MDR-Diskussion mit Neonazi abgesagt

Nicht die Diskurs-Zerstörer zum Diskurs einladen

07:43 Minuten
Neonazi und AfD-Mitglied Arthur Oesterle
Neonazi und AfD-Mitglied Arthur Oesterle sollte mit auf dem MDR-Podium sitzen. © imago/Michael Trammer
Matthias Quent im Gespräch mit Vladimir Balzer |
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Zur Premiere einer Reportage über die Ausschreitungen in Chemnitz 2018 lud der MDR auch einen Neonazi zur Diskussion ein. Das sorgte für Proteste, die Veranstaltung wurde abgesagt. Dem MDR sei nichts anderes übrig geblieben, sagt Soziologe Matthias Quent.
Der MDR hat eine Diskussionsrunde abgesagt, bei der ein bekennender Neonazi mit auf dem Podium sitzen sollte. Wegen seiner Teilnahme hatten andere Podiumsgäste abgesagt. Stattdessen kündigte der MDR für den 22. August einen Publikumsdialog in Chemnitz an. Dort soll die Dokumentation "Chemnitz - ein Jahr danach" gezeigt werden, in der es um die gewalttätigen Ausschreitungen von Rechten im Sommer 2018 und ihre Folgen geht.

Kritik von vielen Seiten am MDR

Dem MDR sei gar nichts anderes übrig geblieben, als die Veranstaltung abzusagen, sagt der Soziologe Matthias Quent. "Niemand wollte letztlich auf dem Podium sitzen, außer einem Rechtsextremen und einer Professorin aus der Stadt. Die Frage ist vielmehr, ob es richtig ist, eine Veranstaltung so zu planen, wie es geschehen ist. Die vielseitige Kritik wirft dem MDR ja vor, dass das eine verantwortungslose Entscheidung war, so ein Format mit einem Neonazi auf dem Podium überhaupt anzusetzen."

Die Falle der Demokratiegegner

An den Äußerungen des Rechtsextremen Oesterle im Sommer 2018 in Chemnitz könne man gut die Tarnstrategie erkennen, mit deren Hilfe die radikale Rechte versuche, sich und ihre Positionen zu normalisieren und darüber hinwegzutäuschen, dass sie eine im Kern rechtsextreme Agenda verfolge, so Quent.


"Dieser Herr war nicht nur Leiter des Ordnungsdienstes bei den von 'Pro Chemnitz' organisierten Demonstrationen vor einem Jahr, sondern wurde auch bei Demonstrationen der Neonazi-Organisation 'Der dritte Weg' gesehen. Man tappt in die Falle derer, die den demokratischen Diskurs zerstören wollen, wenn man sie einlädt, an diesem Diskurs teilzuhaben."
Dr. Matthias Quent, Rechtsterrorismus-Experte und Direktor des Instituts fuer Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, aufgenommen im Rahmen einer Bundespressekonferenz zum Thema Jahresstatistik zum Ausmafl rechter Gewalt in 2018 .
Matthias Quent, Rechtsterrorismus-Experte und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.© imago / Florian Gärtner

Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit

Das aufklärerische Anliegen der MDR-Reportage könne dann in so einem Fall konterkariert werden. Bei einer schnelllebigen Saalveranstaltung wie einer Podiumsdiskussion sei es oft nicht möglich, instrumentelle, taktische oder gelogene Aussagen mit der Wirklichkeit abzugleichen. "Wir mussten in der Vergangenheit immer wieder sehen, bei Anne Will oder bei 'Hart aber fair', dass selbst hochprofessionelle Moderatorinnen oder Moderatoren nicht in der Lage sind, die Lügen und Falschdarstellungen richtigzustellen. Und dass das 'aufklärerische' Anliegen mit solchen Akteuren ins Gespräch zu kommen, nur denen genutzt hat, denen eine demokratische Willensbildung nur im Wege steht."
Es könne gar keine richtigen Voraussetzungen geben, um mit diesen Leuten zu sprechen, sagt Quent. "Wenn es um Rechtsradikale geht, um Vertreter der sogenannten Neuen Rechten, die es auch zu großen Teilen in der AfD gibt, dann gibt es ein vernünftiges Setting vermutlich gar nicht. Man muss sich genau überlegen, ob man die Fehler im Umgang mit diesen Rechtsaußenpositionen, die man in der Vergangenheit gemacht hat, immer wiederholen will oder solche Leute bewusst nicht mehr einlädt und teilhaben lässt. Eine solche Haltung wäre selbstbewusst und würde einer wehrhaften Demokratie gut zu Gesicht stehen."
(rja)
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