Verkannte Helden der Geschichte
20:12 Minuten
Zentrumsmitglied Matthias Erzberger übernimmt 1918 Verantwortung und unterschreibt den Waffenstillstandsvertrag. SPD-Politiker Rudolf Breitscheid ist in der Weimarer Republik ein wahrer Demokrat. Ihr konkretes Wirken ist heute fast vergessen.
Wie hart es sein kann, politische Verantwortung zu übernehmen, hat kaum ein deutscher Politiker so brutal erfahren wie Matthias Erzberger. Der 1875 geborene Schwabe war im frühen 20. Jahrhundert ein führender Kopf der Zentrumspartei. Die konservativ ausgerichtete katholische Partei stand im schroffen Gegensatz zur SPD, denn die war ziemlich antikirchlich orientiert.
Seit 1917 forderten SPD, Zentrum und Liberale, dass das grausame Treiben des Ersten Weltkriegs beendet werde. Auch Matthias Erzberger, der 1914 noch zu den Kriegstreibern gehört hatte. Der Kaiser sollte Verantwortung übernehmen und Macht abgeben an den Reichstag, endlich für Frieden und Demokratisierung sorgen.
Stattdessen führte die Oberste Heeresleitung mit Generalfeldmarschall Hindenburg und seinem politischen Kopf Erich Ludendorff den Krieg unverdrossen weiter, und die Nationalisten schwadronierten von Siegfrieden und Landgewinn, derweil die Menschen im ganzen Reich hungerten und verhungerten.
1918 versuchten es Hindenburg und Ludendorff noch einmal mit einer großen Offensive. Als die scheiterte, war ihnen klar: Der Krieg ist verloren. Wenn Deutschland jetzt nicht Schluss macht, droht die Besetzung des Reiches. Wie es später, 1945, geschehen sollte. In dieser prekären Situation forderte die Oberste Heeresleitung im September 1918 völlig unvermittelt, dass der Krieg sofort beendet werden müsse, ohne jeden Spielraum für Verhandlungen.
Seit 1917 forderten SPD, Zentrum und Liberale, dass das grausame Treiben des Ersten Weltkriegs beendet werde. Auch Matthias Erzberger, der 1914 noch zu den Kriegstreibern gehört hatte. Der Kaiser sollte Verantwortung übernehmen und Macht abgeben an den Reichstag, endlich für Frieden und Demokratisierung sorgen.
Stattdessen führte die Oberste Heeresleitung mit Generalfeldmarschall Hindenburg und seinem politischen Kopf Erich Ludendorff den Krieg unverdrossen weiter, und die Nationalisten schwadronierten von Siegfrieden und Landgewinn, derweil die Menschen im ganzen Reich hungerten und verhungerten.
1918 versuchten es Hindenburg und Ludendorff noch einmal mit einer großen Offensive. Als die scheiterte, war ihnen klar: Der Krieg ist verloren. Wenn Deutschland jetzt nicht Schluss macht, droht die Besetzung des Reiches. Wie es später, 1945, geschehen sollte. In dieser prekären Situation forderte die Oberste Heeresleitung im September 1918 völlig unvermittelt, dass der Krieg sofort beendet werden müsse, ohne jeden Spielraum für Verhandlungen.
Tatsächlich war die Friedenssehnsucht im Reich so groß, dass Anfang November 1918 eine revolutionäre Bewegung die Monarchie beseitigte und die Arbeiterparteien an die Macht brachte, SPD und USPD.
Kaiser Wilhelm hatte sich seiner Verantwortung durch Flucht entzogen, die Militärs gingen in Deckung und schoben den Demokraten den Schwarzen Peter zu, um wenig später die Dolchstoßlegende in die Welt zu setzen. Dolchstoßlüge muss man sie eigentlich nennen: Die Behauptung, die Demokraten hätten verhindert, dass die Reichswehr den Krieg gewann. Diese Verdrehung der Tatsachen war infam.
Kaiser Wilhelm hatte sich seiner Verantwortung durch Flucht entzogen, die Militärs gingen in Deckung und schoben den Demokraten den Schwarzen Peter zu, um wenig später die Dolchstoßlegende in die Welt zu setzen. Dolchstoßlüge muss man sie eigentlich nennen: Die Behauptung, die Demokraten hätten verhindert, dass die Reichswehr den Krieg gewann. Diese Verdrehung der Tatsachen war infam.
