Täglicher Kampf um die Pressefreiheit
Nicht nur politisch rückt die Ukraine immer näher an Russland heran. Die Organisation Reporter ohne Grenzen listet das Land auf Platz 126 ihrer Skala zur Pressefreiheit, 22 Plätze vor dem russischen Nachbarn. Korrespondentin Sabine Adler über den Alltag der Journalisten in der Janukowitsch-Ära.
Olga Kalinowska steht neben der Kamera und interviewt Demonstranten. Die ukrainische Fernsehjournalistin vom 5. Kanal hört geduldig zu, obwohl sie zittert wie Espenlaub, ein Techniker legt ihr unauffällig den Mantel über die Schultern. Seit drei Wochen ist die zierliche 33-Jährige mit einem Filmteam in Kiew unterwegs, das Programm ist gefräßig, Sondersendungen am laufenden Band.
"Wir müssen zeigen, was geschieht. Damit die Leute erfahren, was sie selbst tun können: mitmachen. Sie haben keine Angst, denn sie sehen, wie viele schon da sind. Das hat eine ungeheuer mobilisierende Wirkung."
Seit die Proteste am 21. November begannen, dem Tag, da die Regierung den Ausstieg aus den EU-Assoziierungsgesprächen beschloss, haben sie immer wieder nonstop durchgesendet. Im Regime Marathon, wie es in der ukrainischen Fernsehsprache heißt.
"Wir haben natürlich sehr viel mehr und härter gearbeitet, aber wenn so etwas passiert, bekommt alles eine unglaubliche Energie und du spürst, dass du wirklich gebraucht wirst. Nun hoffe ich zwar für unser Land, dass so was nicht so häufig geschieht, aber als Journalist verstehst du, dass du eine echte Mission hast."
Die Medienlandschaft in der Ukraine ist geteilt. Hier die Privaten, dort die unabhängigen und dann gibt es noch die regierungstreuen Sender. Letztere spielen die Massendemonstrationen herunter, sagt Kyryll Savin von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew.
"Die fünf nationalen Sender, die fünf größten, die landesweit zu empfangen sind, die berichten nur in den Nachrichten und zwar ziemlich wenig. Zeigen Seifenopern, irgendwelche Musikstücke, so wie üblich."
Wo ein Sender politisch steht, wird somit nicht nur daran sichtbar, wie er informiert, sondern ob. Wer berichtet, ergreift so automatisch Partei.
"In einem solchen Augenblick kann man nicht hundertprozentig objektiv sein. Aber wir versuchen, nur Fakten zu bringen. Die Bilder sprechen ohnehin für sich."
So fröhlich wie die Fernsehreporterin Olga Kalinowska vom 5. Kanal hätte der Zeitungskollege Waleri Charaguz aus Dneppetrowsk auch gern gearbeitet. Er war am 1. Dezember aus der östlichen Provinz nach Kiew gefahren, um für sein Blatt aus der Hauptstadt zu berichten.
Dabei geriet er zwischen die Fronten. Es war der Tag, an dem die Proteste gewalttätig wurden. Provokateure hatten plötzlich die Sondereinheit Berkut mit Steinen beworfen, Gas gesprüht und sogar einen Bulldozer in die Menge gelenkt. Waleri Charaguz war zur falschen Zeit am falschen Ort.
Aus Beobachtern werden politische Gefangene
"Er ist Journalist und wollte berichten. Als es gefährlich wurde, lief er nicht weg, sondern half jemandem, der am Boden lag. Er wurde selbst geschlagen und verletzt, in Untersuchungshaft genommen und ist jetzt angeklagt, einen Massenaufruhr organisiert zu haben."
Aus insgesamt neun derart zufälligen Demonstranten oder Beobachtern wurden politische Gefangene. Erst am Freitag, als der erste Runde Tisch stattfand, verkündete Präsident Viktor Janukowitsch die Freilassung dieser Inhaftierten. Unklar ist, ob ihnen dennoch ein Gerichtsprozess droht.
Die Inhaftierung des Journalisten Waleri Charaguz und anderer war ein gezieltes Manöver, um andere Demonstranten und Reporter einzuschüchtern, vermutet sein Freund, der Historiker Andrej Portnow:
"Das ist das Signal, dass es absolut jedem so ergehen kann."
