Covern als kuratorischer Akt
Ein Album mit lauter Coverversionen und das im anachronistisch anmutenden Duettstil? Kann sehr gut funktionieren, wie das Album "Gentlewoman, Ruby Man" von Matthew E. White und Flo Morrissey zeigt. Das ist dann nicht nur Hommage, sondern bringt neue Aspekte der Songs zum Vorschein.
Flo Morrissey: "Duette stehen dafür, dass Menschen zusammen kommen. Unser Album 'Gentlewoman, Ruby Man' strahlt genau das aus, was wir beide teilen."
Flo Morrissey und Matthew E. White nehmen sich auf ihrem ersten gemeinsamen Album zehn Songs aus 50 Jahren Popgeschichte vor und covern sie im Duett-Gesang.
Auf "Gentlewoman, Ruby Man" sind so ganz unterschiedliche Songs zu hören wie "Heaven Can't Wait" von Charlotte Gainsbourg, Leonard Cohens "Suzanne"; "Grease" von Frankie Valli oder zarter Singer-Songwriter-Folk von Little Wings, von ihnen in ein sattes, an US-amerikanischen Southern Soul erinnerndes Gewand gepackt, für das Matthew E. White verantwortlich ist. Er hat die zehn Songs arrangiert und ihnen damit eine eigene Farbe gegeben.
Neue Bezüge herstellen
Ob sich ein Coversong musikalisch weit vom Original entfernt oder nicht, sei dabei zweitrangig, meint der Kulturwissenschaftler Christian Huck. Eher komme es auf Auswahl und Übersetzung eines Songs an. Damit habe die Coverversion im Laufe der Musikgeschichte ganz unterschiedliche Funktionen abgedeckt.
"Der ursprüngliche Begriff des Coverns kommt meines Erachtens daraus, einen anderen Markt zu bedienen, abzudecken, to cover. Im Laufe der Jahre, als die Popmusik eine eigene Geschichte angesammelt hat, hat sich eine andere Funktion herausbildet – nämlich eine Gedächtnisfunktion. Das hat dann nicht nur eine marktökonomische Funktion, sondern eben ein kulturelles Kapital, das man damit dann akkumuliert, indem man Bezüge neu herstellt."
Das kommerziell-funktionale Prinzip des Coverns wird also zu einem kreativen. Womit sich auch die Formen ausdifferenzieren: Nicht nur die Übersetzung für ein neues Publikum, auch die Hommage wird zu einer wichtigen Funktion.
Es gibt Künstler oder Songs, die als nicht zu covern gelten. Roy Ayers zum Beispiel. Matthew E. White hat es auf seinem Cover-Album mit Flo Morrissey trotzdem gewagt. Ayers' "Everybody Loves The Sunshine" aus dem Jahr 1976 in der selben Manier nachzuproduzieren, stellt in dem Fall die Schwierigkeit dar – und wird so zur Hommage an den originalen Künstler und zur Prüfung für das eigene Können.
Matthew E. White: "Man hat fast nie die Chance, mit seinen liebsten Musikerinnen und Musikern im Studio zu sein und mit all der gemeinsamen Kraft zu versuchen, etwas nahezu zu kopieren. Das erfordert ein ganz anderes Handwerk! Man muss sich tief in die klangliche Struktur hineindenken; verstehen, wie sie es damals gemacht haben. Unsere Version ist nicht exakt gleich, aber sehr nah am Original – das ist Absicht. Es ist nicht so, dass ich einfach keine Ideen mehr gehabt habe."
In anderen Songs entfernt sich White mit seiner Produktion von den Originalen. Bei der Interpretation des britischen Produzenten James Blake zum Beispiel oder wenn sie sich an einen Song des R'n'B-Sängers Frank Ocean heranwagen. Damit schließen Morrissey und White vor allem bestimmte Genres für ihre Hörer auf.
Den Songs eine neue Plattform geben
Doch gibt es in der modernen Popmusik solch starre Genre-Grenzen überhaupt noch, die Cover befähigt sind, einzureißen?
Christian Huck: "Ob das hier alles noch funktioniert, ob das nicht eher eine Playlist ist: Ich kümmer' mich gar nicht mehr um Genres, Gegenwart, Vergangenheit, all diese Sachen. Sondern das sind einfach meine Lieblingssongs. In dem Fall ist es dann gar nicht wichtig, wie man den Song nachspielt, sondern hier kommt es auf die Auswahl des Songs an. Man sagt: Das ist unser Feld, in dem wir uns bewegen, dazu schauen wir auf oder das ist unsere Inspiration. Und wir machen gar nichts tolles Eigenes damit, sondern wir geben dem Song noch einmal eine Plattform, die der Song verdient hat und sonst vielleicht nicht bekommt."
Neben dem kuratorischen Verdienst leisten White und Morrissey noch etwas anderes: Durch ihre besondere musikalische Interpretation, wie hier des Disco-Songs "Grease", zeigen sie, was hinter der Performance durch etwa Frankie Valli oder die BeeGees in dem Song verborgen liegt, stellen das Songwriting des Originals heraus.
Das Album "Gentlewoman, Ruby Man" bietet so zwar nichts genuin Neues, aber kann doch die Ohren für ein neues Hinhören öffnen.
Verschiedene Stile und Musikstücke vereint
Die Frage, ob Cover gut oder schlecht gemacht sind, entscheidet sich demnach letztlich doch an ihrem integrativen Effekt – und das gelingt den beiden hier: Der Transfer in den warmen, satten Soul-Sound, getragen von den angenehmen Stimmen der Duettpartner funktioniert in den meisten Fällen und bringt neue Aspekte der Songs zum Vorschein.
Ihre Interpretation vereint Stile und Musikstücke, die Jahrzehnte und Tausende Kilometer auseinander liegen. Die Grenzen verschwimmen zwischen Genres, Stilen und Zeiten – und dank der Duett-Form auch zwischen Stimmen und Persönlichkeiten.
Flo Morrissey: "Die Doppeldeutigkeit der Songs, das Verschmelzen von Männlichkeit und Weiblichkeit, das ist genau das, was ein Duett ausmacht."