"Wir haben viele Mitarbeitende verloren"
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Tausende Menschen sind aus Afghanistan geflohen, darunter viele Journalistinnen und Journalisten. Für Medienmanager vor Ort wie Saad Mohseni ist es kompliziert: Er will seine Angestellten nicht gefährden, aber um das Programm aufrechtzuerhalten, braucht er Leute.
Die Zukunft der Medien in Afghanistan ist ungewiss. Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen haben in den letzten Wochen rund einhundert private Lokalmedien insbesondere in den Provinzen ihren Betrieb eingestellt. Prominente Moderatorinnen wurden abgesetzt, Unterhaltungssendungen flogen aus dem Programm. Die Berichte über Drohungen, Schikanen und Gewalt gegenüber Journalisten und Journalistinnen häufen sich.
Auch der Chef der Moby Group, dem größten privaten Medien- und Nachrichtenunternehmen in Afghanistan, Saad Mohseni berichtet von Gewalt gegenüber seinen Angestellten. Um seine Leute zu schützen, wurden bereits Musikshows und strittige Soap Operas aus dem Programm genommen. "Wir wollen es nicht zu einer Situation kommen lassen, in der die Taliban unsere Funkhäuser stürmen, gewalttätig gegenüber Mitarbeitern werden und unsere Studios angreifen. Das müssen wir im Kopf haben. Gerade beim Unterhaltungsprogramm."
"Wir müssen unseren Mitarbeitenden Sicherheit bieten"
Schon bevor die Taliban neue Regeln für die Medien erlassen haben, hat also die Selbstzensur eingesetzt – um Menschen zu schützen. "Auch bei den Nachrichten müssen wir unseren Mitarbeitenden Sicherheit bieten, aber wir haben eben auch die Aufgabe, die Wahrheit zu berichten, unzensiert senden zu können. Es ist ein ziemlich schwieriger Akt der Abwägung, den wir jetzt jeden Tag vornehmen müssen", erklärt der Medienmanager Mohseni.
Zur gefährlichen Lage für die Medienschaffenden komme für die Unternehmen nun der Personalmangel hinzu: "Wir haben viele Mitarbeitende verloren, weil sie das Land verlassen haben. Aber gleichzeitig müssen wir neue Leute einstellen und ausbilden, damit wir unser Programm aufrechterhalten können. Das ist eine riesige Herausforderung."
"Es ist uns unmöglich, zum Sprachrohr des Regimes zu werden"
Saad Mohseni will weiter an den Standards seines Unternehmens und der freien Presse festhalten: "Wir haben in den letzten Jahren für so viele Dinge gekämpft, weil wir an sie glauben. Frauenrechte, Meinungsfreiheit und der Schutz von Minderheiten. Deswegen wird es für uns unmöglich sein, das Sprachrohr für das Regime zu werden." Sollte freie Berichterstattung innerhalb Afghanistans nicht mehr möglich sein, werden sie das Land verlassen und von außerhalb berichten, sagt Mohseni.
"Die Taliban werden versuchen manche Narrative zu kontrollieren, auch, weil zum Beispiel die Anschläge am Flughafen zeigen, dass sie eben nicht die Sicherheit bieten können, die sie lauthals versprechen. Es ist beschämend für die Taliban. Dadurch steigt die Gefahr, dass sie diktatorischer regieren, weil die Nachrichten, die nach außen gelangen, ihnen nicht gefallen." Doch es sei praktisch unmöglich für die Taliban, Nachrichten komplett zu unterdrücken oder Social Media zu blocken.
"Die Narrative der Taliban sind simpel"
Thomas Johnson, Professor in der Abteilung für nationale Sicherheitsfragen an der Universität der US-Marine, sieht die freie Meinungsäußerung jedoch bedroht: "Es wird sehr schwer werden für Afghanen, sich in sozialen Netzwerken über die Taliban kritisch zu äußern. Sie beobachten und tracken das genau."
Zudem hätten die Taliban ihre eigenen Strategien, Social Media und das Internet für ihre Zwecke zu nutzen, weiß Thomas Johnson. Ein Mittel waren auch die sogenannten "Nachtbriefe": "Die Taliban gingen in die Dörfer und hängten Nachrichten an die Türen der Familien, die lesen konnten. Am nächsten Tag verbreite sie sich so die Nachricht im gesamten Dorf. Ihre Ortskenntnis war immer ein immenser Vorteil gegenüber den alliierten Truppen."
Die Narrative der Taliban seien simpel: "Sie sagen, unsere Ur-Großeltern haben die Briten dreimal besiegt, deine Großeltern oder Eltern die Sowjets und auch die Amerikaner und andere Alliierte werden gegen uns verlieren. Wir bleiben hier. Dieser simplen Erzählung konnte nicht viel entgegengesetzt werden."
(nog)