Späte Hilfe für Doping-Opfer
Die Sportschulen der drei DDR-Nordbezirke hatten große Talente an die Weltspitze gebracht. Allerdings nicht immer mit sportlichen Mitteln. Dass systematisch gedopt wurde, wurde bislang verschwiegen. Das soll sich jetzt ändern.
Wenn es darum geht, Dopingopfern eine Stimme zu geben, engagiert sich Ines Geipel. Die frühere DDR-Sprinterin leitet den Verein "Hilfe für Dopingopfer", der 2013 gegründet wurde, aber:
"Die Mehrheit der Ost-Stars findet ja keinen vernünftigen Satz zu dieser ganzen Geschichte."
Dabei wurden nachweislich von 1974 bis 1989 rund 12.000 DDR-Leistungskader gedopt. Etliche schon in der Pubertät und ohne ihr Wissen. Doch auch viele der weniger bekannten Betroffenen überwinden Scham, Schuldgefühle und Stolz oft erst, wenn sie mit 40, 50 Jahren körperliche oder psychische Wracks geworden sind und nicht mehr weiter wissen.
700 Doping-Geschichten dokumentiert
Der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Schwerin berichtete Ines Geipel, dass der Hilfeverein bislang 700 überprüfte Doping-Geschichten dokumentiert habe. Auch ehemalige Athleten der Sportclubs Rostock, Schwerin und Neubrandenburg wollten endlich wissen, was genau sie geschluckt haben und was die anabolen Steroide und Hormongaben mit Körper und Kopf angestellt haben könnten.
"Das große Problem ist einfach, dass so unwahrscheinlich viel Zeit vergangen ist, dass sich dieser Schaden so ausleben, in die Körper hineinarbeiten konnte. Und das hat viel mit Strukturen im Osten zu tun."
Denn schon früh verjährten alle Straftaten im Zusammenhang mit dem DDR-Dopingsystem. Alle 20 Ermittlungsverfahren gegen Trainer und Ärzte aus den Nordclubs wurden erfolgreich verschleppt. Nach dem Verjährungsstichtag 3. Oktober 2000 fanden sogar viele der Verantwortlichen eine Anstellung im Leistungssportsystem der Bundesrepublik Deutschland und behindern bis heute eine Aufarbeitung, sagt die Abgeordnete Silke Gajek aus Erfahrung.
"In MV gibt es ja zur Zeit immer so diese '60 Jahre Kinder- und Jugendsportschule'. In Schwerin war das und auch in Neubrandenburg, und in beiden Schulen ist das bei dieser Feierstunde völlig ausgeblendet worden: 'Also das gehört jetzt hier nicht hin. Lasst uns unsere Erfolge feiern! ' Und man ging überhaupt nicht darein, dass zum einen die Trainer zum großen Teil noch da sind, auch die Konzepte der DDR - nicht nur das Doping, sondern wie das Training aufgebaut ist. Damit hat man nämlich Erfolge gemacht. Und zur Zeit gibt´s da offensichtlich wieder so eine Renaissance, dass man sagt: 'Das andere klappt nicht. Da müssen wir mal wieder möglicherweise dort gucken. Und das halte ich für gefährlich."
Heutigen jungen Sportlern helfen
Die Fraktion Bündnis 90'/Die Grünen beantragte nun im Parlament, das Land Mecklenburg-Vorpommern möge ab dem nächsten Jahr ein Forschungsprojekt zur historischen Aufarbeitung der Dopingpraxis in den drei ehemaligen DDR-Nordbezirken finanzieren. Die Ergebnisse sollten dann an den heutigen Eliteschulen des Sports ausgestellt werden. Denn zu wissen, was am eigenen Sportclub gelaufen ist und wie - das könnte den heutigen jungen Sportlern helfen, sich nicht zu abhängig von Trainern zu machen und Dopingversuchungen zu widerstehen.
Mecklenburg-Vorpommern könnte es damit auch erkrankten Opfern erleichtern, Hilfe zu finden. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wären ehemalige Doping-Ärzte und Trainer vielleicht endlich bereit sein zu reden und vorhandene Aufzeichnungen über Inhaltsstoffe und Dosierungen herausgeben. Die wiederum braucht Dr. Jochen-Friedrich Buhrmann dringend. Der Chef der Psychosomatischen Klinik in Schwerin baut gerade mit Kollegen anderer ostdeutscher Kliniken ein Netz auf, um Maßnahmen gegen die Spätfolgen jahrelanger Doping-Einnahme zu erforschen.
Im Verein "Hilfe für Dopingopfer" redet man indes bereits von drei Opfergruppen: Erstens DDR-Sportler, zweitens westdeutsche Athleten, deren Leistungssportkarriere bis 1989 stattfand, und drittens - so die Vereinsvorsitzende, Ines Geipel:
"Jetzt melden sich die Ersten, die bis 2004 aktiv waren. Aber die Opfer anzuerkennen hieße anzuerkennen, dass es seit dem Kriegsende 1949 bis zum heutigen Tag einen total verseuchten Sport gibt."
Alwin Wagner im Gespräch mit Hanns Ostermann