Erzberger übernahm die politische Verantwortung
Es war ein im wahrsten Sinne des Wortes denkwürdiger Augenblick, als Matthias Erzberger am 11. November 1918 in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne seine Unterschrift unter die Waffenstillstandserklärung setzte und damit das Blutvergießen beendete. Er übernahm die politische Verantwortung für diesen bitteren Schritt, einen vierjährigen Krieg ruhmlos und sieglos zu beenden.
Für weite Teile der deutschen Nachkriegsgesellschaft waren nicht des Kaisers Generäle für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich, sondern der Mann, der mit seiner Unterschrift dem aussichtslosen Treiben ein Ende gesetzt hatte: Matthias Erzberger.
Für weite Teile der deutschen Nachkriegsgesellschaft waren nicht des Kaisers Generäle für die Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich, sondern der Mann, der mit seiner Unterschrift dem aussichtslosen Treiben ein Ende gesetzt hatte: Matthias Erzberger.
Auch der nächste Schritt war ebenso bitter wie unvermeidlich: die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages. Erzberger hatte den Mut, trotz der Empörung in Deutschland dafür einzutreten, weil die Unterzeichnung unausweichlich war. Dass Erzberger seinen politischen Mut mit 1921 dem Leben bezahlte, zeigt, wie brutal es sein kann, politische Verantwortung zu übernehmen.
Der Sozialdemokrat Rudolf Breitscheid
Er ist der große Unbekannte der deutschen Demokratiegeschichte. "Groß" nicht nur, weil er mit einer Länge von 1,93 Meter als Redner im Reichstag und bei Versammlungen die alles überragende Figur abgab. Groß auch, weil er ein idealistischer Politiker und Journalist war, dessen Leben ein Bindeglied zwischen den 1848er-Revolutionären und der sozialliberalen Koalition von 1969 darstellt. Bundeskanzler Willy Brandt erinnerte sich so an ihn: "Ich fand den hochgewachsenen, lässige Eleganz vermittelnden Mann recht imposant."
Für Liberale, Radikaldemokraten und Sozialisten könnte Rudolf Breitscheid heute ein Vorbild sein. Doch ein Unbekannter ist er für viele, obwohl es in Deutschland etwa 400 Breitscheid-Straßen gibt – der Breitscheidplatz in Berlin, neben der Gedächtniskirche, heißt seit 1947 so.
Vielleicht hat diese Erinnerungslücke den Grund, dass er niemals Reichskanzler oder Außenminister war. Das einzige öffentliche Amt, das er bekleidete, war das des preußischen Innenministers nach der Novemberrevolution 1918. Da konnte Breitscheid die Einführung des Frauenstimmrechts verkünden, für das er schon als junger Linksliberaler gekämpft hatte.
1933 Flucht ins Exil
Das partielle Vergessen ereilte ihn auch, weil er 1933 ins Exil gehen musste und sein Leben 1944 im Konzentrationslager endete. Seiner Staatsbürgerschaft beraubt (Breitscheid stand auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis), führte er in aller Tapferkeit ein Schattendasein.
In Paris fehlte dem bewunderten Parlamentarier die gewohnte Tribüne, dem herausragenden Publizisten die Parteipresse mit Massenwirkung. Sein Name verblasste rasch, erst recht in der Adenauerzeit. In der DDR wurde Breitscheid als antifaschistischer Held geehrt – auch im Dienst einheitssozialistischer Propaganda, die ihm gewiss nicht gefallen hätte.
Zum Staatsmann sei er nicht geeignet gewesen, aber sehr zum Oppositionsführer, urteilte eine enge Freundin, die Sozialdemokratin Hedwig Wachenheim. In der Tat stand Breitscheid meist in Opposition zur Mehrheit. Im Kaiserreich gehörte er zu den wenigen bürgerlichen Sozialliberalen, die ernsthaft für Demokratisierung und sozialen Fortschritt eintraten.
