Wie die Terror-Propaganda ins Netz kommt
Islamisten nutzen Medien und soziale Netzwerke auf professionelle Weise für ihre Propaganda. Der Zivilgesellschaft fehle bisher noch die richtige Gegenstrategie, sagt der Terrorismusexperte Marven Abou-Taam. Er gehört zu den Teilnehmern der Konferenz "Formate des Politischen".
Liane von Billerbeck: Sie machen ihre Sache gut, auch wenn ihre Sache teuflisch ist, brutal, mörderisch. Der sogenannte Islamische Staat geht auf höchst professionelle Weise mit den modernen Medien um, agiert geschickt in den sozialen Netzwerken und spielt auf der Klaviatur, die die Mediengesellschaft bietet.
Wie das konkret passiert und vor allem ob und welche Gegenstrategien es gibt, das ist heute ein Diskussionsthema bei der Konferenz "Formate des Politischen", die von der Bundeszentrale für politische Bildung, vom Deutschlandfunk und der Bundespressekonferenz dortselbst veranstaltet wird. Mitdiskutant ist der Islam- und Politikwissenschaftler Marwan Abou Taam, er ist Terrorismusexperte vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Das Internet als Hauptplattform für islamistische Organisationen
Marwan Abou Taam: Guten Morgen!
von Billerbeck: Welche Rolle spielen die Medien für islamistische Netzwerke?
Abou-Taam: Man kann sagen, dass im Laufe der letzten zehn Jahre das Internet sich entwickelt hat zu einer der Hauptplattformen für die Kommunikation islamistischer, insbesondere dschihadistischer Organisationen, also, diejenigen Organisationen, die insbesondere junge Menschen gewinnen wollen für ihren Kampf gegen die sogenannten Ungläubigen.
von Billerbeck: Welche Medien nutzen denn die Terroristen da? Man konnte in der Vergangenheit ja den Eindruck gewinnen, dass sie vor allem auf psychologische Effekte gesetzt haben durch die Verbreitung von Angst und Schrecken, die ihre Aktionen auslösen in westlichen Medien, in westlichen Staaten. Jetzt hat man den Eindruck, die Islamisten nutzen zunehmend eigene Kanäle.
Abou-Taam: Ja, beides. Es ist quasi nicht entweder oder, sondern wir stellen fest, dass hier verschiedene Gruppen mit verschiedenen Infrastrukturen letztendlich erreicht werden. Das heißt, einmal diejenigen, die noch nicht an der Organisation angebunden sind beziehungsweise noch keine Zugänge haben, die werden über die sozialen Medien (angesprochen). Insbesondere Social Web spielt da eine ganz große Rolle, quasi Facebook, Twitter und Ähnliches.
Und dann gibt es diejenigen, die tatsächlich bereits an die Gedankenwelt dieser Gruppierung letztendlich angebunden sind, die werden erreicht mit anderen Medien, beispielsweise eigene Plattformen.
Woher stammen die Bilder im Netz?
von Billerbeck: Nun fragt man sich manchmal, wie kommen eigentlich dieser Terror, diese Bilder vom Terror ins Netz, wenn der IS in Regionen operiert, wo die Infrastruktur vom Krieg längst völlig zerstört ist! Denken wir nur jetzt an die Schlacht um Mossul und dieses ganze Gebiet darum, wie ist denn das mit den Informationen, die der IS von dort verbreitet?
Abou-Taam: Wir dürfen nicht den Fehler machen und glauben, dass IS hierarchisch diese Informationen verbreitet. Vielmehr ist es so, dass Sympathisanten diese Informationen außerhalb von Syrien, außerhalb vom Irak tatsächlich ins Netz bringen. Das bedeutet, die Bilder werden produziert in diesen Kriegsregionen, die Nutzung des Internets ist sehr oft außerhalb. Darüber hinaus – und das ist das, was natürlich halt uns besonders beschäftigt – scheint es so, dass bestimmte Propagandainstrumente von IS Zugänge haben zu modernen technischen Mitteln und haben von dort die Möglichkeit, tatsächlich über Satellit und Ähnliches Informationen zu verbreiten. Hier stellt sich die Frage, warum können die das, und vor allem, wer unterstützt sie dabei?
von Billerbeck: Ja, und wer tut das, wer ist der Unterstützter oder die Unterstützter, woher bekommen sie Geld und Equipment?
