Mauerbau, Mauerfall
Es ist schon richtig: Noch werden keine Schulden abgebaut, sondern die Verschuldung steigt nur langsamer. Noch gibt es Defizite in der Infrastruktur und höhere Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern.
Wenn sich dennoch ein typisches Sommerlochthema entgegen regierungsamtlichen Voraussagen hartnäckig auf der Agenda hält, muss das tiefere Ursachen haben als den in der Ferienzeit befürchteten Weißraum in den Zeitungen und das Profilierungsbedürfnis der Stallwachen.
Hinter der Debatte um den Solidaritätsbeitrag lauert der Überdruss an der Solidarität. Denn irgendwie hatten sich das 1989 alle einfacher, schneller und erfolgreicher vorgestellt. Die Wiedervereinigung der Deutschen in einem Staat wurde von der westdeutschen Bevölkerung trotz aller rhetorischen Bekundungen der politischen Klasse nicht erstrebt.
Die Westdeutschen hatten die alten Kulturlandschaften Mitteldeutschlands aus ihrem Bewusstsein getilgt, ohne dass der Verlust ihnen schmerzlich gewesen wäre und der Mehrzahl der Ostdeutschen ging es weniger um Freiheit und Selbstverantwortung als um Teilhabe an einem Wohlstand, dessen Preis ihnen verborgen blieb. Denn es war ja gerade die allumfassenden soziale Sicherheit in der DDR gewesen, die ihre wirtschaftliche Leistungskraft ruiniert hatte. Sie zu bewahren und dennoch zum westlichen Lebensstandard aufzuschließen, war der Traum, den zu viele träumten, als dass der auf Wählerstimmen angewiesene Helmut Kohl sie hätte wecken wollen.
So stand schon am Beginn der Wiedervereinigung eine Lebenslüge. Statt der gemeinsamen nationalen Anstrengung wie in Polen, Tschechien und den anderen ehemaligen Ostblockstaaten reichte es nur zu taktischem Kalkül: Die Westdeutschen sollten nicht überfordert und die Ostdeutschen nicht enttäuscht werden. Erreicht wurde beides nicht. Denn die hohe Arbeitslosigkeit in Gelsenkirchen und die verrotteten Straßen in Frankfurt am Main strapazierten im Westen schnell die Geduld, die man nie gefordert hatte, während Arbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und Abwanderung im Osten als Folgen mangelnder Solidarität, ja schlimmer noch, als Ausbeutung der Schwachen durch die Starken gedeutet wurde.
Was folgte war vorhersehbar: Im Westen wich die Neugier auf die Seelenlandschaften Goethes und Fontanes dem moralischen Desinteresse, im Osten die Euphorie des Neubeginns der sentimentalen Erinnerungskultur an die überschaubare und soziale Welt der DDR in Film und Fernsehen. Man richtete sich ein in den unterschiedlichen Erfahrungswelten und die gemeinsame Kraftanstrengung verebbte in gegenseitigen Vorwürfen. Im Osten wurden die Erben der SED zur Volkspartei und im Westen klangen manche so, als ob sie die Mauer zurückhaben wollten.
Ironischerweise scheint nun die neue Linke die Wiedervereinigung vollenden zu wollen. Dass ausgerechnet diejenigen, die wie Lafontaine im Westen und die Erben der SED im Osten der Einheit immer misstrauten, sich nun anschicken können, einen gesamtdeutschen Sozialismus wiederzubeleben, sagt viel über die Fehler der ersten Stunde. Sie haben aus Bürgern, die dem Sozialismus nicht schnell genug entkommen konnten, im Osten wie im Westen Wähler gemacht, die nun darauf setzen, dass das Ganze nur schlecht ausgeführt, aber im Prinzip doch eine gute Idee war.
Es ist schon merkwürdig: Während in den ehemaligen Volksdemokratien, die sich gemeinsam von der sozialistischen Misswirtschaft befreit haben, deren Gedankengut keinen Resonanzboden mehr in der Gesellschaft findet, üben in Deutschland, wo die Transformation so viel einfacher war, sozialistische Ideen eine neue Anziehungskraft aus. Sollte das damit zu tun haben, dass die Wiedervereinigung als Geschenk und nicht als Leistung in unserer Erinnerung haftet?
