"Erotic Crisis"
Regie: Yael Ronen
Premiere vom 13.9.2014
"Fallen"
Tanztheater von Sebastian Nübling und Ives Thuwis
Premiere vom 12.9.2014
Maxim Gorki Theater Berlin
Sex-Ulk und heftige Hiebe
Leichtgewichtig startet das Berliner Maxim Gorki Theater in die Saison: In "Erotic Crisis" wird am frisch gekürten "Theater des Jahres" wenig originell gestöhnt. Die ambitionierte Choreografie "Fallen" schmerzt beim Zuschauen.
Schon der Titel führt ein wenig in die Irre. Denn nicht die Erotik selber ist ja in der Krise in Yael Ronens Ensemble-Projekt "Erotic Crisis" im Start-Paket zum Saisonauftakt im Berliner Maxim-Gorki-Theater – nur zwei Paare kommen nicht mehr miteinander zurecht. Das eine hat zwar noch prächtig viel Sex (und stöhnt zur Eröffnung auch extrem lustvoll in die Mikrofone), das andere aber (das dem Stöhnen zuhört in der Etage darüber oder darunter) hat zwar ein Kind, aber ansonsten schon länger nichts mehr miteinander. Sie will immer, er nie.
Derweil will bei den Stöhnern sie eigentlich was anderes, irgendwas – und er weiß nicht, wie das geht. Zwischen beiden driftet eine selbstbewusste Single-Nymphe umher, die Hackerin ist und darum virtuell und per Computer ohnehin jeden und jede durchschaut. Aber auch sie bleibt unbefriedigt, im Seitensprung mit dem verödeten Schnarcher wie der ratlosen Stöhnerin. Erotische Lieblingsfantasien spielen sie alle durch, aber nichts funktioniert – am Ende stehen Trennung oder Weitermachen.
Modischer Ulk fürs hippe Publikum
Witzig mag das vordergründig vielleicht sein, ein modischer Szene-Ulk fürs hippe Berliner Metropolen-Publikum. Ensemble und Regisseurin suchen Pointen, wo immer sie zu finden sind. Originell aber ist das Projekt nun wirklich nicht. Beziehungskistenfilme füllen halbe Cinematheken. Schon Loriot wusste, dass Männer und Frauen im Grunde nicht zueinander passen. August Strindberg choreografierte den "Totentanz", Edward Albee fragte "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", Martin Walser entfesselte die "Zimmerschlacht“, Wolfgang Bauer schrieb "Change" und "Magic Afternoon" … all das ist besser als diese "Erotic Crisis"; sowas von Schon-mal-dagewesen wie dieses Eröffnungsspektakel war lange nichts mehr.
Und wenn das Ensemble nicht mächtig auf den Putz hauen würde, alle schwer überkandidelt, die chronisch hysterischen Mädels wie die latent schlappschwänzigen und verständnislosen Jungs, dann fiele vielleicht auch dem animierten Gorki-Publikum etwas früher auf, was für eine hohle, taube Nuss das ganze Getue ist.
Schmerzen beim Zuschauen
Der Abend zuvor kommt wenigstens mit ein wenig mehr Ambition daher: "Fallen", eine Choreografie des Belgiers Ives Thuwis, die Sebastian Nübling inszeniert hat, der neue Hausregisseur an Sherman Langhoffs Theater. Männer-Macho-Macht-Schablonen werden hier durch dekliniert: Im ewigen Sandkasten, der in ein schwarzes Viereck auf den Gorki-Vorplatz geschüttet worden ist. Nach dem Vorspiel (drei Männer verprügeln den vierten) beginnt ein Ritual kollektiver Workout-Exzesse – erst im Hin-und-Her-Laufen des zehnköpfigen Ensembles, dann im Rennen; dann im Einander-Attackieren.
Das tut echt weh, schon beim Zusehen. Die Gage sollte mit Schmerzensgeld aufgepolstert werden. Bald verfällt jeder für sich in Balz-Positionen, brezelt sich auf, will wichtig sein, begehrt werden – dann aber setzt’s wieder Hiebe. Selbst Umarmungen gehen bald in Stoßen und Schlagen über. Bald auch beginnen die Rituale von vorn. Nirgends ist ein Ausweg für den in sich gefangenen Mann.
Das ist schnell zu verstehen. Schon die eine Spielstunde wirkt eher länger. Thuwis hat vor Jahren in Hannover schon mal einen Abend choreografiert, der "Gehen" hieß – und genau daraus bestand. Nübling brachte vor zehn Jahren schon "I Furiosi" auf die Bühne, lärmende und potenziell gewalttätige Fußballfans. Beide sind den eigenen Themen also treu geblieben; und für ein Spektakel ohne tiefer recherchierten Hintergrund reicht’s allemal.
Keine starke Kunst im Angebot
Und das Maxim-Gorki-Theater wurde zwar gleich zweimal zum "Theater des Jahres" gewählt, von den Jury-Stimmen der Fachblätter "Theater heute" und "Die Deutsche Bühne", aber erstaunlich umstandslos wurde hier ein Theater-Experiment durchgewinkt, das vielleicht die nicht nur in Berlin grassierende Sehnsucht nach "anderem" Theater bedient, mit allerlei modischem Multikulti- und Szene-Schnickschnack, das aber wirklich bessere, stärkere, klügere Kunst bislang nicht im Angebot hat, auch nicht bei der Eröffnung der zweiten Saison.
Leichtgewichtig war der, wie gehabt. Und dass die Intendantin dem Publikum am Schluss immer noch höchstpersönlich mitteilen muss, wie toll sie das alles fand, macht die Sache nicht besser.