Gemeinden protestieren gegen Windkraft
15:53 Minuten
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es schon hunderte Windkraftanlagen – und es werden immer mehr. Auch der Protest nimmt zu. Inzwischen wehren sich ganze Gemeinden gegen den Ausbau: Energiewende ja - aber nicht zu Lasten der Bevölkerung, heißt es.
Morgens um acht an einem heißen Junitag vor dem Schweriner Schloss. Eine Lautsprecherbox beschallt die Schlossbrücke. Zwei Dutzend Frauen und Männer, die meisten jenseits der 50, entrollen Transparente. "Es reicht!" haben sie darauf geschrieben und einen Wald von Windrädern daneben gemalt.
Auf der schmalen Straße zwischen Schloss, Theater und Museum schlängelt sich der Berufsverkehr hindurch. Die ersten Abgeordneten gehen über die Brücke zum Schloss. Dort tagt der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.
"Mein Name ist Barbara Borchardt, allen bekannt, Versammlungsleiterin. Ich muss jetzt über die Rechte und Pflichten aufklären..."
Regelverstöße sind von diesen Demonstranten kaum zu erwarten. "Bringt Sitzkissen mit", hieß es im Aufruf, "wir machen eine Sitzdemo!" Sich auf der Straße niederzulassen und dort länger zu verbleiben, ist für die meisten ein Problem, sie haben lieber Klapphocker mitgebracht. Für je zehn Minuten pro Stunde dürfen sie mit ihrer Sitzblockade den Verkehr aufhalten.
"Alles tanzt nach meiner Pfeife! Also, wenn ich sage, es ist genug, dann ist genug. Viel Erfolg!"
Hans-Jürgen Kießling, ein Mann Mitte 60 in Jeans und blaukariertem Hemd, hat mit zwei anderen Mitstreitern das größte Transparent entrollt: "Wir fordern die 10-H-Regelung - größerer Abstand zu Wohnhäusern" steht darauf. Das bedeutet: Wenn ein Windrad 200 Meter hoch ist, muss der Abstand zu Häusern zehnmal so groß sein, also in diesem Fall 2000 Meter. In Mecklenburg-Vorpommern sollen 1000 Meter reichen, egal, wie hoch das Windrad ist. Für Hans-Jürgen Kießling ist jedoch nicht nur der Abstand das Problem. Es geht ihm ums Prinzip.
"Wir müssen uns als Bürger wehren. Wir haben Zahlen von der Bundesnetzagentur von 2017, danach hat Mecklenburg-Vorpommern 22 Millionen Euro für Strom bezahlt, der nicht abgenommen wurde. Bundesweit sind es über 500 Millionen. Nun muss mir mal einer erklären, warum wir Windkrafträder bauen, obwohl der Strom noch nicht gebraucht wird."
Der pensionierte Ingenieur aus Stralendorf südlich von Schwerin ist Mitglied im Aktionsbündnis mit dem Namen "Gegen den unkontrollierten Windkraftausbau - Freier Horizont", einem Zusammenschluss von mehr als 50 Bürgerinitiativen aus Mecklenburg-Vorpommern.
"Ich bin betroffener Bürger. Mir wollen sie so ein Ding 1000 Meter vor die Terrasse bauen. Und ich kann nichts dagegen machen."
Der Unmut der Landbevölkerung wächst
Man kann nichts dagegen machen. Das ist das vorherrschende Gefühl hier vor dem Schweriner Schloss. Und nicht nur hier: Der Unmut vor allem der Landbevölkerung wächst, denn sie sind mehr als die Städter betroffen. "Kommunen im Widerstand". "Gegenwind für Windpark-Bauer". "Hunderte Widersprüche gegen neue Windräder". "Die Schmerzgrenze ist erreicht". Im Wochentakt stehen Überschriften dieser Art in den Tageszeitungen von Mecklenburg-Vorpommern. Längst sind es nicht mehr nur einzelne Bürger, Naturschützer oder Mitglieder von Bürgerinitiativen, die sich gegen den ihrer Meinung nach überproportional forcierten Ausbau von Windrädern wehren. Ganze Gemeinden und deren Bürgermeister begehren auf.
"Ich hoffe, dass ihr alle da seid, hallo auch von mir. Wir haben unsere Bürgermeister auch wieder dabei, Hans-Werner und Siggi..."
Die Bürgermeisterin von Crivitz hat vor der Schlossbrücke zum Mikrofon gegriffen.
