Revolution aus zwei Blickwinkeln
Manche Kommunisten begriffen den Mauerfall als Konterrevolution, für andere war er die Belohnung nach langem Kampf. Auch der CDU-Politiker Michael Stübgen und die Autorin und Regisseurin Freya Klier haben eine unterschiedliche Sicht auf das Ende der DDR.
Ich fahre nach Finsterwalde, etwa hundert Kilometer südlich vom Berliner Stadtrand. Dort hat Michael Stübgen sein Büro, sein Wahlkreisbüro. Er sitzt seit 1990 für die CDU im Deutschen Bundestag.
Seine Biografie ist besonders geprägt durch die deutsche Geschichte: erst Baufacharbeiter, dann Pfarrer, schließlich Abgeordneter.
"Ich bin mittlerweile einer von diesen Politikern, der einen ganzen Bauchladen von Zuständigkeiten hat. Das hätte ich mir 1990 auch anders vorgestellt. Da dachte ich, 'Du spezialisierst dich auf ein Thema."
Michael Stübgen ist jetzt 55, europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, im Landesvorstand der Partei und Kreisvorsitzender der CDU Elbe Elster. In die CDU tritt er als 31-jähriger ein, erst im Februar 1990; da ist die Mauer schon gefallen, ebenso der Herrschaftsanspruch der SED und ein Großteil der DDR-Strukturen in Auflösung begriffen. Ein Engagement in der CDU der DDR wäre für ihn nicht in Frage gekommen:
"Eher noch die LDPD oder die NDPD. Sie waren einfach fortschrittlicher und reformfreudiger. In die CDU bin ich eingetreten Punkt Eins: weil die CDU Westdeutschlands die einzige Partei war, die immer für die deutsche Einheit eingetreten ist, auch wenn es unpopulär war. Das hat mich überzeugt. Zum zweiten kamen CDU-Leute von der Blockpartei CDU zu mir und haben versucht mit mir Kontakt aufzunehmen und auch so indirekt mich geworben und ich habe gemerkt, die suchen einen neuen Ansatz."
Ängstlich, aber hoffnungsfroh
Der Umbruch in der DDR wird für Stübgen ein Aufbruch, der endgültig die Gedanken verscheucht, die Republik verlassen zu wollen. Ein bisschen ängstlich, im Prinzip aber hoffnungsfroh erlebt er als junger Pfarrer die aufregenden Monate 1989 im südlichsten Zipfel Brandenburgs, in Großthiemig, damals noch im Bezirk Cottbus:
"Das war wirklich ein Dorf dort. Und die Oppositionsbewegung, wie man sie aus den Fernsehnachrichten kennt, gab's in den Städten. Die gab's in der Fläche des Landes nicht so stark. Es gab Ansätze von Montagsdemonstrationen auch hier im Kreis, in Finsterwalde zum Beispiel, auch in Bad Liebenwerda. Aber eigentlich sind wir nach Dresden gefahren zu den Montagsdemonstrationen, das ist von Großthiemig nur so 50 km entfernt."
Stübgen geht in der Endphase der DDR auf die Straße – wie Hunderttausende. Zu den Oppositionellen, die schon vorher offen Widerstand gegen den Staat leisteten, zählt er nicht.
Anders Freya Klier. Sie treffe ich in Berlin-Steglitz. Filmemacherin, Publizistin, Künstlerin, Bürgerrechtlerin.
"Ich hab eigentlich zwei klar umrissene Berufe: Das eine ist Schriftstellerin, das andere Dokumentarfilmregisseurin."
Will man mit Klier über 1989 sprechen, muss man einen Schritt Anlauf nehmen, zurück ins Jahr 1988 gehen. Denn damals wird sie rausgeworfen aus der DDR. Grund: Der Protest, den sie im Staat - so gut das in einer Diktatur eben geht - zusammen mit ihrem Mann, dem Liedermacher Stephan Krawczyk organisiert:
"Stephan und ich, nach unser beider Berufsverbot, wir haben ja angefangen - das war wirklich etwas Neues in der DDR - eine zweite Kulturebene aufzubauen, selber Szenen, Collagen zu entwickeln mit Themen, die tabuisiert waren, die aber den Menschen auf den Nägeln brannten. Es fing ein Kampf an der Staatsorgane gegen uns, den wir verlieren mussten, mit richtig schweren Schikanen, am Ende auch mit einem Mordversuch am 8. November 87. Ich kann auch seitdem nicht mehr Auto fahren."
Verhaftung, Gefängnis, Ausbürgerung
Die Staatssicherheit hatte die Bremsleitungen durchtrennt - Zersetzung im Stasi-Jargon. Es folgt Verhaftung, Gefängnis, Ausbürgerung. Von West-Berlin beobachtet sie den Umbruch in der DDR, voller Skepsis, voller Hoffnung. Gegen den bei manchen verpönten Ausdruck "Wende" hat sie nichts, auch wenn ihn der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR gebrauchte.
