Holpriger Impfstart bei Schülern
Mit mobilen Impfteams an Schulen will Mecklenburg-Vorpommern die Impfquote unter Jugendlichen erhöhen. Doch der Start verläuft schleppend, bei vielen Jugendlichen und Eltern herrschen Skepsis und Zurückhaltung. Auch die Ärzteschaft ist gespalten.
Vor zwei Wochen im Schweriner Gymnasium Fridericianum. Die Lautsprecheranlage klickt. Dann diese Durchsage:
"Wer den Impftermin wahrnehmen möchte: Bitte jetzt mit der Einverständniserklärung in die Schülerbibliothek gehen!"
Dort stehen Helfer eines mobilen Impfteams mit Vakzinampullen und Spritzbesteck bereit, um all jene Mädchen und Jungen gegen COVID-19 zu impfen, die bei einer Abfrage in der Schule Interesse angemeldet hatten. Auch diese Gymnasiastin holt sich den ersten Piks in den Arm ab.
"Man hat dann mehr Freiheiten, ehrlich gesagt", erklärt sie. "Denn jetzt wird das ziemlich eingeschränkt und du brauchst für alles Mögliche einen Corona-Test. Und da dachte ich, ich lass mich impfen."
Von Hunderten Gymnasiasten ließen sich nur 17 impfen
Catrin Richter, die in der Landeshauptstadt als Impfmanagerin arbeitet und diese Aktion begleitet hat, hörte ebenfalls häufig auf die Frage, warum sich die Schüler impfen lassen, "dass sie keine Lust haben, ständig getestet zu werden, irgendwo ausgeschlossen zu werden, wenn sie nicht geimpft sind, oder perspektivisch sogar Geld zahlen zu müssen für die Testung. Das war das Hauptmotiv. Und dann, weil die Eltern geimpft sind, die Großeltern, dass sie etwas für die Gesellschaft tun wollen."
Doch in dem größten Gymnasium Schwerins, das Hunderte Kinder und Jugendliche auch aus umliegenden Gemeinden besuchen, hatten sich auf dieses Impfangebot hin nur 17 Schüler gemeldet. Ein neue Angebot direkt an der Schule gibt es bislang nicht.
Doch das soll sich bald ändern. Das Bildungsministerium in Schwerin hat dieser Tage an allen 560 Schulen im ganzen Land die Impfbereitschaft auch der zwölf- bis sechzehnjährigen Schüler abgefragt. Das Landesgesundheitsministerium will in Kürze mit den Impfmanagern in den Landkreisen mobile Impfteams für Schulen organisieren. Weil die Ständige Impfkommission mittlerweile die Corona-Impfung mit den notzugelassenen Vakzinen auch für 12- bis 16jährige empfiehlt, hofft man auf eine größere Bereitschaft unter den Kindern und deren Erziehungsberechtigten.
Die Impfskepsis ist verbreitet
Doch auch in Mecklenburg-Vorpommern sind Skepsis und Zurückhaltung verbreitet. So wie bei dieser Mutter aus dem vorpommerschen Amtsbereich Uecker-Randow:
"Der Große ist zwölf. Also nee. Ich bin da vorsichtig, sage ich ganz ehrlich. Ich habe mich auch noch nicht impfen lassen. Wenn ich das alles so höre mit den ganzen Nebenwirkungen und keine Ahnung was. Ich höre von so vielen, die haben sich impfen lassen und haben das dann trotzdem. "
"War denn schon mal jemand in der Schule und hat angeboten, dass die Schüler geimpft werden, wenn die Eltern einverstanden sind?"
"Ich hatte jetzt einen Zettel von dem Großen, dass die geimpft werden. Aber wie gesagt: Ich habe da nicht unterschrieben. Also ich lass das noch nicht."
Unterdurchschnittliche Impfquote in allen Altersgruppen
Laut dem Robert-Koch-Institut haben sich im Nordosten bislang 63 Prozent der 1,6 Millionen Einwohner mindestens einmal impfen lassen. 59 Prozent haben auch den zweiten Piks erhalten. Von den Schülern gelten bislang rund zwölf Prozent als durchgeimpft. Damit liegt MV in allen Bereichen unter dem Bundesdurchschnitt. Das kann nicht jeder nachvollziehen:
"Ich bin 82 Jahre und bin gleich zu Anfang geimpft worden", sagt ein Mann. "Ich kann eigentlich überhaupt nicht verstehen, dass es so viele Impfgegner oder Pessimisten gibt. Das gab es zu DDR-Zeiten nicht. Da wurde geimpft und fertig war die Laube. Dann haben sich solche Pandemien auch nicht weiter ausbreiten können."
Eine ältere Dame hingegen meint: "Also, wenn ich jetzt noch Kinder in dem Alter hätte - ich glaube, ich würde sie auch nicht impfen lassen. Sie sind im Wachstum!"