"... sind natürlich viele arbeiten, deshalb sieht es ein bisschen dünner aus als sonst gewöhnlich."
Britta Brusch-Gamm. Mitte 50, Kurzhaarschnitt, modische Brille, ist Versicherungsfachfrau. Eher nicht der Typ, der mit Warnweste und Trillerpfeife auf Demos geht - und sie gar organisiert. Sie ist Bürgermeistern der Kleinstadt Crivitz, eine halbe Stunde westlich von Schwerin. Zu ihrer Gemeinde gehören auch acht Dörfer. Mehrere Wochen im Frühjahr 2019 protestierten die Bürger der Gemeinde Crivitz an jedem Montag - und blockierten dafür eine Bundesstraße.
"Wir ringen darum, dass die Bürgereinwände, die gekommen sind, die Hinweise, die gekommen sind, die Bürgerbeteiligung - dass sie überhaupt ernst genommen wird. Das ist unser Problem."
Das Bundesland hat drei regionale Planungsverbände. Deren mühsam erarbeitete Pläne, die den Ausbau der Windkraft auf bestimmte Gebiete beschränken sollen, wurden durch Gerichtsurteile aufgehoben. Windparkbetreiber hatten dagegen geklagt. Nun werden - seit sechs Jahren schon - neue Pläne in den Verbänden erarbeitet. Doch dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Und solange gilt: Windräder können laut Baurecht quasi überall errichtet werden. In den Gemeinden rund um Crivitz gibt es schon mehr als 100 Windkraftanlagen. Nun sollen noch mehr dazu kommen.
"Was mich besonders als Bürgermeisterin bewegt ist: Wir sprechen so viel über die Unterstützung und Stärkung des ländlichen Raums. Und man macht hier etwas - man lässt die Menschen einfach im Regen stehen. Man spricht mit ihnen nicht darüber. Sie haben überhaupt gar keine Chance richtig. Im Moment ist der Eindruck: Es passiert gegen diese Menschen. Es wird einfach ignoriert, welche Auswirkungen das hat."
Die AfD hat sich des Themas bemächtigt
Mancherorts stehen 20 Windräder und mehr auf einem Acker. Die Menschen, die in der Nähe wohnen, fürchten gesundheitliche Schäden durch ständige Lärmbelästigung und Schattenwurf. Sie sorgen sich darum, dass Lebensraum für Tiere und Pflanzen verloren geht, Brutgebiete für seltene Greifvögel, Rastgebiete für Zugvögel. Und: Sie fürchten um ihre Altersvorsorge, weil die Grundstücke in Windparknähe weniger wert sind.
Die Trommeln signalisieren: Jetzt dürfen die Demonstranten auf die Straße. Ein Polizist auf jeder Straßenseite stoppt den Verkehr. Wer kann, lässt sich auf seinem Sitzkissen nieder, andere auf dem Angelhocker, einige bleiben stehen und wedeln mit ihren Plakaten. Ein Kleinlastwagen kommt nicht mehr von der Schlossbrücke herunter. Er hat eben die Landtagskantine beliefert. Auf seiner Seitenwand steht: "Auf Wunsch liefern wir auch ganz großen Käse". Diesen Eindruck haben die Demonstranten von ihrer Landesregierung - einer Koalition aus SPD und CDU - wohl auch: Dass sie in Sachen Windkraft gerade ganz großen Käse liefert.
Und schon hat sich auch die AfD - die nach SPD und CDU drittstärkste politische Kraft im Land - des Themas bemächtigt. Sie fordert ein Moratorium, einen Stopp des Windkraftausbaus in Mecklenburg-Vorpommern - genau wie die Demonstranten vor dem Schloss. Roberto Kort seufzt. Der 49-Jährige ist Elektromeister und kommt aus Sülstorf, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Ludwigslust im südlichen Mecklenburg. Im Naturschutzbund NABU engagiert er sich für Artenschutz und er ist der Sprecher des Aktionsbündnisses "Freier Horizont".
"Wir wollen uns ganz klar nach rechts abgrenzen. Das ist auch so ein politisches Unbill der - ich sag mal - etablierten Parteien. Was neu ist, wird immer gern in die rechte Ecke gestellt. Ich weiß nicht warum, das hat Strategie offensichtlich. Ich kenne niemanden aus unseren Reihen, der sich da verorten lassen würde. Das möchte ich ganz deutlich sagen."