Zum Staatsmann sei er nicht geeignet gewesen, aber sehr zum Oppositionsführer, urteilte eine enge Freundin, die Sozialdemokratin Hedwig Wachenheim. In der Tat stand Breitscheid meist in Opposition zur Mehrheit. Im Kaiserreich gehörte er zu den wenigen bürgerlichen Sozialliberalen, die ernsthaft für Demokratisierung und sozialen Fortschritt eintraten.
Kaum zur SPD übergetreten, sah Breitscheid sich 1914 erneut in der Minderheit – als Gegner des Krieges und der "Burgfriedenspolitik". In der Weimarer Republik warb er für die Verständigung mit Frankreich und eine Annäherung an die Westmächte, was ihm den Hass der Rechtsparteien eintrug. Vor den Gefahren des "Hitlertums" warnte er früh.
Er war ein Individualist und ein brillanter Kopf
Breitscheid war ein Intellektueller in der politischen Arena, ein Individualist und brillanter Kopf – aber auch Einzelkämpfer mit der Schreibmaschine, dessen größtes Talent die kritische Analyse war. Woche für Woche publizierte er seine Kommentare, Reiseberichte, Feuilletons, Reportagen und Einschätzungen zur internationalen Politik. Diese lebhaften, engagierten, oft sarkastischen Texte wirken wie ein kluger Fremdenführer durch vier Jahrzehnte.
Doch jenseits weniger Dissertationen und Aufsätze in Sammelbänden hat Breitscheid in der historischen Forschung eine Fußnotenexistenz: Er wird als Beobachter wahrgenommen, aber nicht als ein Akteur der ersten Reihe. Eine umfassende Biografie gibt es bisher nicht.
Heutiges Gedenken im Bundestag
Im Souterrain des Reichstagsgebäudes steht eine Wand aus Blechschachteln. "Archiv der Deutschen Abgeordneten" nennt sich die Installation des französischen Künstlers Christian Boltanski. Sie steht hier seit 1999, seit der Rückkehr des deutschen Parlaments aus Bonn nach Berlin.
Besonders gut kennt Michael Feldkamp diesen Ort des Gedenkens an mehr als 5000 Abgeordnete des Reichstags und des Bundestags aus den Jahren 1919 bis 1999. Feldkamp ist als Historiker in der Bundestagsverwaltung beschäftigt und hat mehrere Bücher zur Demokratiegeschichte geschrieben.
Die Jahre 1933 bis 1949, in denen es kein demokratisch gewähltes Parlament gab, sind in Boltanskis symbolischem Politikerarchiv durch eine einzelne schwarze Box repräsentiert. Unter den Tausenden Namen finden sich alle, die frei gewählt wurden – auch solche, die man hier nicht erwarten würde. Hitler, Hess.
Auf der Westseite des Gebäudes, von einem Balkon aus blickt man über die Wiese zum Kanzleramt. Hier erinnert eine Gedenktafel an Philipp Scheidemann. Am 9. November 1918 rief er von diesem Balkon die Republik aus.
Auf der Westseite des Gebäudes, von einem Balkon aus blickt man über die Wiese zum Kanzleramt. Hier erinnert eine Gedenktafel an Philipp Scheidemann. Am 9. November 1918 rief er von diesem Balkon die Republik aus.
Noch eine Etage höher liegen die Fraktionssäle. Den Saal der SPD betritt man durch einen kleinen Flur, der historisch aufgeladen ist. Unübersehbar blickt Otto Wels aus einem Schwarz-Weiß-Porträt mit ernster Miene jeden Abgeordneten an, der durch diesen Flur läuft.
Otto Wels redete am 23. März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz, das die nationalsozialistische Herrschaft für zwölf Jahre zementieren sollte. Auch die Namen der 94 Sozialdemokraten, die an diesem Tag mit ihm gegen das Gesetz stimmten, sind in dem Gang dokumentiert.
Und noch eine Liste findet sich auf einer der Wände. Namen der 26 Mitglieder der SPD, die an Sitzung nicht teilnehmen konnten, waren in Schutzhaft. Eine Sozialdemokratin der Weimarer Zeit wird auf dieser Etage des Reichstags ganz besonders geehrt: Marie Juchacz.