Ein anderer sieht das genauso: "Nee, auf keinen Fall. Wenn ich jetzt sehe, dass sie jetzt in Israel, wo das ganze Volk schon durchgeimpft ist, mit der dritten Impfung beginnen, weil die zwei Impfungen nicht geholfen haben, dann kann ich den Sinn überhaupt nicht verstehen. Bei Kindern erst recht nicht."
Auch die Ärzteschaft ist gespalten
Tatsächlich gibt es auch unter den Kinder- und Jugendärzten im Land gegensätzliche und jeweils gutbegründete Meinungen. Dr. Andreas Michel begrüßt die jüngste Stiko-Impfempfehlung. Die Auswertung umfangreicher Datensätze aus den USA habe zwar ergeben, dass männliche Jugendliche überdurchschnittlich häufig an einer Herzmuskelentzündung erkranken können. Doch die sei einwandfrei heilbar, und der Nutzen einer COVID-Impfung von Kindern sei höher sei als das Risiko von Nebenwirkungen oder einer COVID-Erkrankung, so der Greifswalder Kinderarzt im NDR.
"Diese Impfung ist schon mehreren Millionen Kindern im Alter von 12 bis 17 verabreicht worden. Gerade in den Vereinigten Staaten gibt es große Zahlen, und es gibt mittlerweile genügend Daten, um die Sicherheit dieser Impfungen zu belegen. Wir impfen schon lange Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren in unseren Praxen. Das war auch vorher schon möglich. Es ist nach wie vor freiwillig, und wir werden uns mit jedem Einzelnen eingehend unterhalten, wie die Beweggründe sind, wie die Sorgen sind. Und dann werden wir eine Entscheidung mit den Eltern und den Patienten treffen, und dann werden wir sie hoffentlich auch impfen."
"Schade, dass die Stiko dem Druck der Politik erlegen ist"
Dr. Sven Armbrust hingegen, Chefarzt der Neubrandenburger Kinderklinik, sieht keine Notwendigkeit, gesunde Kinder ab zwölf Jahren flächendeckend durchzuimpfen.
"Ich finde es sehr schade, dass die Stiko offensichtlich dem massiven Druck aus der Politik erlegen ist und diese Empfehlung herausgegeben hat", sagt er. "Wir wissen aus allen Studien - im 'Lancet' wurde es vorige Woche publiziert und auch eine italienischen Studie hat gezeigt: Die Kinder sind nicht das Problem. Ich frage mich: Was wollen wir bewirken, wenn wir jetzt die Kinder in Reihen durchimpfen? Die Kinder haben keine Krankheitslast für sich selber. Die Kinder stellen kein relevantes Risiko dar für die Erwachsenen. Insoweit kann ich die Entscheidung der Stiko wissenschaftlich nicht nachvollziehen."
Laut dem Landesamt für Gesundheit und Soziales hat vier Wochen nach Schulstart nur jede zehnte Schule in Mecklenburg-Vorpommern mit "laufenden Fällen" zu tun. Dort wurden 133 Schülern positiv getestet und befinden sich noch in Quarantäne. Mecklenburg-Vorpommern hat 156.000 Schülerinnen und Schüler. Die Landesregierung sieht sich bestätigt: Schüler und Schulen seien keine Pandemietreiber.
Es gilt das Prinzip Freiwilligkeit
Die erleben seit gut zwei Wochen Unterricht ohne Maskenpflicht. Leon, der ehrenamtlich beim Technischen Hilfswerk arbeitet, findet den Trend hin zu mehr Normalität in den Schulen gut und glaubt, seinen Teil dazu geleistet zu haben.
"Ich bin 15 Jahre alt und komme aus Torgelow. Ich habe beide Impfungen schon bekommen, arbeite auch vom THW aus im Impfzentrum. In meinem Umkreis ist das eher geteilt. Es gibt viele, die sagen: 'Ist alles Scheiße. Die Impfung wollen wir nicht. Es kam jetzt sehr schnell auf den Markt.' Aber natürlich gibt es auch wiederum noch mehr, die sagen, sie haben sich impfen lassen, sie wollen sich impfen lassen. Für viele Leute ist es die Freiheit, die sie dadurch erlangen. Man muss sich nicht mehr testen lassen. Ich denke schon, dass es sicher ist. Dass wir nicht in drei Jahren alle einen Arm weniger haben, oder so. Wir werden es schon überleben."
In Mecklenburg-Vorpommern gilt weiterhin das Prinzip Freiwilligkeit. In den nächsten Wochen werden weitere mobile Impfteams mit Kinderärzten an Bord an die Schulen gehen und den Piks auch nachmittags oder am Wochenende anbieten, damit die Eltern dabei sein können.