Die ergebene Kämpferin
09:31 Minuten
Mavis Staples ist seit 72 Jahren auf den Bühnen der Welt zu Hause. Als Bürgerrechtsaktivistin und mit ihrer Familienband „Staples Singers“ hat sie US-amerikanische Geschichte mitgeschrieben. Und noch immer ist sie kraftvoll, wie das Album „We get by“ zeigt.
Mascha Drost: Ein nationaler Schatz mit einer Jahrhundert-Stimme, das sagt Bluesmusiker Ben Harper über Mavis Staples, er hat ihr neues Album geschrieben und produziert und war auch grad zu hören im Song "We get by", dem Titelsong des neuen Albums. Meine Kollegin Jutta Petermann hat es gehört. "We get by" – das kann übersetzen mit "Wir kommen klar" oder "Wir kommen zurecht". Worauf bezieht sich das?
Jutta Petermann: Das unvermeidliche Thema, das sie nicht loslassen wird. Das Album beginnt unmissverständlich mit der Frage: Wofür ist Freiheit gut, wenn wir nicht gelernt haben, frei zu sein und endet u.a. mit dem Gedanken: Manche Dinge benötigen ein ganzes Leben, da ist natürlich der Kampf gemeint für die gleichen Rechte der Afroamerikanerinnen.
Und weiter heißt es, manche Dinge können nicht aufgeschoben werden. Soll heißen, sich selbst für diesen Kampf zu engagieren. Worte, die Ben Harper für sie geschrieben hat und gerichtet hat an die afroamerikanische Community. Zwischen drin hat Ben Harper ihr Zeilen geschrieben, die das Zusammenstehen und sich gegenseitig unterstützen beschwören. Der Kampf geht also weiter. Das muss man sich auch vor Augen führen, dass das immer noch notwendig ist. Auch wenn es deutlich weniger strukturelle Ausgrenzung gibt als früher, als Mavis Staples zur Schule ging. Da gab es in den Südstatten der USA noch Rassentrennung.
Heute sind die Schulen in vornehmlich von Afroamerikanern und Migranten bewohnten Vierteln schlechter finanziell ausgestattet als die in reicheren weißen Vierteln. Aber es gibt auch noch den tief sitzenden Rassismus, der sich über Polizeigewalt oft gezeigt hat. Aber auch der amtierende Präsident und seiner Gefolgschaft, die scheuen nicht davor zurück, herabwürdigende Dinge zu sagen über Afroamerikaner und über die sogenannte "People of Colour". Deshalb ist es für sie notwendig, sich weiter zu engagieren.
Sie selbst, Mavis Staples betont immer wieder, dass sie es liebe, Songs zu singen, der Menschen einander näher bringe. Wie wolle sich nicht von Negativität aufhalten lassen. Sie müsse weiter machen und an das glauben, was sie tue. Man helfe sich gegenseitig, so Stapoles weiter, und dann kämen auch alle klar, so könne man das schaffen. Und so habe sie ihre Lebensaufgabe ausgeweitet von den Afroamerikanern auf alle Ausgegrenzten.
Eine lebende Legende
Drost: Man könnte meinen, da sei jemand erstarrt in seiner Rolle, die christliche Botschaft der Nächstenliebe zu verkünden? Ist das bei Ihr so?
Petermann: Liegt weniger an ihr, als daran, dass sich alles auf sie fokussiert. Sie ist eine der letzten Lebenden aus der Ära des Civil Rights Movements – Odetta und Nina Simone. MLK sind lange tot, auch Pops Staples ihr Vater sowie ihre Schwester Cleotha und Yvonne. Ihr Bruder Pervis ist schon lange im Ruhestand. Es gibt noch die Freedom Singers, aber die hatten nie die internationale Prominenz der Staples – also wird ihr das auch immer wieder angetragen, scheinbar von einer höheren Macht.
Aber es sind vor allem die anderen Musiker und Musikerinnen, die anknüpfen wollen an eine Epoche der Popgeschichte, wie zum Beispiel Hozier mit seinem Song "Nina cried Power" 2018. Da war Mavis Staples Gastsängerin. Was diese so an ihr schätzen, das hat Ben Harper jetzt ganz gut formuliert, der Songschreiber und Produzent von "We get by". Er ist davon überheugt, keine könne die Botschaft so gut herüber bringen, wie Mavis Staples. Niemand könne das besser als sie.
Ihr Gesang lebt mit der Botschaft
Drost: Also ist sie keine Erstarrte, sondern eine Gefangene ihrer Rolle?
Petermann: Ja, das kann man vielleicht so sagen. Vor drei vier Jahren beim Album "Living on a high note", da spürte man schon eine gewisse Resignation und Müdigkeit und das sie sich aufraffen musste, wieder diese Problematiken zu besingen, von denen sie hoffte, das sie überwunden wären. Dann 2017 erlebten wir mit "If all i was was black" eine kampfeslustige Mavis Staples, die gemeinsam mit Jeff Tweedy von Wilco antrat, jedweder rhetorischen Trennung von alt jung, schwarz, weiß Mann, Frau. Ihre Menschenliebe ihre Musik entgegenzusetzen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie, auch angesichts ihres Alter sehr gerne gebraucht wird – sie ist alles andere als vergessen.
Sie nimmt ihr Schicksal mit viel Hingabe an, mit Ergebenheit, sehr lustvoll. Das merkt man am Gesang. Diese Interpretationen sind fein nuanciert. Und sie arbeitet mit ihrer Stimme. Sie ist kraftvoll, ihre körnige, raspelige, kratzige Stimme, die mal ganz hart wird und dann wieder butterweich. Sie kann das Volumen und die Tiefe virtuos in den Dienst der Emotionen stellen. Ben Harper hat ihr ganz wunderbar ein Spektrum geschrieben von minimalistischen Rythm’n’Blues-Songs und kernigen Bluesstücke. Da kann sie zart und sensibel sein - sie kann alles zeigen. Sie zeigt ihre Klasse und Qualität noch einmal auf "We get by".
Auf die Stimme geschrieben
Drost: Neben all ihrem Können und ihrer Klasse als Interpretin ist es ja auch ein ganz besonderes Talent der fast 80 jährigen, das sie sich immer wieder hochkarätige Kooperationspartner sucht, die ihr die perfekten Songs auf den Leib schreiben, Bob Dylan, Curtis Mayfield, Prince, in diesem Fall Ben Harper.
Petermann: Absolute Glücks-Kombination, sie hat ein gutes Händchen. Das war gut, dass er der Versuchung widerstanden hat, zu Retro klingen zu wollen. Es ist eine gute Balance zwischen einem nüchternen heutigen Sound und Formeln der Freedom–Songs, aufputschende Hymnen Charakter mit einigen Chören. Sie beginnt mit einem trotzigen, knurrigen, monotonen Blues-Riff - manchmal schwingt nur ein Gitarrenton im Hintergrund ihres dunklen, flehenden Gesanges. Das hat eine atemberaubende Intensität. Ein gutes Wechselspiel.
Zu allen anderen Kooperationspartnern muss man sagen: Prince, Jeff Tweedy, Hozier, Arcade Fire, sie alle sind mit den Songs ihrer Familienband The Staples Singers aufgewachsen. Sie ist quasi ein Kulturgut und somit kennt jeder ihre Arbeit, sodass die Songs ihr auf den Leib geschrieben werden können.