Matthias Nawrat über "Reise nach Maine"

Der Extremismus einer Mutter

12:59 Minuten
Der Schriftsteller Matthias Nawrat auf der Leipziger Buchmesse 2019.
Der Roman "Reise nach Maine" hat viele autobiografische Züge aus Matthias Nawrats Leben. © imago images / STAR-MEDIA
Matthias Nawrat im Gespräch mit Frank Meyer |
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Ein US-Roadtrip mit einer vernachlässigten Mutter und einem verärgertem Sohn. In "Reise nach Maine" ergründet der Autor Matthias Nawrat die Beziehung zwischen den beiden. Er stellt sich die Frage: Wie lassen sich alte Rollen und Rituale aufbrechen?
Ein deutscher Schriftsteller will mit seiner osteuropäischen Mutter eine Woche die USA bereisen. Es soll von New York City nach Maine gehen. Danach will er weiterziehen – ohne sie. Das Verhältnis der beiden ist distanziert. Der Sohn wohnt nicht mehr in ihrer Nähe. Außerdem macht sie ihren beiden Kindern immer wieder den Vorwurf: Ihr verbringt nicht gerne Zeit mit mir. Deswegen will der Sohn mit dieser Reise ihr das Gegenteil beweisen.
So beginnt der Roadtrip in ein angeschlagenes Land, in dem der neugewählte Präsident Donald Trump regiert. Kurz vor Abreise beichtet Celina ihrem Sohn auch noch, dass sie gar nicht vorhat, ihren Jugendfreund in Texas zu besuchen, sondern zwei Wochen mit ihm weiterreisen werde. "Da fühlt er sich schon einmal ausgetrickst", sagt der Autor Matthias Nawrat über seinen Hauptprotagonisten.

Zwischen Ärger und Sorge

Als wäre das noch nicht Belastung genug, stürzt die Mutter zu Beginn in New York und fällt mit dem Gesicht auf eine Tischkante. Mit gebrochener Nase und zwei Veilchen machen sie sich auf den Weg.
"Das ist dramaturgisch ein unüblicher Kniff", sagt Nawrat, "Der große Knall passiert gleich am Anfang." Dadurch verschiebe sich die bisherige Beziehung der beiden. Nachdem der Sohn verärgert ist und das Gefühl hat, sie habe ihn ausgetrickst, hat er plötzlich "unglaubliche Sorge um die Mutter". Von da an sehe er sie und die gemeinsamen zwei Wochen anders, die von da an "im Lichte dieses Unfalls" stünden.
"Das macht das Buch erst überhaupt interessant, weil zu seinem Gefühl des Ärgers gleichzeitig ein Gefühl der Sorge und der Liebe einführt." Er gerate in einen inneren Konflikt: Wann kann ich ihr mal meine Meinung geigen? Sogar in Situationen, in denen sich seine Mutter übergriffig verhalte, halte er sich zurück. "Die Spannung im Buch ist so angelegt: Wann wird er endlich ausflippen?", so Nawrat weiter.
In New York verstärke sich das Verhalten auch noch "wie so eine Art Extremismus". Die Mutter macht das Bett für ihren Sohn, legt seine Sachen zusammen. Außerdem sagt sie ihm, er solle das mit dem Schriftstellerdasein aufgeben und sich endlich einen ordentlichen Beruf suchen – ein Generalangriff gegen seine Lebensform.

Verwirklichung durchs Putzen

Der Schock über den Unfall werfe die Frau zurück auf ihre eigenen Ängste, eigene Wut und ihre Biografie. "Man könnte sagen, sie durchlebt noch einmal das Trauma ihres Lebens", erklärt der Autor. Denn Celina wandert von Polen nach Deutschland aus, ist eigentlich Akademikerin und muss aber in Deutschland als Reinigungskraft arbeiten. Noch dazu verlässt sie ihr Mann für eine andere Frau.
Dieses Gefühl der Mutter, dass sie keiner mag, das hat natürlich mit der Familien- und ihrer Lebensgeschichte zu tun. Auf der Reise mache sie das, was sie in ihrer ehemaligen Ehe gemacht hat. Es sei ein typisches Gefühl der Frauen dieser Generation, die das Gefühl hätten mehr Care-Arbeit leisten zu müssen, als der Mann. "Dieses Putzen – fast schon putzen wollen, also das Gefühl haben, sich zu verwirklichen oder beruhigen können, indem man putzt."
So sind die beiden festgefahren in ihren Rollen als Mutter und Sohn. "Und man denkt, man entkommt auf der Reise dem eigenen Ich", sagt Nawrat, "doch sie sind dann teilweise sogar auch noch eingesperrt in diesem Auto". Es gehe immer um dieselben Gespräche, Vorwürfe und Arten sowie Weisen, damit umzugehen. Es stelle sich am Ende die Frage: Gibt es überhaupt eine Lösung für diese festgefahrenen Rituale?

Matthias Nawrat: "Reise nach Maine"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
199 Seiten, 22 Euro

(sbd)
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