Das Wassermusik-Festival im Haus der Kulturen der Welt findet statt bis zum 18. August 2018.
Soundtrack zum EU-Austritt
Matthew Herbert’s Brexit Big Band tritt in Berlin im Haus der Kulturen der Welt auf. Sie macht dem Namen Big Band alle Ehre: 1000 Musiker aus ganz Europa sind Teil von ihr. Und damit ist die Musik ungefähr so chaotisch wie die Brexit-Verhandlungen.
Martin Böttcher: Wer ist diese Brexit Big Band, was will sie?
Matthew Herbert: Der Ausgang des Brexit-Referendums war ein großer Schock, obwohl ich persönlich durchaus mit diesem Ergebnis gerechnet hatte. Dennoch: Ich bin 1952 auf die Welt gekommen und habe mich mein ganzes Leben als Europäer gefühlt, war viel in Europa unterwegs, um Musik zu spielen, Leute zu treffen, Ideen auszutauschen. Ich habe dabei viel kennengelernt: neue Gerichte, literarische Welten, fremde Architektur, all das. Das Ergebnis hat mich also getroffen, und für mich stand fest, dass ich etwas unternehmen muss. Und ich dachte, am besten mache ich das mit eben jenen Prinzipien und Werten, die ich über die Jahre zu schätzen gelernt habe. Mein neues Projekt soll daher eine Geste der Freundschaft sein, eine europäische Zusammenarbeit - für Europa. Die Brexit Big Band, die aus dieser Idee entstanden ist, hat nun rund 1000 Mitglieder, verteilt in ganz Europa. Zusammen wollen wir etwas erschaffen, das im Grunde das Gegenteil des Brexit ist: etwas Selbstloses, etwas, das jeden willkommen heißt, etwas, das die Kreativität hochleben lässt.
Böttcher: Wie hört sich dann aber diese Brexit Big Band an und wie hört sich der Brexit an, wenn Sie den so musikalisch widerspiegeln? Wahrscheinlich ziemlich chaotisch, oder?
Herbert: Ja, absolutes Chaos. Dieses Projekt macht es mir nicht leicht. Begonnen habe ich damit, als Theresa May mit dem Artikel 50 des EU-Vertrags das Austrittsverfahren eingeleitet hat. Veröffentlichen werde ich das Album am 29. März 2019, also dann, wenn es das für uns Briten gewesen sein soll. In den ersten 18 Monaten meiner Arbeit habe ich mich vor allem auf unsere Politiker konzentriert und versucht, ihre Äußerungen mit Musik zu spiegeln. Konsequenterweise ist das Ergebnis ein großes Durcheinander - denn auch unsere Regierung ist ein großes Durcheinander. Weder die Remain-Wähler noch die Leave-Wähler sind damit zufrieden.
Vor ein paar Wochen wurde mir dann klar, dass es nicht nur die Regierung sein muss, die einen Plan haben kann oder haben sollte. Auch ich kann mir meine Gedanken machen und darf mich einmischen. In der Politik geht es ja auch um Kultur, um Identität und so weiter. Das geht uns alle an.
Es geht ihm auch um Nächstenliebe
Meine Idee ist nun eine ironische: nämlich wieder die Kontrolle zu übernehmen – und zwar nicht nur in Bezug auf den Brexit. Zum Beispiel habe ich mich mit dem Klimawandel beschäftigt. Also habe ich ein Stück über den Klimawandel geschrieben. Der betrifft uns alle, hat allerdings mit dem Brexit nicht viel zu tun.
Ein anderes Stück für mein Brexit-Album - und das nehmen wir hier in Berlin auf - heißt "Moonlight Serenade", die "Mondschein-Serenade" von Glenn Miller. Ein Bigband-Klassiker aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich finde es irgendwie schön, den Song mit einer deutschen Bigband aufzunehmen. Ein Stück, das vor allem den Engländern der Kriegsgeneration etwas bedeutet hat. Für mich geht es in dem Stück um das Erinnern. Ein Grund, weshalb es heute dieses Europa gibt, ist der Krieg. Ich gehe auf diesem Album also nicht ausschließlich auf Brexit-Probleme ein, es geht mir um etwas Größeres: Ich will daran erinnern, dass uns mehr verbindet als trennt, dass wir nett zueinander sein sollten, es geht um Nächstenliebe.
