimmt Klischees aus "Shrek", "Die Brautprinzessin", Monty Python. Baut daraus zahnlose, beliebige Plots. Dass Episoden fünf Minuten länger dauern als in bisherigen Groening-Serien heißt leider: vielen Scherzen fehlen Tempo, Dichte, Schwung.
Bisher bleibt alles fade und verwaschen
Comedys brauchen oft Routine: Autoren, Autorinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen lernen sich kennen, spornen sich an. Matt Groening sagt, er zeichnete Elfo schon als Fünftklässler. Erste Pläne für "Disenchantment" begannen 2007: Nach dem Erfolg des "Simpsons"-Kinofilms plante man eine "Herr der Ringe"-Parodie mit Homer als Märchenkönig. Bean und ihr Dreamland hätten genug Potenzial, um jahrelang zu fesseln.
Bisher aber bleibt alles fade, verwaschen: Elfjährigen wird das Comedy-Gemetzel überraschend erwachsen scheinen. Bean spaltet Hänsel und Gretel den Schädel: Kannibalen im Hexenhäuschen! Jeder über 15 rollt da nur mit den Augen.
Moralfragen mit Luci, toxische Männlichkeit, Stalking, sexuelle Besitzansprüche mit Elfo – und, ganz im Ernst: keine saloppe, etwas trinkfeste Girl-Power-Heldin, sondern tatsächlich eine Süchtige, die sich ihr Leben zur Hölle macht.
"Disenchantment" heißt "Entzauberung" oder "Ernüchterung". Sobald Humor, Figuren etwas tiefer dringen, kann das toll werden. Bisher bleibt es gestrig.