Klee statt Gras im Olympiastadion
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Fünf Jahre war Matthias Lilienthal Intendant der Münchner Kammerspiele: Zum Schluss gab es eine Performance im Olympiastadion. Eine kleine Geste in einem großen Raum.
Nach fünf Jahren verlässt Matthias Lilienthal die Münchner Kammerspiele. Eigentlich war eine 24-stündige Abschiedsmarathon-Tour an verschiedenen Münchner Orten geplant, doch coronabedingt wurde nun etwas kleiner gefeiert, dafür im spektakulären Setting: Mit einer "Opening Ceremony" im Olympiastadion.
600 Zuschauer inmitten von 70.000 Plätzen locker verteilt. Der von Behnisch & Partner für die Olympischen Spiele 1972 entworfene Bau mit seinem großartigen Zeltdach wurde zum Bühnenbild für die knapp einstündige Abschiedsinszenierung des japanischen Regisseurs Toshiki Okada. Der war extra dafür aus seiner Heimat angereist.
Der Rasen wird gepflegt
In nur fünf Tagen hatte Okada mit dem Ensemble seine Eröffnungszeremonie erarbeitet: Eine Stunde am Samstagnachmittag, in der sich das Darstellerteam der Münchner Kammerspiele zum letzten Mal - mit Mindestabstand - versammelte.
Kurz nachdem Schauspielerin Julia Riedler wie Superwoman an einem Drahtseil hoch über das Stadion geschwebt ist, bemühen sich zehn Schauspieler um die Pflege des Rasens. Sie gießen, zupfen Unkraut und sinnieren (durch Mikroports verstärkt) auf deutsch, arabisch und japanisch darüber, was zu tun sei, jetzt, wo das "globale Event" verschoben sei.
Auch wenn nie konkretisiert wird, worum es sich bei diesem "Event" handelt – so ist doch klar: Okada spielt auf die Olympischen Spiele an, die in diesem Jahr in Tokio hätten stattfinden sollen. Und die wie so vieles sorgsam Geplante verschoben werden mussten.
Auch Lilienthals letzter großer Abschiedsgruß an München sollte eine an Bolanos-Roman "2666" angelehnte Tour mit dem Titel "Olympia 2666" werden. Eine Bustour an viele Orte der Stadt München.
Zuschauer wärmen sich auf
Wenn alles Planbare unplanbar wird, was bleibt dann? Wie lange lässt sich das "globale Event" verschieben? Um diese Frage kreist die einstündige "Opening Ceremony".
Hoffnung liegt bei Super Mario – jener Nintendo-Figur, die mit Freund Sonic in einem Spiel zu den Olympischen Spielen in Tokio 2020 reist. Der kleine Klempner solls richten.
"Mario repariert alles, was zerstört ist", sagt Performer Damian Rebgetz an einer Stelle als er - einer von vielen Marios an diesem Nachmittag - über das gigantische Sportfeld schlendert. Da haben die Zuschauer – aufgefordert von einer weiteren Mario-Figur (diesmal Samouil Stoyanov) – schon in einer kleinen Aufwärmzeremonie den für die Spielfigur typischen Juchzer gemacht.
Wenn nichts geht, dann kann man zumindest einmal irgendwie anfangen. Zum Beispiel nachzudenken, was wäre, wenn statt Gras auf dem Spielfeld Klee wachsen würde. Die Samen, so Schauspielerin Anette Paulmann, könnte man ganz subversiv in den Rasen einbringen. Schleichende Diversität also. Und in der Folge: mehr Bienen, mehr Leben, mehr Vielfalt.
Keine Geduld mit dem Berliner
Diversität, Vielfalt und Unruhe – die hatte Lilienthal mit seinem Konzept für die Kammerspiele in die Stadt München gebracht. Internationaler, interdisziplinärer und offener wurde das Haus. Nur hatte die Stadt - genau genommen die CSU - nicht genügend Geduld mit dem Berliner. Als die Saat aufging und das Theater mit Preisen überhäuft wurde, war es zu spät. Jetzt geht Lilienthal.
Statt mit einem Donnerhall und einer großen Sause hat sich sein Ensemble auf dem schönsten aller Münchner Sportplätze mit einer kleinen, absurd-komischen und melancholischen Performance verabschiedet. Ein Ersatz konnte das nicht sein.
Aber wie bei den Abiturverleihungen auf verschiedenen Sportplätzen des Landes lässt sich sagen: Die Stimmung war gut. Die Wiedersehensfreude groß. Es wurde das Beste aus der Situation gemacht und eine Eröffnung zum Abschied gefeiert. Bei der mittendrin dann plötzlich die Sonne aus den Wolken brach. Schön!