Dass die Populisten die Ziele des Aktionsbündnisses auch für sich reklamieren, dafür können die Aktivisten nichts - aber es macht die Sache nicht einfacher. Der Freie Horizont war schon vor dem Erfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern als Zusammenschluss von Bürgerinitiativen aktiv. 2015 gründete das Aktionsbündnis Freier Horizont auch eine Partei gleichen Namens, die dann an der Landtagswahl teilnahm.
Die Parteigründung war ein Akt des Aufbegehrens: Mehr als 22.000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern hatten auf Initiative des Aktionsbündnisses eine Volksinitiative unter dem Titel "Gegen den unkontrollierten Ausbau von Windkraftanlagen" unterzeichnet. Im Landtag wies die große Koalition aus SPD und CDU das Begehren dieser Bürger ab, es kam nicht einmal zur Diskussion darüber. Obgleich die kleine Partei in manchen Regionen zehn Prozent der Stimmen erhielt, reichte es damals nicht für den Einzug in den Landtag. Dafür ist der Freie Horizont bei den letzten Kommunalwahlen im Mai in drei Kreistage eingezogen und ist in vielen Gemeinderäten vertreten.
Kaum ein Ohr für die Sorgen der Bürger
Hans-Jürgen Kießling, dem Mann im blaukarierten Hemd, ist es gelungen, einen Herrn im dunkelblauen Anzug mit roter Krawatte aufzuhalten: Till Backhaus, Minister für Landwirtschaft und Umwelt von Mecklenburg-Vorpommern. Mit 20 Jahren Regierungszugehörigkeit der dienstälteste Minister Deutschlands.
"Da sollt ihr Windräder hinkriegen?"
"Ja, in Wessin ist ein Windpark mit 20 Windrädern geplant."
"Wer ist der Planer?"
"Ja, in Wessin ist ein Windpark mit 20 Windrädern geplant."
"Wer ist der Planer?"
Mit allen Kräften versucht Herr Kießling Herrn Backhaus, der nur zwei Minuten Zeit hat, zu erklären, worum es den Bürgern geht: Dass nicht weiter gebaut wird, ohne die neuen Pläne der regionalen Planungsverbände abzuwarten. Jovial klopft der Minister Herrn Kießling auf die Schulter.
"Ich guck' mir das genau an. Durchhalten!"
Während auf der Straße immer noch alles steht - Autos wie Demonstranten - und die Crivitzer Bürgermeisterin sich mittels Mikrofon und Lautsprecher Gehör verschafft, möchte der Stralendorfer Ingenieur vom Minister wissen, ob der denn die Sorgen der Bürger verstehe.
"Selbstverständlich habe ich Verständnis. Denn das Grundproblem ist ja, dass in der Regel der Bürger vor Ort von diesen Windrädern nichts hat. Eher die Belastung ertragen muss. Wir wollen die Energiewende, aber mit Augenmaß. Und als Umweltminister habe ich natürlich die Verantwortung nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Umwelt. Und da gucken wir mal. Alles Gute!"
Größere Rotorblätter, mehr Lärm und Schattenschlag
Astrid Wagner und Gerhard Sieveking würden es gern erleben, wenn der Politiker auf ihr Grundstück käme und "mal gucken" würde. Vor allem hören. Das Paar, Anfang 50, in bäuerlicher Arbeitskleidung, wohnt mit Hunden und Alpakas am Ortsrand von Rakow.
Der Ort liegt am Salzhaff, einem Boddengewässer der Ostsee. Schon viele Jahre drehen sich in ihrer unmittelbaren Nähe elf Windräder. Ihr Rauschen ist immer präsent. Damit konnte das Paar leben. Bisher. Doch das eigentliche Problem heißt: Repowering. Im vergangenen Jahr wurden die 100 Meter hohen Windräder durch 150 Meter hohe ersetzt. Die machen mit den größeren Rotorblättern mehr Lärm und: Sie stehen so nah wie die alten, exakt 475 Meter entfernt.
"Damit hat sich einiges für uns insofern verschlechtert, weil wir nach wie vor ständig den Geräuschen ausgesetzt sind. Zudem deutlich stärkerer Schattenschlag auf unser Grundstück und in unser Haus schlägt. Was sich auch verändert hat seit dem sogenannten Repowern, also Erhöhen der Anlage, ist, dass sie jetzt aufgrund der Höhe nachts blinken."