Geschenke sind immer zu klein, Leistungen dagegen etwas Eigenes, auf das man stolz sein kann. Die Wiedervereinigung ist inzwischen tägliche Lebensrealität und kein immer wieder neu als Glück empfundenes Gottesgeschenk mehr. Sie hat in Deutschland anders als in Polen nicht zu einem neuen Nationalgefühl geführt, das mehr wäre als fröhliches Fahnenschwenken.
Und deshalb wäre es klug, auf jedes Pathos zu verzichten und dem Solidaritätsbeitrag endlich eine zeitliche Begrenzung zu geben. Denn wohin nutzlose Appelle an ein nicht mehr vorhandenes Solidaritätsgefühl führen können, lehrt unser südlicher Nachbar Italien.
Statt Solidarität mit dem Mezzogiorno hat längst eine neue Spaltung von dem Lande Besitz ergriffen mit Protestparteien diesseits und jenseits des Appenin: Die einen fordern ununterbrochen fiskalische Solidarität mit dem rückständigen Süden, die anderen beginnen sich zu fragen, ob ein geteiltes Italien für den wohlhabenden Norden nicht besser wäre. Noch ist es bei uns nicht soweit, doch die sich wie sommerliche Waldbrände fortfressende Debatte um den Solidaritätszuschlag hat eine Tiefenstimmung sichtbar gemacht, die für eine Steuer, die sich auf Moralität gründet, nichts Gutes verheißt.
Dr. Alexander Gauland, Publizist, geboren 1941 in Chemnitz, lebt als Publizist und Buchautor in Potsdam. Mehrere Jahre lang war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen Zeitung". Von 1987 bis 1991 war er Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei. Anfang der 70er-Jahre hatte Gauland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gearbeitet. Als Publizist hat er zahlreiche Artikel und Beiträge zu gesellschaftspolitischen Fragen, zur Wertediskussion und des nationalen Selbstverständnisses veröffentlicht. Letzte Buchveröffentlichung: "Anleitung zum Konservativsein".
Hinter der Debatte um den Solidaritätsbeitrag lauert der Überdruss an der Solidarität. Denn irgendwie hatten sich das 1989 alle einfacher, schneller und erfolgreicher vorgestellt. Die Wiedervereinigung der Deutschen in einem Staat wurde von der westdeutschen Bevölkerung trotz aller rhetorischen Bekundungen der politischen Klasse nicht erstrebt.
Die Westdeutschen hatten die alten Kulturlandschaften Mitteldeutschlands aus ihrem Bewusstsein getilgt, ohne dass der Verlust ihnen schmerzlich gewesen wäre und der Mehrzahl der Ostdeutschen ging es weniger um Freiheit und Selbstverantwortung als um Teilhabe an einem Wohlstand, dessen Preis ihnen verborgen blieb. Denn es war ja gerade die allumfassenden soziale Sicherheit in der DDR gewesen, die ihre wirtschaftliche Leistungskraft ruiniert hatte. Sie zu bewahren und dennoch zum westlichen Lebensstandard aufzuschließen, war der Traum, den zu viele träumten, als dass der auf Wählerstimmen angewiesene Helmut Kohl sie hätte wecken wollen.
So stand schon am Beginn der Wiedervereinigung eine Lebenslüge. Statt der gemeinsamen nationalen Anstrengung wie in Polen, Tschechien und den anderen ehemaligen Ostblockstaaten reichte es nur zu taktischem Kalkül: Die Westdeutschen sollten nicht überfordert und die Ostdeutschen nicht enttäuscht werden. Erreicht wurde beides nicht. Denn die hohe Arbeitslosigkeit in Gelsenkirchen und die verrotteten Straßen in Frankfurt am Main strapazierten im Westen schnell die Geduld, die man nie gefordert hatte, während Arbeitslosigkeit, Deindustrialisierung und Abwanderung im Osten als Folgen mangelnder Solidarität, ja schlimmer noch, als Ausbeutung der Schwachen durch die Starken gedeutet wurde.