Umso sorgfältiger wird jetzt während der Protestbewegung der Regierungskritiker jedes Eingreifen der Polizei und anderer Sicherheitskräfte registriert. Was auch vor sich geht, irgendjemand ist immer zur Stelle, der Aufzeichnungen macht.
Den Runden Tisch, an dem sich am Freitag zum ersten Mal die Kontrahenten gegenüber saßen, filmte der Online-Journalist Mustafa Naijem. Dank ihm konnte jeder Interessierte den für das Land so wichtigen Moment verfolgen.
Die Nachrichtenportale im Internet informieren nicht nur über so gut wie alles, von ihnen geht auch eine außerordentlich mobilisierende Wirkung aus. Sie sind eine ernstzunehmende politische Größe geworden. Deswegen werde gegen sie ein Informationskrieg geführt, konstatiert die Medienjournalistin Nataliia Lygatschow.
"Es gibt massenhaft Internet-Seiten, die unabhängige Medien, Journalisten und Organisationen diffamieren, Reporter ohne Grenzen ist Opfer, auch unsere Organisation 'Telekritika'."
"Es gibt massenhaft Internet-Seiten, die unabhängige Medien, Journalisten und Organisationen diffamieren, Reporter ohne Grenzen ist Opfer, auch unsere Organisation 'Telekritika'."
Am populärsten ist die Internet-Zeitung "Ukrainska Pravda". Sie hat sich zeitweilig in Europejska Prawda umbenannt. Ihre Journalisten sind mit Handy-Kameras im ganzen Land unterwegs, stellten als erste die gewaltsame Auflösung der Proteste ins Netz, sind oft schneller als das Fernsehen. Sie werten das Material anderer Sender aus, veröffentlichen die Clips auf ihre Seite, die zudem erst zwei- jetzt dreisprachig ist.
In einer großbürgerlichen Altbauwohnung im Kiewer Stadtzentrum produzieren 20 Journalisten den mit Informationen vollgepackten Web-Auftritt, der inzwischen 700.000 Mal am Tag angeklickt wird. Ihr Erfolg wurde ihnen zum Verhängnis. Die Seite wird immer wieder frech kopiert, manipuliert. Und sogar als gedruckte Zeitung verkauft, sagt Kyryll Savin von der Böll-Stiftung.
"Es gab plötzlich so eine Papierzeitung, mit dem Design von Ukrainska Pravda und ihrem Namen und die war ziemlich kritisch, wie ja auch die Ukrainska Pravda ist, aber ausgewählte Artikel waren doch ziemlich pro Regierung."
Als die dreisten Nachahmer das Blatt dann sogar registrieren lassen wollten, stellte sich heraus, dass das problemlos möglich war, denn die „Ukrainska Pravda“ hatte das selbst versäumt.
"Sie haben formal noch nicht mal ein Gesetz verletzt, es ist sehr schwer, sie juristisch zur Verantwortung zu ziehen."
Sagt die Medienanalystin Nataliia Lygatschow von der Organisation 'Telekritika' und verweist auf eine weitere Gefahr, die der Presse in der Ukraine droht. Die Regierung Janukowitsch möchte Journalisten mundtot machen, nach russischem Vorbild per Verleumdungsklagen, die dort gängige Praxis sind.
Zwar musste in der Ukraine seit über zehn Jahren kein Journalist eine Enthüllungsgeschichte mit dem Leben bezahlen, aber allergrößte Vorsicht ist vor allem dann geboten, wenn es um die sogenannte Familie geht, also den Präsidenten und dessen Umfeld. Ein undurchdringliches Geäst, das dringend entwirrt werden müsste, findet Korruptionswächter Oleh Rybachuk.
"Janukowisch – seine Partei, seine Geschäftsleute – bringen mehr als ein Jahresbudget außer Landes. Die sogenannte Familie ist korrupt, die Summe im Wert unseres Staatsbudgets verschwindet jedes Jahr."