Böttcher: Sie haben es gerade schon gesagt: Als der Brexit verkündet wurde, das war nicht unbedingt für Sie eine Überraschung. Aber es war schon ein leichter Schock. Wenn Sie noch einmal darüber nachdenken, wie Sie persönlich diesen Austritt aus der EU empfinden: Sind Sie vielleicht auch ein bisschen gespannt auf das, was dann danach kommt, was das mit Ihrem Land macht. Also der Künstler vielleicht so als Beobachter?
Herbert: Schwierige Frage, denn eigentlich bin ich der größte Fürsprecher, wenn es um die Bedeutung von Künstlern für die Gesellschaft geht. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich mit meiner Brexit-Auseinandersetzung in Großbritannien ziemlich alleine fühle. Ich kenne keinen, der etwas ähnliches machen würde, obwohl es diese Künstler bestimmt gibt. Ich glaube, viele Musiker - überhaupt viele Briten – wollen das Ergebnis des Referendums noch immer nicht wahrhaben. Deshalb befinden sie sich in einer Art Schockstarre. Angesichts der vielen Probleme, die der Brexit mit sich bringt, gehen sie einfach davon aus, dass er schon nicht kommen wird.
"Ich möchte kritisieren, was falsch läuft"
Unser größtes Problem ist, dass es einfach keinen Plan gibt, wie das Ganze vollzogen werden soll. Man hat uns gefragt, ob wir rauswollen, man hat uns nicht nach einem Plan gefragt. Ich glaube, aufgrund dieser Planlosigkeit machen viele Künstler erst mal weiter wie gehabt. Das heißt also, dass ich einerseits gespannt bin, wie die Kunstszene schließlich auch den Brexit reagieren wird. Andererseits habe ich auch Angst, weil wir blindlings auf den Abgrund zusteuern könnten.
Böttcher: Sie selbst haben sich vor ein paar Jahren entschieden, Ihrem Wirken, Ihrer Karriere einen Dreh in Richtung Kunst zu geben. War Ihnen die Musik, vielleicht auch das Hedonistische zum Beispiel der House Music damals zu wenig? Und daraus entstehen aber dann eben heute diese Projekte, die Sie machen?
Herbert: Vielleicht haben Sie da recht. Musik kann einen großen transzendentalen Raum erschaffen: Man kann stundenlang in einem Club verschwinden und vergessen, wer man ist oder unter welchen Umständen man lebt. Das hat etwas sehr Poetisches und Schönes. Und es zeigt sich vor allem dann, wenn wir an House Music denken, diese ursprünglich schwarze, schwule Musik, die diesen marginalisierten Menschen einen Heimat gegeben hat, in der sie so sein konnten, wie sie sind. Das Problem ist nur, dass sich die Musik von diesem Ideal immer weiter weg entwickelt hat. Heute geht es nur noch ums Vergessen, nicht ums Erinnern. Ich möchte Musik machen, in der es ums Vergessen, aber auch ums Erinnern geht. Mit der Brexit Big Band zum Beispiel möchte ich kritisieren, was meines Erachtens falsch läuft. Aber ich möchte auch eine positive Alternative präsentieren. Ich mag immer noch Dance Music, und ich lege immer noch als DJ auf. Aber das ist nur ein kleiner Teil dessen, was es bedeutet, zu leben. Es kann nicht nur darum gehen, sich in der Musik zu verlieren. Wir müssen auch zusammenfinden. Nur so können wir unsere Probleme lösen, und das passiert außerhalb der Tanzfläche.
Zum Auftritt der Brexit Big Band beim Festival "Wassermusik"
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