Zurück zur eigenen Handlungsmacht
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Aus Schillers Räubern machte sie "Räuberinnen", aus "Nathan der Weise" wurde bei ihr "Nathan die Weise": Regisseurin Leonie Böhm bricht mit alten Geschlechterrollen. Jetzt hat sie in Zürich eine zeitgenössische "Medea" auf die Bühne gebracht.
Sie ist eine der Hoffnungsträgerinnen des deutschsprachigen Theaters: Leonie Böhm hat letztes Jahr an den Münchner Kammerspielen aus Schillers Räubern die "Räuberinnen" gemacht – und wäre beinahe bei der Kritikerumfrage von "Theater heute" zur Regisseurin des Jahres gewählt worden, nur eine Stimme hat gefehlt. Nun ist zudem bekannt gegeben worden, dass der Abend auch für den Nestroy-Preis nominiert ist: für die beste Aufführung im deutschsprachigen Raum.
Schon mit ihrer ersten Theaterarbeit wurde Leonie Böhm zum Münchner Nachwuchsfestival "Radikal jung" eingeladen, und schon damals stellte sie die Geschlechterverhältnisse der Klassiker infrage: "Nathan die Weise" hieß das Stück. Nun hat am Schauspielhaus Zürich ihre neue Produktion Premiere: "Medea*" – frei nach Euripides.
Infolge der Pandemie veränderte sich das Projekt
Und wieder einmal sind es die Folgen der Pandemie, die ein Bühnenprojekt entscheidend verändern, wie Leonie Böhm berichtet: "Ursprünglich wollte ich Medea mit einem Ensemble aus Schauspielerinnen machen, die alle Mütter sind. Da hatte ich eigentlich an fünf Mütter gedacht, die sich mit dem Stoff auseinandersetzen, aber dann gab es coronabedingte Verschiebungen, die dazu geführt haben, dass das nicht mehr möglich war."
Die Lösung: Nur noch eine Schauspielerin auf der Bühne – Maja Beckmann –, ergänzt durch den Musiker Johannes Rieder, die den klassischen Text mit ganz eigenen Gedanken und Wahrnehmungen aufladen und interpretieren. "Ich benutze die Klassiker und die Stücke immer dazu, um eine bestimmte Fragestellung zu untersuchen", sagt Leonie Böhm. "Und bei Medea hat mich sehr stark die Frage interessiert: Wie kommt man eigentlich aus einer Ohnmachtssituation und aus einer Ungerechtigkeitssituation wieder in die eigene Handlungsmacht?"
Für die Auseinandersetzungen mit den Fragen von heute bemüht sie tatsächlich immer wieder große Klassiker, statt sich auf aktuelle Dramen einzulassen. "Anders als bei zeitgenössischer Literatur habe ich keinen Skrupel oder kann ganz ungeniert mit diesen Texten umgehen", wie Leonie Böhm unterstreicht. "Gerade weil das Publikum in den meisten Fällen den Stoff bereits kennt."
Klassische Genderkonstellationen lustvoll aufbrechen
Es sind also die allseits vertrauten Werke, die es möglich machen, neue Perspektiven zu finden. "Ich finde es auch toll, dass man mit den Klassikern eine Vorlage oder einen Widerstand hat, bei dem man sich fragen kann: Was wollen wir damit erzählen?" Der Reichtum eines Stückes wie "Medea" kommt der Regisseurin dabei fast unerschöpflich vor. "Ich habe oft nach einer Premiere das Gefühl, ich könnte dasselbe Stück auf noch fünf andere Arten und Weisen untersuchen und man könnte sich mit diesem Stoff noch viel länger beschäftigen."
Leonie Böhm ist eine der Protagonistinnen des neuen feministischen Theaters, das klassische Genderkonstellationen lustvoll durchbricht. Dass sich hier eine Bewegung formiere, sei ihr sehr bewusst. "Ich freue mich ganz arg darüber, dass es gerade auch so viele Regisseurinnen gibt. Ich fühle mich auch selbst durch die Begegnungen, die ich im Theater habe, besonders mit Frauen, ganz stark beschenkt und habe das Gefühl, dass sich auf jeden Fall in der kurzen Zeit, in der ich mit Theater zu tun habe, sehr viel tut."
(amu)