Den Betrag hat ein Stellvertreter des jetzigen Regierungschefs Asarow genannt, der im ersten Amtsjahr von Präsident Janukowitsch entlassen wurde. Geld, das aus Gewinnen stammt, die eigentlich versteuert werden müssten. Sowie aus der Schattenwirtschaft, weil Geschäfte nicht offengelegt werden. Es wird dem ukrainischen Staat vorenthalten, der auch deshalb notorisch klamm ist.
Nach der Orangenen Revolution, als Präsident Viktor Juschtschenko und Premierministerin Julia Timoschenko von 2005 bis 2010 regierten, habe die Ukraine ebenfalls nicht unbedingt stolz sein können auf ihre Pressefreiheit. Damals blühte das Geschäft mit den sogenannten Jeans. "Dschinsy", Jeans nannte man gekaufte Geschichten. Wer darin vorkommen wollte, positiv natürlich nur, zahlte. Das Fernsehen sei auf diese Art von den Politikern regelrecht verhökert worden, erinnert die Medienkritikerin Nataliia Lygatschow.
"Das machte die damalige Opposition, also die heutige Präsidentenpartei. Aber auch die Leute von Timoschenko und Juschtschenko, die regierten. Aber damals gab es Pluralismus. Wer zahlte, trat auf. Seit Janukowitsch regiert, wird kein Oppositioneller auf den Sender gelassen, für kein Geld."
Klitschko-Partei will keinen eigenen Sender
Valerie Nalyvaichenko von der Klitschko-Partei Udar hält trotzdem nichts davon, sich eigene Sender zuzulegen.
"Nein, es ist gut, dass wir nicht unsere Kanäle haben, das hätte nichts mit Pressefreiheit zu tun."
Mit den Massendemonstrationen gegen den Anti-Europa-Kurs von Präsident Janukowitsch ist der 5. Kanal, der einem ukrainischen Oligarchen gehört, auf einen regierungskritischen Kurs umgeschwenkt. Die Reporterin Olga Kalinowska findet, dass sie in ihrem Sender frei berichten kann, aber sie hat die Medienlandschaft im Blick und weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.
"Wir haben Probleme mit der Pressefreiheit, ziemlich große sogar. Dennoch ist es nicht mit Russland oder gar Weißrussland zu vergleichen, das man sagen könnte, hier würden sämtliche Redaktionen gesäubert und Befehle erteilt, worüber berichtet werden darf und worüber nicht. Aber es gibt auch bei uns Einschränkungen der Pressefreiheit, und Zensur, allerdings dosiert. Aber sie nimmt zu."
Fast alle Fernsehsender befinden sich in der Ukraine im Privatbesitz der reichsten Oligarchen des Landes. Wer etwas auf sich hält, nennt einen Kanal sein eigen. Ein schwerreicher Unternehmer als Eigner vergrößert nicht eben den Spielraum der Journalisten. Sich als vierte Macht im Staat zu verstehen, wird schwer, investigativer Journalismus praktisch unmöglich. Denn wer über Korruption, Geldwäsche oder auch nur untransparente Unternehmensführung berichten möchte, stößt sofort an Grenzen.
Der bedeutendste Privatsender "Inter" gehört dem Großindustriellen Dmytri Firtasch. Den Sender "1+1" besitzt Igor Kolomojski, ansonsten im Finanzgeschäft tätig, in der Erdölverarbeitung, Stahl- und Erzaufbereitung.
Den Kanal "Ukraina" hat sich der reichste Mann der Ukraine zugelegt, der im Bergbau, in der Stahlproduktion und der Telekommunikation tätige Rinat Achmetow, der als Ziehvater von Präsident Viktor Janukowitsch gilt.
Hinter dem 5. Kanal steht der sogenannte Schokoladenkönig Petro Poroschenko, der auch schon Außenminister in der Regierung Juschtschenko war und Wirtschaftsminister unter Janukowitsch.
Hinter dem 5. Kanal steht der sogenannte Schokoladenkönig Petro Poroschenko, der auch schon Außenminister in der Regierung Juschtschenko war und Wirtschaftsminister unter Janukowitsch.
