Heinrich Senfft - Vorkämpfer für den Rechtsstaat
Er hat die "Zeit" in der Filbinger-Affäre vertreten und den "Stern" juristisch beraten. Jetzt ist der Rechtsanwalt Heinrich Senfft gestorben. Der Journalist Michael Jürgs erinnert sich an einen engagierten Streiter für das Recht.
Moderatorin: Wenn es so etwas wie den Prototypen eines Medienanwalts gibt, dann hat diese Rolle wohl Heinrich Senfft ausgefüllt. Heinrich Senfft, seit den 1960er-Jahren einer der bekanntesten Rechtsanwälte in Deutschland. Jetzt ist er im Alter von 88 Jahren gestorben. Die großen Fälle machten Senfft bekannt und zum Vorkämpfer für den Rechtsstaat. Er vertrat prominente Mandanten: Romy Schneider, Günter Wallraff, Gregor Gysi, und er beriet Medien wie "Die Zeit", etwa im Prozess um die Filbinger-Affäre oder den "Stern" gegen die Politiker Friedrich Zimmermann und Franz-Josef Strauß. Und aus dieser Zeit kennt ihn auch der Journalist Michael Jürgs. Er war mit Heinrich Senfft befreundet. Guten Abend, Herr Jürgs!
Michael Jürgs: Guten Abend!
Moderatorin: Heinrich Senfft war ja auch Ihr persönlicher juristischer Berater, unter anderem, als Sie die Biografie über Romy Schneider schrieben. Warum brauchten Sie ihn damals?
Jürgs: Schauen Sie, ich kannte ihn natürlich als Chefredakteur des "Stern" mit politischen Schlachten, die wir geführt haben. Oder jeden Montag, wenn er unsere Texte gegenlas und sagte, ja, ich glaube, das ist die Grenze, die gerade noch erlaubt ist. Man wusste also, wenn man sich auf ihn verlassen konnte, dass wir sozusagen auf der sicheren Seite standen mit den Geschichten, die dann donnerstags im "Stern" erschienen. Und bei Romy Schneider, mit der ich irgendwann mal im "Stern" ein großes Interview gemacht habe und viele Jahre nach ihrem Tod eine Biografie schrieb, war er mein Jurist, der alles gegenlas, was ich geschrieben habe, weil ich immer einen juristischen Lektor für meine Bücher brauche und ihn natürlich als Freund besonders, weil er auch der Anwalt von Romy Schneider war und gegen all die Boulevardveröffentlichungen, die damals natürlich nicht Fake News hießen, wie sie heute heißen würden, sondern schlichtweg einfach nachgedruckt wurden, kämpfte. Und ich kann mich an eine wunderbare Geschichte erinnern. Ich hatte in dieser Biografie dem Vermögensverwalter von Romy Schneider, sagen wir mal, ein wenig auf den Zahl gefühlt, und er hatte mich verklagt. Und als ich in den Gerichtssaal kam, und er sah meinen Anwalt, nämlich Heinrich Senfft, den Anwalt von Romy Schneider, wusste er, dass er verloren hat.
Gerechtigkeit um jeden Preis
Moderatorin: Das war eben auch dann ein juristischer Erfolg am Ende, wie so oft bei ihm.
Jürgs: Er war einer von denen, die um jeden Preis Gerechtigkeit, die, wie wir beide ja wissen, es nicht gibt in diesem Leben, wenigstens das Recht durchsetzen wollte. Er war ein Kämpfer für den Rechtsstaat und gleichzeitig von einem unglaublich ironischen, freundlichen und richtig intellektuellen Niveau. Das heißt, es gibt ja großartige Anwälte, aber es sind nicht immer die besten, die man zu Gast haben möchte zu Hause. Bei Heinrich Senfft war es immer so, dass diese Lebenserfahrung, die natürlich geboren war aus seiner Anti-Nazi-Haltung. Wir reden ja von Zeiten in den 60er-Jahren, als die Nazis dieses Land noch irgendwie bestimmten, bevor dann die Achtundsechziger endlich ein wenig aufräumten mit denen. Da war er einer schon der Vorkämpfer, was wiederum erklärt, dass er nach der friedlichen deutschen Revolution auch die vertrat, die im Osten in Funktionen waren und natürlich dann im Westen als die bösen Finger hingestellt wurden. Nach dem Motto: wenn wir damals mit den Nazis so umgegangen wären, wie wir heute mit denen umgehen, was hätten wir vermeiden können. Er kämpfte für jeden, der sein Vertrauen verdiente, und er war ein politischer Kopf, was bei Anwälten ja auch nicht immer der Fall ist.
Moderatorin: Das heißt, er war nicht nur ein hervorragender Verteidiger, sondern man kann wohl auch sagen, er war ein überzeugter Linker und vielleicht auch so etwas wie ein Kämpfer für historische Aufarbeitung?
