Maxim Biller: "Der falsche Gruß"
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2021
120 Seiten, 20 Euro
Satire auf den kleinen deutschen Mann
06:15 Minuten
Ein jüdischer Großschriftsteller, ein aufstrebender Jungautor und im Hintergrund das Erbe zweier deutscher Diktaturen. Maxim Billers neuer Roman erzählt satirisch und lustvoll von der Konkurrenz kreativer Karrieristen.
"Er beneidete die Klavierspieler um ihre Begabung, die Soldaten um ihre Narben." Schon das Motto von Gustave Flaubert, das Maxim Biller seinem neuen Roman voranstellt, drückt eine Sehnsucht aus. Aber wer sich wünscht, ein anderer zu sein, dessen Narben oder Talente zu besitzen, steckt immer noch in der eigenen Haut. Das nicht zu erkennen ist tragisch, die Strampelei, sein zu wollen wie der andere, eher komisch.
Ein enthemmter Gruß mit Folgen
Und so ist "Der falsche Gruß" eine Tragikomödie, eine äußerst unterhaltsame Slapsticknummer über jene Erfahrung, dass der Schmerz über die eigene Begrenztheit einen nie loslässt, mag man sich schütteln, wie man will.
Billers Ich-Erzähler gelingt eine besonders aufsehenerregende Verrenkung: Nach Mut Antrinken und Generalprobe vor dem Spiegel der Herrentoilette tritt er im Restaurant an den Tisch eines jüdischen Gastes und entbietet ihm den Hitlergruß. Danach schämt er sich gewaltig, aus Angst, nun gesellschaftlich geächtet zu werden.
Krude Figurenmischung
Erck Dessauer heißt der verrenkte Kurzzeitenthemmte. Sein Vorname ist vielsagend, "der Alleinherrscher", programmatisch verliehen von den Eltern, einem Professor für Marxismus-Leninismus und seiner Gattin, Tochter eines einst im besetzten Polen wütenden Nazis. Was für eine krude Mischung schon in der Grundkonstellation der Figuren!
Ercks Urgroßvater väterlicherseits war Jude, sein Großvater rettete sich in die Wehrmacht, mit der er munter Kriegsverbrechen beging, um für den Rest seines Lebens zu weinen. Dem Enkel bringt er ab und zu pseudohistorische Illustrierte zum Dritten Reich mit. Schon damals, in der DDR, hatte Erck den Hitlergruß vor dem Spiegel im Elternschlafzimmer geübt und sich dabei stark und schön gefühlt.
Begegnung mit jüdischem Großschriftsteller
Später las er Pynchon, die Biografie Horst Wessels und Edward Said, wurde Punker und nahm sich vor, seine Magisterarbeit über "Spätbolschewismus als Identität und Nachteil" zu verfassen. Genau das unterlässt er aber nach einer Begegnung mit dem renommierten Autor Hans Ulrich Barsilay, einem Juden, von dem Ercks Vater sich in der Nachwendezeit beleidigt gefühlt hatte.
Von Barsilay erfährt man im Roman weitaus weniger als von Erck Dessauer. Doch der Jude ist ohnehin ein Projektionsbild des Deutschen. Barsilay hat einen Ruf, eine Geliebte und einige kurze O-Ton Passagen. Dann verschwindet er aus der Geschichte, denn Erck Dessauer hat ihn einer autobiografischen Fälschung überführt. Damit ist der jüdische Großschriftsteller scheinbar besiegt, der Vater gerächt und allen bewiesen, dass auch er, Erck, groß sein kann.
Vom Verhältnis deutscher Nichtjuden zu Juden
Es ist bezeichnend, dass Maxim Biller uns vor allem den kleinen deutschen Mann vorführt, den Frauen "nur auf eine sehr zivilisatorisch gezähmte Art interessieren". Erck fühlt sich immer zu kurz gekommen, minderwertig – und lebt in der ständigen Angst, der untergetauchte Barsilay könnte ihm seinen Triumph streitig machen, oder – viel schlimmer noch – einen Roman darüber schreiben, wie er Barsilay einmal mit dem Hitlergruß provoziert habe.
Ercks gesamtes Handeln und Denken ist an Barsilay ausgerichtet. Damit erzählt "Der falsche Gruß" viel über das Verhältnis deutscher Nichtjuden zu Juden.
Satirisch, lustvoll, bitter
Und noch mehr: Maxim Biller positioniert sich auch in aktuellen geschichtspolitischen Debatten über deutsche Geschichte und ihre in die Gegenwart verlängerten Abgründe, über die Relativität von Identität, über Opportunisten und Karrieristen, Zeitgeist und die Benutzbarkeit von Ideologien zum Aufmotzen eigener, schrumpeliger Egos.
Aus all dem wird: ein unterhaltsamer Roman, überspitzt, satirisch, lustvoll und bitter.