Auf der Suche nach der Dorfmitte
Eine Gemeinde muss mindestens 500 Einwohner zählen. Das schaffen derzeit weniger als die Hälfte der Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern. Mit den Menschen verschwinden auch die Läden. "Die neue Dorfmitte" heißt ein Förderprogramm der Landesregierung, das bei der Grundversorgung hilft.
Ruhig ist es hier in Qualitz. Sehr ruhig. Dorfstraße, Hauptstraße, Schustereck und Am Rötsal – das sind die Verkehrswege in und durch das 250-Seelen-Dorf, das zur mecklenburgischen Gemeinde Baumgarten zählt. Heute gibt es einen Forstbetrieb, eine Tierpension, einen Süßwarengroßhändler, zwei landwirtschaftliche Betriebe, einen Heizungs- und Sanitärbetrieb. Doch laut Bürgermeisterin Astrid Franke gebe es vor allem seit der Wende vieles nicht mehr, was ein gutes Dorfleben auch ausmacht.
"Hier gab es in jedem Dorf eine Kneipe und in jedem Dorf einen Konsum. Es gab sogar einen Bäcker. Aber mit den großen Anbietern von Supermärkten ist das alles eingegangen. Das muss man leider so sagen."
Die nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit – zwölf Kilometer entfernt. Schule, Arzt, Apotheke noch weiter. Das Auto ist das Fortbewegungsmittel der Wahl, denn Busverbindungen sind sehr rar. Ein Problem, vor allem für die Älteren, die nicht mehr Auto fahren wollen oder können, sagt Astrid Franke.
"Wenn man sieht, jemand sitzt an der Bushaltestelle, nimmt man den mit. Oder man bringt mal was mit von der Apotheke und solche Sachen. Aber richtig organisiert ist das leider nicht."
Wohl dem, bei dem ein- oder zweimal die Woche ein rollender Bäcker- oder Fleischerladen hält. Die Fleischerei Wolf aus Vielank an der mecklenburgisch-niedersächsischen Grenze zum Beispiel klappert an fünf Tagen in der Woche umliegende Orte ab. Simone und Patrik Pasewald, die Inhaber, erzählen:
"Das sind nicht viele Kilometer." "Ne, wir fahren ja um den Kirchturm rum, kann man sagen, ne." "50, 60 km ungefähr. Dat is nich die Masse. Bis Liepe, denn fahren wir über Malk Göhren, Kunow, Karenz. Und denn fahr'n wir wieder nach Hause."
Rollender Verkaufsladen als Informationsbörse
Damit angefangen haben sie vor 25 Jahren, als die neuen Supermärkte auch ihnen die Kunden weglockten. Dann fahren wir eben zu ihnen, mit dem alten Barkas B 1000 und eingeschweißter Wurst, dachten sich die Pasewalds, nicht ahnend, dass ihr rollender Verkaufsladen für immer mehr Dorfbewohner zur einzigen direkt erreichbaren Versorgungsschnur werden würde. Und zur Informationsbörse.
Wenn es hupt, ist jedenfalls auch Frau Weigert zur Stelle. Sie holt sich nicht nur frischen Aufschnitt, sondern auch Neuigkeiten.
Dass es in ihrem Dorf keinen Arzt gibt – geschenkt, sagt die alte Dame. Auch zu DDR-Zeiten mussten sich die Qualitzer dafür ein paar Kilometer auf den Weg machen. Doch ein kleiner Konsum wäre schon schön, vielleicht sogar mit ein paar Tischen, an denen man Kaffee trinken könnte. In Dörfern wie Thiessow, Neuburg, Marnitz oder Basedow hat man das realisiert, und noch mehr. Denn es sei wichtig, sagt diese Konsumverkäuferin…
"... dass wir die Post mit drin haben, und Lotto. Und natürlich, dass hier immer mal ein Klönschnack gehalten wird. Die Älteren genießen das, auch mal ein Wort zu wechseln. Ob nun mit uns Verkäuferinnen oder untereinander. Konsum ist schon immer ein Treffpunkt gewesen."
Das weiß auch Til Backhaus, dienstältester Agrar- und Umweltminister der Bundesrepublik. Der gelernte Landwirt wohnt selbst auf dem Dorf und hat miterlebt, wie nach dem Ende der DDR Landflucht und der weitgehende Zusammenbruch der Versorgungsstruktur im ländlichen Raum Hand in Hand gingen.
Förderung zur Ankurbelung des Dorflebens
Inzwischen ziehe es vor allem die Generation der einst ausgewanderten 40-50-Jährigen verstärkt zurück nach Hause – und zwar durchaus auch aufs Dorf. Attraktiv für diese Menschen seien relativ niedrige Baugrundstückspreise und ein lebendiges Dorfleben. Also habe man u.a. das Förderprogramm "Die neue Dorfmitte" aufgelegt. 19 Bewilligungsbescheide seien bislang ausgestellt, so der zuständige Minister.
"Ich nehme mal so'n Dorfkonsum in Altenpleen. Das ist in Vorpommern, wo wir wirklich eine sehr dünne Besiedlung haben, und dort hat sich ein Unternehmer an uns gewandt: 'Können wir einen Konsum wiederentwickeln'"?
Könnt ihr, sagte Schwerin und leitete 119.000 Euro aus dem EU-Regionalfördertopf ELER weiter nach Altenpleen. Es entstanden ein kleiner Laden samt Café, Parkplätzen und Anlieferzone. Ein Treppenlift bringt zudem betagte Kunden ins erste Obergeschoss, wo sich ein Friseur angesiedelt hat.
Mitunter hängt das Überleben eines kleinen Dorfladens oder Cafés jedoch an vermeintlichen Kleinigkeiten. So haben vier Läden jeweils 4200 Euro für moderne Kühltechnik bekommen, so Til Backhaus.
"Oder ich nehme ein anderes Projekt. Da geht es um mobile Versorgung, also um ein Fahrzeug. Da ist nötige Technik gefördert worden in einem Projekt bei uns im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Und siehe da: Vor Ort schafft man Lösungen. Der Dorfkonsum in einem Dorfgemeinschaftshaus ist wieder entstanden. Der Arzt kommt wieder zurück, die Physiotherapie. Die Versorgung im Internet mit Lebensmitteln. Und ich glaube, es gibt so ne Art von Rückbesinnung auf alte Tugenden. Man schaut auch, dass es dem anderen gut geht, und man möchte auch ein gutes dörfliches Klima."
Das haben die 330 Balower auch ohne Konsum und Arzt im Ort, findet Bürgermeisterin Krimhild Kant und verweist auf Kita, Grundschule, fünf Vereine und – immerhin – das Kulturzentrum KUK in der Dorfmitte. Für die Balower sei das Wichtigste, zumindest gelegentlich aus dem Haus zu kommen. Auch ohne Auto.
"Tja, lebenswert machen wir durch andere Sachen. Also Alternativlösungen. Wir haben mobile Händler, die die Versorgung der älteren Leute übernehmen. Und wir haben einen Bürgeraktivbus, der demnächst mehr oder weniger die Älteren zu den Einkaufsfahrten einlädt in die näheren Städte. 14 Kilometer ist Grabow und 20 Kilometer ist Ludwigslust von uns entfernt. Das ist überschaubar auch für ärztliche Versorgung."