Jürgs: Wenn man heute Links und Rechts mal richtig einordnen würde, würde ich sagen, er war ein Demokrat. Und wenn es einen Demokraten gab wie ihn, der natürlich aus der Erfahrung der Zeit, der er entronnen ist, denn er musste nicht in den Krieg ziehen, aber der Zeit, der er entronnen ist – wenn ein solcher Demokrat auf der Seite des Rechts steht und für uns Journalisten natürlich – schauen Sie, es waren damals ja kämpferische Zeiten. "Stern", "Zeit", "Spiegel" waren ja die Bösen, von München aus gesehen natürlich, von Strauß und von CDU et cetera. Wenn eine von diesen Figuren auf unserer Seite stand, war es, als ob Sie in Schlachten einen hätten, der immer treu Ihnen zur Seite steht und immer das Schwert in der Hand hat, das Schwert des Rechtsstaats.
Moderatorin: Sie haben gerade erwähnt, dass er montags Ihre Texte gegengelesen hat, also so eine Art, kann man sagen, juristische Schlussredaktion. Gibt es so was heute überhaupt noch?
Jürgs: Wenn ich die Zeitungen lese – jetzt kommt der gemeine Satz natürlich –, habe ich das Gefühl, dass oft auch die Redakteure nicht gelesen haben, was sie geschrieben haben. Aber gut, das ist eine andere Geschichte. Jeden Montag, wenn der "Stern" aktualisiert wurde für die Donnerstagsausgabe, kam er, Heinrich Senfft, in die Redaktion. Er musste natürlich jetzt nicht die "Personalien" lesen, aber es gab gewisse Texte, die so ziemlich hart in den Recherchen waren und die er gegenlesen musste. Das war die letzte Instanz, wenn Sie so wollen. Natürlich war ich, der Chefredakteur, oder Nannen oder wer auch immer die allerletzte Instanz, aber wenn er sagte, ich glaube, wir sollten hier einen kleinen Satz noch rein tun, haben wir es gemacht.
Moderatorin: Sie haben es ja gerade eben auch schon erwähnt, er ist bis zum Äußersten juristisch gegangen. Was steckte dahinter? War er risikofreudig, oder war er am Ende einfach immer nur besser präpariert als der Gegner?
Drahtiger Intellektueller im schwarzen Talar
Jürgs: Erstens war er natürlich hervorragend präpariert, und auch das darf man nicht vergessen: Wir haben ihm natürlich auch Material gegeben, was nicht jeder Jurist bekommen würde aus unseren Archiven. Das. Und zum Zweiten hatte er eine moralische Grundhaltung – eine moralische Grundhaltung, sozusagen, das darf man nicht durchgehen lassen. Man darf Filbinger nicht durchgehen lassen, dass er als furchtbarer Jurist, wie Hochhuth ihn genannt hat, noch Todesurteile gegen Deserteure gefällt hat. Man darf einer damaligen "Bild"-Zeitung, die ja Kampfpresse war, nicht durchgehen lassen, Wallraff fertig zu machen. Und genauso hat er reagiert: Man darf nicht denen, die zu lange geschwiegen hatten, durchgehen lassen, dass die, deren Zeit sie nicht erlebt haben, wie Gysi oder Hermann Kant, durchgehen lassen, dass die verfolgt werden. Er nahm das Wort verfolgt. Und dann zog er vor Gericht. Und wenn man diesen Einmarsch – nicht Einmarsch, das ist mir jetzt zu soldatisch –, den Auftritt von Heinrich Senfft, der ja ein kleiner, drahtiger Intellektueller war, mit dem schwarzen Talar vor Gericht erleben konnte, war das immer eine wunderbare Inszenierung.
Moderatorin: Das hört sich gut an. Hat er seinen Kampfesgeist denn bis in die letzten Tage bewahren können? Sie haben ihn ja noch vor wenigen Wochen persönlich gesprochen.
Jürgs: Mein alter Freund wurde mehr und mehr, auch nach dem Tod seiner Frau, die viel jünger war als er, und er eigentlich dachte, er sei der der Erste, der sterben musste, wurde wehmütig, wurde melancholisch. Er war nicht mehr so heiter, er hatte das Gefühl "War mein Kampf umsonst?", auch das kam politisch dazu, sodass man ihn plötzlich aufbauen musste, aufbauen musste wie früher umgekehrt er uns, bevor wir in den Gerichtssaal traten, aufgebaut hat.
Moderatorin: Michael Jürgs über seinen Freund und Anwalt Heinrich Senfft, der am vergangenen Freitag im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Herr Jürgs, vielen Dank für dieses Gespräch!
Jürgs: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.