Als vor 20 Jahren die ersten Anlagen errichtet wurden, galten geringere Abstände zu den Häusern. Jetzt sind die Windräder um ein Drittel höher, aber der Abstand wurde nicht auf die nun in Mecklenburg-Vorpommern gesetzlich vorgeschriebenen 1000 Meter vergrößert. Das können die Windkraftbauer erreichen, indem sie die Anlagen als "Forschungs"- oder "Testanlagen" deklarieren. Gerhard Sieviking nennt das "Tricksereien".
"Regenerative Energiegewinnung, da bin ich ein wirklicher Befürworter. Was mich so enttäuscht, wenn die Abstandsregelungen und die Schutzkriterien für mich als Mensch - ich habe gelernt, das Amt nennt mich "Schutzgut Mensch". Ich bin sehr enttäuscht, dass die Behörden sehr viel Interesse zeigen für die Investoren der Windenergie, aber nahezu kein Interesse zeigen für mich als Betroffenen."
Hunderte neue Anlagen in Planung
Der Windkraftausbau geht weiter. 600 neue Anlagen sind allein im westlichen Mecklenburg geplant. Das Bundesland produzierte 2017 zwölf Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energiequellen - doppelt so viel, wie es verbraucht. Mecklenburg-Vorpommern will Energie-Exportland sein. Für diese Politik steht die Landesregierung und insbesondere der SPD-Politiker Christian Pegel.
Er ist der Energieminister des Bundeslandes. Minister Pegel hofft, dass sich mit dem neuen Bürger-und Gemeindebeteiligungsgesetz die Wogen glätten. Die Idee des Gesetzes: Projektträger müssen für neue Windräder eine haftungsbeschränkte Gesellschaft gründen und Anteile von mindestens 20 Prozent den unmittelbaren Nachbarn zur Beteiligung anbieten. Das betrifft Anwohner und Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern.
"Ich habe schon den Eindruck, dass die große Selbstverständlichkeit, mit der die Energiewende breite politische Akzeptanz erfahren hat, nicht mehr ganz so breit ist. Und dass man stärker ins Erklären wechseln muss."
Einige Kritikpunkte der Bürger vor dem Schweriner Schloss kann der Politiker nachvollziehen: Der Netzausbau gen Süden geht nur schleppend voran und: Die Netzentgelte sind nicht gerecht verteilt. Bisher wurden sie nur auf die Bewohner jenes Bundeslandes umgelegt, in dem der Strom erzeugt wird - auch dies erregt den Unmut vieler Bürger. Sie sehen nicht ein, dass im einkommensschwachen Mecklenburg-Vorpommern der Strom teurer ist als anderswo.
"Das war der unfaire Teil. Da haben wir lange als Bundesland, gemeinsam mit anderen Bundesländern, gefochten. Man hat 2017 den Weg bereitet, dass zumindest die Stromautobahnen, die uns alle berühren, dass die Stück für Stück bundesweit umgelegt werden. Und zwar gleichmäßig. Dass hier ein bisschen Entlastung entsteht und in westdeutschen Bundesländern zum Teil ein bisschen die Belastung stärker wird."
Bei den Betroffenen kommt kein Geld an
Zurück nach Schwerin, Schlossbrücke. Zum dritten Mal haben die Demonstranten die Straße vor dem Schloss gesperrt. Annett Scheurich, eine dunkelhaarige Frau mit Zopf, Ende 40, in Jeans und T-Shirt, sitzt im Schneidersitz auf der Straße. Auf ihrem Pappschild steht: Trotz 70 Windrädern pleite!
"Ich lebe in einer Gemeinde mit mehr als 70 Windrädern. Und unsere Gemeinde hat letztes Jahr die Grundsteuer erhöht, weil wir pleite sind! Von der Gewerbesteuer kommt nichts an, die eigentlich gezahlt werden müssten. Und das ist das Tragische. Ich könnte mit den Windrädern leben, aber so, wie das hier läuft, das geht gar nicht."
Annett Scheurichs Heimatgemeinde Groß Niendorf wird auch weiterhin keinen Cent von dem gigantischen Windpark vor ihrer Haustür bekommen. Denn das neue Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz wurde erst 2016 beschlossen. Für vorher errichtet Anlagen müssen auch künftig keine Abgaben an die Gemeinden geleistet werden. Die Betreiber haben ihre Firmen meist in den alten Bundesländern oder in anderen, windradfreien Gegenden Ostdeutschlands. Und bezahlen dort ihre Gewerbesteuern. Die Menschen, die in Windparknähe wohnen, haben nichts davon.
"Danke schön, dass ihr es ausgehalten habt, wir wünschen Euch eine gute Weiterfahrt!"