Max Pechstein, echt

Von Carsten Probst · 18.09.2010
Nein, in Kiel gab es keine Fortsetzung der Skandalmeldungen über weitere Werke aus der ominösen "Sammlung Jägers". Die wohl größte bisher zu sehende Max Pechstein-Retrospektive, obwohl sie mit einigen Neuentdeckungen aufwartet, ist fälschungsfrei, beteuern Julia und Alexander Pechstein.
Nein, in Kiel gab es keine Fortsetzung der Skandalmeldungen über weitere Werke aus der ominösen "Sammlung Jägers". Die wohl größte bisher zu sehende Max Pechstein-Retrospektive, obwohl sie mit einigen Neuentdeckungen aufwartet, ist fälschungsfrei, beteuern Julia und Alexander Pechstein, Urenkel und zugleich die Urheberrechtsgemeinschaft des Pechstein-Nachlasses, die in den letzten Wochen mit einigen Pechstein-Fälschungen konfrontiert worden war.

Die Neuentdeckungen, die in Kiel präsentiert werden, sind unverdächtig und insbesondere über die Arbeit von Aya Soika am Werkverzeichnis des Expressionisten ermittelt worden. Einige betreffen das bislang selten gezeigte und auf dem Kunstmarkt nicht allzu sehr begehrte Spätwerk Pechsteins. Bei zwei anderen handelt es sich um die Bemalung einer Leinwandrückseite, die unter Firnis verborgen war, bzw. um die Übermalung eines Bildes durch ein anderes. Jenseits der Bilder aus der allgemein als Hauptschaffensphase angesehenen Zeit zwischen 1908 und 1918 sieht sich die Ausstellung in der Kieler Kunsthalle als Beitrag zur Komplettierung der historischen Rezeption des Malers, vom ersten Bild des 12-Jährigen bis zum letzten, einer Strandszene, die Pechstein 1954 knapp ein Jahr vor seinem Tod und bereits schwer erkrankt gemalt hat.

Peter Thurmann, kommissarischer Direktor der Kunsthalle:
"Das Spätwerk Max Pechsteins ist eigentlich so gut wie nie ausgestellt gewesen. Das ging also mal so vorsichtig bis 1949, aber er hat dann ja noch fünf Jahre gemalt. Und das war uns auch ganz wichtig zu zeigen: Wie endet eigentlich dieses Lebenswerk, dieses Spätwerk, was dann erstaunlich zart oft wird, also ganz erstaunlich, was da passiert mit diesem späten Max Pechstein, der auch darauf aus ist, nach dem Zweiten Weltkrieg im Grunde ein bisschen von dem zu rekonstruieren, was er verloren hat durch den Weltkrieg. "

In dieser Hinsicht sind die künstlerischen Parallelen zwischen Max Pechstein und George Grosz, mit dem er eng befreundet war, offenkundig. Auch der 12 Jahre jüngere Grosz sah sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit einer Welt konfrontiert, in die er nicht mehr hineinzugehören schien. Sowohl das Spätwerk Grosz' als auch Pechsteins markierten einen Rückzug in eine Fantasie- und Erinnerungswelt, die mitunter fast rein privaten Charakter annimmt und von den einstigen Verehrern und Sammlern als klarer Qualitätsbruch wahrgenommen wurde. Pechstein litt insbesondere unter dem Verlust der ostpommerschen Küstenlandschaften, wo er sich vor dem Krieg lange gelebt hatte, und die nun unzugängliches polnisches Staatsgebiet waren. Vor allem aber auch unter dem des Archipels der Palau-Inseln in der Südsee, die er vor dem ersten Weltkrieg für sich entdeckt hatte und die während dieses Krieges als deutsche Kolonie von den Japanern besetzt worden waren. Pechstein selbst äußerte als 70-Jähriger 1951 über seinen Versuch, die Palau-Szenen in seinen Bildern wiedererstehen zu lassen:

"Ich habe mich vollkommen wieder hineinversehen in dieses Leben, um fern zu sein von allem, was um mich herum ist und heutigentages passiert."

Und Peter Thurmann ergänzt:

"Er klagt also in Abständen immer wieder darum, dass er dort das Paradies verloren habe. Also diese Palau-Phase ist eine ganz wichtige, begleitet ihn sein ganzes Leben, bis zu den späten Rekonstruktionen. Das war der Inbegriff dessen, was bei den Brücke-Künstlern anfing, an den Moritzburger Teichen, in Damgast. Er ging dann noch nach Usedom ..."

... und versuchte dort, wenigstens annäherungsweise das Lebensgefühl der ostpommerschen Ostseeküste in den 20er-Jahren wieder herzustellen. Die Regierung der DDR ließ ihn zunächst gewähren. Schließlich war Max Pechstein gebürtiger Zwickauer. Die Stadt hatte ihm zu Ehren bereits eine große Ausstellung veranstaltet und den Max-Pechstein-Preis ins Leben gerufen. Doch bald schon schlug die Stimmung um.

"Aber er war ja auch der Künstler, der an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, berufen durch Karl Hofer, lehrte, also sozusagen in West-Berlin war, obwohl er eigentlich auch von der DDR vereinnahmt wurde, und er ist eigentlich dann in den Westen übergewechselt. Max Pechstein hat eigentlich auf beiden Seiten Deutschlands Ehrungen erfahren, und auch im Westen. Also er wurde sehr wohl wahrgenommen, er geriet aber auch in diese Debatte, also nicht so stark wie Hofer, der sich da an vorderster Front eigentlich auch verausgabt hat und letztlich daran zugrunde gegangen ist."

Diese Debatte war der sogenannte Grohmann-Streit der frühen 50er-Jahre, in dem es zwischen dem einflussreichen Kunstkritiker Will Grohmann und dem Maler Karl Hofer um den Vorrang der abstrakten Kunst vor der figürlichen ging. Sie wurden damals pauschal dem demokratischen Westen beziehungsweise undemokratischen Osten zugerechnet. Der Kalte Krieg hatte den künstlerischen Austausch längst erreicht und Pechstein endgültig von seiner bisherigen Heimat abgeschnitten.