Was folgte war vorhersehbar: Im Westen wich die Neugier auf die Seelenlandschaften Goethes und Fontanes dem moralischen Desinteresse, im Osten die Euphorie des Neubeginns der sentimentalen Erinnerungskultur an die überschaubare und soziale Welt der DDR in Film und Fernsehen. Man richtete sich ein in den unterschiedlichen Erfahrungswelten und die gemeinsame Kraftanstrengung verebbte in gegenseitigen Vorwürfen. Im Osten wurden die Erben der SED zur Volkspartei und im Westen klangen manche so, als ob sie die Mauer zurückhaben wollten.
Ironischerweise scheint nun die neue Linke die Wiedervereinigung vollenden zu wollen. Dass ausgerechnet diejenigen, die wie Lafontaine im Westen und die Erben der SED im Osten der Einheit immer misstrauten, sich nun anschicken können, einen gesamtdeutschen Sozialismus wiederzubeleben, sagt viel über die Fehler der ersten Stunde. Sie haben aus Bürgern, die dem Sozialismus nicht schnell genug entkommen konnten, im Osten wie im Westen Wähler gemacht, die nun darauf setzen, dass das Ganze nur schlecht ausgeführt, aber im Prinzip doch eine gute Idee war.
Es ist schon merkwürdig: Während in den ehemaligen Volksdemokratien, die sich gemeinsam von der sozialistischen Misswirtschaft befreit haben, deren Gedankengut keinen Resonanzboden mehr in der Gesellschaft findet, üben in Deutschland, wo die Transformation so viel einfacher war, sozialistische Ideen eine neue Anziehungskraft aus. Sollte das damit zu tun haben, dass die Wiedervereinigung als Geschenk und nicht als Leistung in unserer Erinnerung haftet?
Geschenke sind immer zu klein, Leistungen dagegen etwas Eigenes, auf das man stolz sein kann. Die Wiedervereinigung ist inzwischen tägliche Lebensrealität und kein immer wieder neu als Glück empfundenes Gottesgeschenk mehr. Sie hat in Deutschland anders als in Polen nicht zu einem neuen Nationalgefühl geführt, das mehr wäre als fröhliches Fahnenschwenken.
Und deshalb wäre es klug, auf jedes Pathos zu verzichten und dem Solidaritätsbeitrag endlich eine zeitliche Begrenzung zu geben. Denn wohin nutzlose Appelle an ein nicht mehr vorhandenes Solidaritätsgefühl führen können, lehrt unser südlicher Nachbar Italien.
Statt Solidarität mit dem Mezzogiorno hat längst eine neue Spaltung von dem Lande Besitz ergriffen mit Protestparteien diesseits und jenseits des Appenin: Die einen fordern ununterbrochen fiskalische Solidarität mit dem rückständigen Süden, die anderen beginnen sich zu fragen, ob ein geteiltes Italien für den wohlhabenden Norden nicht besser wäre. Noch ist es bei uns nicht soweit, doch die sich wie sommerliche Waldbrände fortfressende Debatte um den Solidaritätszuschlag hat eine Tiefenstimmung sichtbar gemacht, die für eine Steuer, die sich auf Moralität gründet, nichts Gutes verheißt.
Dr. Alexander Gauland, Publizist, geboren 1941 in Chemnitz, lebt als Publizist und Buchautor in Potsdam. Mehrere Jahre lang war er Herausgeber der "Märkischen Allgemeinen Zeitung". Von 1987 bis 1991 war er Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei. Anfang der 70er-Jahre hatte Gauland im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gearbeitet. Als Publizist hat er zahlreiche Artikel und Beiträge zu gesellschaftspolitischen Fragen, zur Wertediskussion und des nationalen Selbstverständnisses veröffentlicht. Letzte Buchveröffentlichung: "Anleitung zum Konservativsein".