Max Czollek: Desintegriert euch!
Hanser, München 2018
192 Seiten, 18 Euro
Die Utopie der radikalen Vielfalt
Alles spricht von Integration - doch an was sollten sich Zuwanderer eigentlich anpassen und warum? Mit „Desintegriert euch!“ hat Max Czollek eine Streitschrift vorgelegt, die auch der sogenannten Mehrheitsgesellschaft den Spiegel vorhält.
Max Czolleks Schrift "Desintegriert euch!" ist eine Polemik. Sie richtet sich nicht gegen die Neue Rechte (das ist geschenkt), sondern gegen das, was die neue Rechte möglich macht: Gegen eine Gesellschaft, die glaubt, sie sei antirassistisch und weltoffen, gegen die Illusion, dieses Land habe seine Lektion gelernt. Max Czollek schreibt aus der Sicht eines 1987 in der DDR geborenen Juden, "der zum Juden gemacht wurde", etwa durch die Fragen von Fernsehteams, die ihn als Schüler der jüdischen Schule fragten, ob er sich als Jude denn wohlfühlen würde in Deutschland. Den Begriff "Gedächtnistheater" übernimmt Czollek vom Soziologen Michal Bodemann, der ihn 1996 geprägt hat, das "Integrationstheater" ist davon abgeleitet.
Beide Inszenierungen beruhen darauf, dass die jeweilige Minderheit in eine Rolle gedrängt wird, in der sie das Selbstbild der Mehrheit bestätige, so Czolleks These. In seinem Buch gehe es "um die Art und Weise, in der in diesem Land über Zugehörigkeit diskutiert wird". So werde den Juden im Gedächtnistheater die Rolle der Versöhnten angetragen: Sie sollen den Nachkommen der Täter sagen, dass "jetzt wieder alles gut" sei. Im Integrationstheater wiederum dienten die Migranten als Beweis für die Toleranz der geläuterten Deutschen, die ihren Rassismus überwunden hätten. Doch für die Minderheiten seien im Integrationstheater nur zwei Nebenrollen vorgesehen: die des vorbildlich integrierten Migranten auf der einen Seite und das Zerrbild der barbarischen, vergewaltigenden muslimischen Männerhorden auf der anderen. Ein Migrant gehöre nie wirklich dazu, noch bis in die vierte Generation müsse er beweisen, dass er integriert sei.
Beide Inszenierungen beruhen darauf, dass die jeweilige Minderheit in eine Rolle gedrängt wird, in der sie das Selbstbild der Mehrheit bestätige, so Czolleks These. In seinem Buch gehe es "um die Art und Weise, in der in diesem Land über Zugehörigkeit diskutiert wird". So werde den Juden im Gedächtnistheater die Rolle der Versöhnten angetragen: Sie sollen den Nachkommen der Täter sagen, dass "jetzt wieder alles gut" sei. Im Integrationstheater wiederum dienten die Migranten als Beweis für die Toleranz der geläuterten Deutschen, die ihren Rassismus überwunden hätten. Doch für die Minderheiten seien im Integrationstheater nur zwei Nebenrollen vorgesehen: die des vorbildlich integrierten Migranten auf der einen Seite und das Zerrbild der barbarischen, vergewaltigenden muslimischen Männerhorden auf der anderen. Ein Migrant gehöre nie wirklich dazu, noch bis in die vierte Generation müsse er beweisen, dass er integriert sei.
Die Leitkultur ist ein Phantasma
Was hingegen perfekt funktioniert habe, sei die Integration der alten Nazis nach dem Krieg, in West wie Ost. Der Vorwurf, die NS-Vergangenheit sei keineswegs bewältigt, ist wohl die provokanteste These dieses Buchs: Czollek sieht in der AfD "eine Wiedergängerin des völkischen Denkens", und er zieht eine Linie vom Schweigen nach Kriegsende über die 68er, die zwar ihre Nazi-Väter zur Rede stellten, jedoch bei sich selbst die Kontinuität nationalsozialistischer Einstellungen ignoriert hätten, weiter über Richard von Weizsäckers Rede am 8. Mai 1985, in der die Niederlage in eine "Befreiung" umgedeutet und die Täter damit in die Nähe der Opfer gerückt worden seien, bis zu Martin Walsers Rede in der Paulskirche von 1998 und ihrem Echo in Björn Höckes Ausspruch vom "Denkmal der Schande".
In den Wählern der AfD sieht Czollek keine Abgehängten und Frustrierten, sondern Rassisten, denen es ernst sei mit dem völkischen Denken. Das sprichwörtlich gewordene "mit Rechten reden" lehnt Czollek ebenso ab wie die "Rhetorik der Zärtlichkeit", mit der die etablierten Parteien die rechten Wähler umwerben würden, sei es durch die Forderung einer Leitkultur (für Czollek ein Phantasma), sei durch die Einrichtung eines Heimatministeriums.
Max Czollek prangert das Freund-Feind-Denken der Rechten an – es ist ein Denken, dem er selbst nicht entgeht. Seine Feinde sind die hegemonial gesinnten Rechten, vor denen "ich und meine Freund*innen" mit gutem Grund Angst haben, eine Formel, die ein wenig hilflos wirkt. Der Text ist auch sonst stilistisch nicht immer der Höhe seiner gedanklichen Schärfe, etwa wenn der Autor sich als wütender junger Jude inszeniert: "Moment, ich muss schon wieder einen Würgereflex unterdrücken."
Max Czollek prangert das Freund-Feind-Denken der Rechten an – es ist ein Denken, dem er selbst nicht entgeht. Seine Feinde sind die hegemonial gesinnten Rechten, vor denen "ich und meine Freund*innen" mit gutem Grund Angst haben, eine Formel, die ein wenig hilflos wirkt. Der Text ist auch sonst stilistisch nicht immer der Höhe seiner gedanklichen Schärfe, etwa wenn der Autor sich als wütender junger Jude inszeniert: "Moment, ich muss schon wieder einen Würgereflex unterdrücken."
Manifest und Kampfansage
Mancher Leser*in mag sich nach der Lektüre fragen, ob man als Deutsche*r überhaupt noch irgendetwas richtig machen kann (das Buch ist über 190 Seiten hinweg konsequent gegendert – und so liest sich das dann). Das Schlagwort "Desintegriert euch!" ist kein politisches Programm, sondern künstlerische Aktion, wie es dem Manifestcharakter dieser Schrift entspricht. Seine Antwort auf Leitkultur und Heimatmuseum lautet "radikale Vielfalt": migrantische Selbstbestimmung, begrenzt einzig vom Grundgesetz. Eine Kampfansage: In einer desintegrierten Gesellschaft gäbe es keine Mehrheit mehr, die das Recht hat, von ihren Minderheiten Integration zu fordern. Genau davor graut den Rechten (und vielleicht nicht nur ihnen).