Mauerfall 1989 könnte zum neuen deutschen Mythos werden

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler bedauert, dass die Deutschen heute ein "mythenarmes Volk" seien.
Der Autor des gerade auf der Leipziger Buchmesse prämierten Sachbuchs "Die Deutschen und ihre Mythen" sagte, es sei ein Problem, dass es heute in Deutschland keinen Nationalmythos mehr gebe. Die Begeisterung für den neuen US-Präsidenten Barack Obama, der den Gründungsmythos der USA erneuere, zeige, dass in der deutschen Politik etwas fehle, sagte der Ideengeschichtler. Während die Deutschen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vieles durch Mythen kompensiert hätten, sei diese Ausrichtung nach 1945 beendet gewesen.

"Nachdem man vorher mythisch infiziert war, kam man nun auf die Quarantäne-Station", so Münkler. Nach seiner Einschätzung könnte der Mauerfall 1989 zum neuen Mythos werden. "Der Oktober '89, der wird eigentlich immer, wenn er zumal über die audiovisuellen Medien re-inszeniert wird, in einer Weise das kollektive Gedächtnis der Deutschen bespielen. Insofern kann man vielleicht sagen, er wird eine subversive Kraft entwickeln und vielleicht dann auch einmal offizialisiert werden."

Mythen könnten heute dabei helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, sagte Münkler weiter. "Mythen versichern uns also unserer Leistungsfähigkeit." Solange Deutschland seit den 50er-Jahren auf wachsenden Wohlstand aufbaute, habe man vielleicht auf Mythen verzichten können. "In der jetzigen Situation, wo ganz andere Herausforderungen sind und man das Mythendefizit nicht ohne Weiteres kompensieren kann, in dem man sagt, im nächsten Jahr werdet ihr wieder drei Prozent mehr in der Tasche haben, in dieser Situation sind wir wachsend auf solche Großerzählungen angewiesen."

Sie können das vollständige Gespräch mit Herfried Münkler mindestens bis zum 18.08.2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot hören. MP3-Audio
Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen
Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen© Rowohlt Berlin Verlag
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