Max Goldt: "Die Toilette bleibt weiß, Dreizehn Texte"
Hörbuch, 1988-2020, 2 CDs, 157 Minuten
Verlag Hörbuch Hamburg, Hamburg 2020, 20 Euro
Das kreative Leiden eines Moralisten
04:58 Minuten
Max Goldt pries kürzlich in einem Interview all jene Zuhörer seiner Lesungen, die "konzentriert zuhören und anschließend fest und lang applaudieren." Sein neues Hörbuch wird viel von diesem Applaus bekommen, ist unser Rezensent Georg Gruber sicher.
"Es gab also Zeiten, da konnte man mich fröhlich pfeifend Berlin durchradeln sehen. Mal eierte ich vergnügt zwischen den Autos herum, mal wich ich auf den Gehsteig aus, und wenn dort zu viel Volk war, schob ich eben mein Gefährt. Ärger gab es kaum."
Max Goldt zeigt sich hier als wehmütiger Chronist einer untergegangenen Zeit, denn heute ist alles anders: Die Städte voller Kampfradler, die so schnell wie nur möglich durch die Straßen und über die Bürgersteige rasen. Der Schriftsteller geht vollkommen auf in seiner Rolle als weiser, abgeklärter und manchmal auch verärgerter Beobachter der Zeitläufte und ihrer Verirrungen. Und genauso spricht er: Belehrend, manchmal fast schon nölig, von oben herab, analysierend und sezierend:
"Ich bin unwillens, mich an diesen Geschwindigkeitsbesäufnissen zu beteiligen. Ich empfinde keine Wärme für Leute, die Schweiß durchsogen an Ampeln stehen, wenn sie denn überhaupt halten und keuchend erklären, sie hätten es in zehn Minuten von Tempelhof bis zur Siegessäule geschafft."
"Ich bin unwillens, mich an diesen Geschwindigkeitsbesäufnissen zu beteiligen. Ich empfinde keine Wärme für Leute, die Schweiß durchsogen an Ampeln stehen, wenn sie denn überhaupt halten und keuchend erklären, sie hätten es in zehn Minuten von Tempelhof bis zur Siegessäule geschafft."
Texte wie Kompositionen
Jede einzelne Silbe kostet Max Goldt aus, so als wolle er demonstrieren, dass er auch wirklich jedes Wort vor der Verwendung ausgiebig geprüft hat, ob es auch passt. An diesen Sound muss man sich erst einmal gewöhnen. Aber je länger man zuhört, desto größer die Freude. Und jedes Mal, wenn man dieses Hörbuch aufs Neue hört, erschließen sich neue Feinheiten. Denn Goldts Texte sind ja wie Kompositionen: extrahiert aus der Wirklichkeit und dann weiterentwickelt. So erzählt Goldt von seinen Erfahrungen in einem Fastensanatorium, von Schülern im Museum und von Amazon-Rezensionen – von denen er gar nichts hält:
"Ich habe nämlich niemals, auch nicht als ich 20 war, Toilettenwände mit Sprüchen beschmiert. Aus dem gleichen Grund habe ich noch nie eine Amazon-Rezension geschrieben."
"Ich habe nämlich niemals, auch nicht als ich 20 war, Toilettenwände mit Sprüchen beschmiert. Aus dem gleichen Grund habe ich noch nie eine Amazon-Rezension geschrieben."
Miniaturen des Absurden
Max Goldt kann beides: Monologe genauso wie kleine Szenen, Miniaturen des Absurden. Wie die Begegnung eines Ehepaars mit dem abgestürzten Neue Deutsche Welle-Musiker Micki Diagonal auf einem Starnberger Campingplatz:
"– Die Frau: 'Und naja, weil wir in unserer Schulzeit riesen Fans von Ihrer Single Huhu hier kommt Uhu waren, wollten wir mal gucken, wie es Ihnen jetzt geht, nachdem Nazis Ihre Warmhalteplatte zertrampelt haben' (…).
– Micki Diagonal: 'Gequirlter Bullshit. Keiner hat hier was zertrampelt. Und Ravioli ess ich nie. Die Leute von dem Schrottsender haben mir 500 Euro gegeben, dafür musste ich so tun, als ob ich eine kalte Ravioli-Dose auslöffle. Mein Essen hole ich mir von der Tafel!'"
– Micki Diagonal: 'Gequirlter Bullshit. Keiner hat hier was zertrampelt. Und Ravioli ess ich nie. Die Leute von dem Schrottsender haben mir 500 Euro gegeben, dafür musste ich so tun, als ob ich eine kalte Ravioli-Dose auslöffle. Mein Essen hole ich mir von der Tafel!'"
Seismograph für peinliche Trends
Die Texte sind schon auch so angelegt, dass gelacht werden kann. Max Goldt sucht aber eben keine schnellen Lacher, keine billigen Pointen. Dafür ist er zu abgeklärt – und ein zu guter Erzähler. Noch dazu einer, der den langen Bogen liebt. Seine Geschichten wechseln mit spielerischer Leichtigkeit die Ebenen und Schauplätze.
"Sehr wohl aber gibt es im Englischen den Begriff 'fashion victim", zu deutsch 'Modeopfer'. Damit werden Menschen bezeichnet, die gut aussähen, wenn sie sich irgendetwas Normales anzögen. Es aber stattdessen bevorzugen, etwas 'aus sich zu machen'. Das heißt, in sonderbaren Creationen – Creationen mit C geschrieben – herumgehen. Es gibt sogar Fachgeschäfte für "fashion victims", sie befinden sich in Kurfürstendamm-Seitenstraßen und heißen "Chez Daniel" oder "Boutique Arabesque"."
Max Goldt leidet an der Menschheit, das hört man, aber er leidet mit Vergnügen ganz allgemein als Moralist und als Seismograph für peinliche Trends und unangemessenes Verhalten in der Öffentlichkeit: ein überaus kreatives Leiden.