Für große Aufregung sorgte jüngst ein äußerst umtriebiger junger Mann: Sergej Kurtschenko. Seines Zeichens 27 Jahre alt. Er kaufte von Boris Loschkin dessen Media Holding auf. Keineswegs sein erstes Unternehmen, Sergej Kurtschenko ist der ukrainische König des Flüssiggas-Geschäfts und Freund des Präsidentensohnes Alexander Janukowitsch. Wichtige politische Zeitschriften wie "Forbes", "Korrespondent", „Fokus“ und diverse Internet-Portale bekamen Kurtschenko als neuen Chef, die Redaktionen wehrten sich. Ein Dutzend „Forbes“-Journalisten wurden gefeuert, weil sie gegen eine inhaltliche Neuausrichtung in der Zeitschrift protestierten.
Boulevard-Berichterstattung steht hoch im Kurs
Für die Medienkritikerin Lygatschow war der Aufstand der Kollegen eine kühne Entscheidung, denn neue Jobs finden unabhängige Journalisten in der Ukraine kaum.
"Es gibt in der Ukraine nur sehr wenige unabhängige Medien. 'Serkalo niediele', 'Radio Swoboda“, die Tageszeitung „Dien“, im Internet noch einige Portale, wie „Maidan“ oder 'Telekritika', aber das sind ja nur kleine Herausgeber. Die können die „Forbes“-Kollegen nicht aufnehmen. Journalisten in der Ukraine müssen die Regeln akzeptieren, zu Zugeständnissen bereit sein oder aber sich einen Job außerhalb des Journalismus suchen.
Das Team des Fernsehsenders TVI ist im Sommer geschlossen gegangen, als der Eigentümer gewechselt hat. Sie haben das Internet-Bürgerfernsehen 'Hromadske' gegründet, das durch Spenden finanziert wird. Ich bezweifle, dass sie sich mit einer derart unsicheren Finanzierung lange halten."
Printmedien spielen gemessen am Fernsehen nur eine geringe Rolle. Zusammen mit dem Internet entfalten Zeitungen und Zeitschriften gdennoch eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Dass der 27jährige Gas- und neuerdings Medien-Oligarch Kurtschenko auch die Druckerzeugnisse wollte, wird damit erklärt, dass er es auf die kritischen Köpfe der Redaktionen abgesehen hatte. Das vermutet auch Olga Kalinowska vom 5. Kanal.
"Diese Journalisten, die mit verkauft wurden, sind wichtig, denn die sind dann nicht mehr nur für ihre Zeitschriften tätig, die sich kaum jemand leisten kann, sondern arbeiten auch für die Nachrichtenportale im Internet und haben damit eine viel größere Verbreitung."
Wahrscheinlich hat Janukowitsch-Freund Kurtschenko den Auftrag, mit der Media Holding die bislang kritischen Politik-Magazine auf Linie zu bringen und so den Präsidentschaftswahlkampf 2015 abzusichern. Die regierungsnahen Medien machen vor, wie es geht: Das Programm wird trivialisiert. Olga Kalinowska beobachtet, dass zwar über Politiker, aber nicht über Politik gesprochen wird.
"Sie berichten, wie viel irgendein Sportler verdient oder über Hochzeiten von Popstars. Und in diesem Stil wird auch über Politik informiert: Wer verdient was, wer trägt welche Marken, wer trifft sich mit wem wo zum Essen."
Das ist allemal gefahrloser als von den Protesten und erst recht von den Verstrickungen von Politik und Wirtschaft in der Ukraine zu berichten. Jetzt während der Massendemonstrationen empfiehlt der Ukrainische Verband der Journalisten den Korrespondenten sich als Pressevertreter zu kennzeichnen, mit roten Westen und der Aufschrift "Presa". Seit der Eskalation der Gewalt am 1. Dezember, als Kollegen wie Waleri Charaguz und andere von Sicherheitskräften vor dem Regierungsgebäude verprügelt wurden, kommen viele der Aufforderung nach.
In der Rangliste der Pressefreiheit bei "Reporter ohne Grenzen" rutschte die Ukraine seit 2009, vor dem Wahlsieg von Präsident Janukowitsch, um 37 Plätze nach unten und steht jetzt an 126. Stelle. Die Zahl der Übergriffe hat sich von 2011 auf 2012 versechsfacht und dürfte in diesem Jahr noch mal steigen.