"Diese ganzen Debatten um den Begriff ‚Wende'! Das ist erst einmal nicht von Egon Krenz. Das ist ein ganz alter Begriff, der also schon im 18. Jahrhundert für Umbrüche verwendet wurde. Und da sollten wir uns darauf besinnen und nicht ein Wort von irgendeinem Menschen, der es auch benutzt hat um etwas deutlich zu machen, uns einen ganzen Begriff, der eigentlich so schlecht nicht ist, vermiesen lassen."
Umbruch, Wende, friedliche Revolution, welchen Begriff aber hält Klier, die sehr präzise mit Worten umgehen kann, für den geeignetsten?
"Umbruch ist auf jeden Fall ein passender Begriff, den ich verwende. Ich arbeite ja mit dem Wort, da muss man auch besonders sensibel sein. Und man sagt im Alltag nicht ununterbrochen: Die friedliche Revolution. Das sagt man einfach nicht, das sagt man, wenn man's schreibt oder wenn man eine Rede hält, aber Es war eine Revolution. Und es war eine friedliche Revolution, weil es auch etwas Besonderes ist. Wo ich auch sagen muss: es hat auch uns ausgezeichnet."
Ist Revolution der richtige Ausdruck, die Frage geht auch an den CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Stübgen:
"Ja, er ist nicht nur angemessen, sondern durch ein Glück war es eine friedliche Revolution. Die hat uns natürlich auch alles Mögliche eingetragen. Keiner von den SED-Bonzen ist wirklich ernsthaft verfolgt worden, keiner, niemand! Die meisten haben dicke Renten bekommen, auch noch durch einen sehr merkwürdigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes Anfang der Neunzigerjahre. Um die Opfer haben wir uns Jahre später ein bisschen kümmern können, aber im Verhältnis zu dem, was angerichtet worden ist, ist es relativ wenig. Das ist auch Auswirkung dieser friedlichen Revolution."
"Na klar, ist alles erfüllt!"
Welche Ziele hatte die friedliche Revolution Ihrer Meinung nach?
"Also ab dem 9. November war für mich klar, dass ich die deutsche Einheit wollte. Das war schlagartig, das kam einfach, als ich die Bilder gesehen habe, weil das bundesrepublikanische System, das war für mich das vorbildliche staatliche System."
In der Bürgerbewegung war dagegen die deutsche Einheit nicht das wichtigste Ziel. Viele träumten vom demokratischen Sozialismus – von einer Modernisierung der DDR. Die Bürgerrechtlerin Freya Klier zeigt sich aber zufrieden.
"Würde ich sagen: na klar, ist alles erfüllt!"
"Ich war nicht naiv, ich wusste, dass auch die Bundesrepublik nicht perfekt ist. Aber es ist ein System, in dem die Menschen letztlich die Politik bestimmen und in der Lage sind, auch Fehler zu korrigieren über Wahlen. Das war für mich immer vorbildlich."
Irrtümer haben eine Logik
Sind Sie persönlich zufrieden, wie es gelaufen ist?
"Was ist zufrieden? Ich glaube, dieser Job den ich mache, deswegen kämpfe ich seit 24 Jahren darum immer wieder gewählt zu werden - Man wird nicht gezwungen Bundestagsabgeordneter zu werden, der liegt mir. Und ich glaube, bei allem, was auch falsch gelaufen ist, ist diese deutsche Einheit beispielhaft in der Geschichte für die Möglichkeit und den Willen eines Volkes, nach einer Teilung, nach zwei furchtbaren Weltkriegen, die dieses Volk hier verursacht hat, wieder ein friedliches, demokratisches Land zu werden, was auch geachtet wird."
"Eigentlich steht unser Land auf der Siegerseite wenn man so will. Und auch diejenigen, die immer noch der DDR nachtrauern, wenn man sie sich betrachtet: Sie genießen die Demokratie geradezu euphorisch. Die sind alle gereist, die sind alle relativ reich, sie haben auch alle ein Auto. Sie haben diese ganzen West-Waren. Also ich sehe sehne mich mal nach einem, der das alles abgelehnt hätte. Insofern ist das auch unglaubhaft, wenn die sagen 'es war auch irgendwie schöner früher'. Sie sind einfach alle gelöster."
Wenn Sie heute zurück blicken – hätten Sie etwas anders gemacht?
"Die Irrtümer oder Fehler, die wir dort gemacht haben, die haben auch eine Logik. Die haben jetzt nichts zu tun damit, dass man blöde war, sondern uns fehlte einfach der Draufblick: Wo stehen wir, wo sind die Engen, was überschauen wir gerade nicht? Wo sind die Hoffnungen, was ist eine Illusion? Und das geht eben wirklich nur - heute sehen's ja alle so - da braucht man eben den Draufblick. Und der war nicht da."
"Also ich glaube, ich hätte es im Wesentlichen genauso gemacht."