Abou-Taam: Also, ich gehe stark davon aus, dass es durchaus auch Überlappung von Interessen geben kann. Also, durchaus ist es so, dass wir feststellen können, dass in bestimmten Phasen IS gar nicht so isoliert war, sondern es gab Geld, was geflossen ist aus den verschiedenen Regionen der arabischen Welt.
Regierungen argumentieren, dass nicht Regierungen das machen, sondern sympathisierende Bevölkerungsteile. Mal dahingestellt, aber quasi wir stellen fest, dass es da Geldströme gegeben hat, und das ist Geld, was man durchaus nutzen kann, um Klandestin-entsprechende Technologien beziehungsweise entsprechende Zugänge tatsächlich finanzieren zu können.
Sympathien für den IS aus der Golfregion
von Billerbeck: Welche Länder sind das konkret gewesen oder sind es noch?
Abou-Taam: Die Vorwürfe kamen hauptsächlich aus dem Bereich der Golfregionen, also quasi, dass in den Golfregionen zumindest die Bevölkerung große Sympathien für den IS entwickelt haben soll. Und wir haben mittlerweile allerdings die Situation, dass genau diese Staaten darauf achten, dass kein Geld mehr fließt. Das heißt, hier gab es eine Wende, quasi einen Wechsel.
Wir haben aber auch – und das darf man nicht vergessen – die Situation gehabt, dass die meisten europäischen Kämpfer, die in Richtung IS abgerückt sind, die sind über die Türkei eingereist, etwas, was heute nicht mehr ganz so leicht ist. Das bedeutet, in einer bestimmten Phase haben auch türkische Sicherheitsorganisationen scheinbar mal ein Auge zugedrückt, man denke nur an die ganze Debatte in der Türkei zurzeit in Bezug auf Medien.
Und ausgelöst wurde diese Debatte durch Berichterstattung, dass innerhalb der türkischen Sicherheitsapparate Sympathien für IS entwickelt worden sind und dann eben bestimmtes Equipment über die Türkei in Richtung IS-Gebiet geflossen sein soll.
von Billerbeck: Das waren ja die Recherchen von "Cumhuriyet".
Abou-Taam: Zum Beispiel, ja.
Propaganda mit jugendaffinen Inhalten
von Billerbeck: Wo ja auch Journalisten verhaftet worden sind. Nun interessiert uns natürlich, was kann getan werden, um gegen diese zunehmende Professionalisierung von Islamisten, Dschihadisten, Terroristen auch in den Medien vorzugehen? Wäre es da zum Beispiel hilfreich, wenn man quasi negative Propaganda ins Netz stellt, also zum Beispiel dass da ein mutmaßlicher Islamist gestern Abend in Berlin verhaftet worden ist?
Abou-Taam: Ja. Man muss hier auch aufpassen. Die Frage, die sich hier stellt, wer mit welchen Inhalten ins Internet geht … Also quasi haben wir hier zwei Sachen, die IS scheinbar gut macht: Einmal: Sie nutzen das Internet, um eine große Reichweite, eine hohe Reichweite zu erlangen.
Man darf nicht vergessen, wir haben es hier auch mit dem Web 3.0, das ist ein Mitmachinternet, wo ich dann Informationen rekombinieren kann, das bedeutet, ich gebe potenziell Interessierten die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Quasi, das ist etwas, was natürlich halt eine sehr hohe Anziehungskraft hat.
Und auf der anderen Seite ist es so, dass IS sehr oft jugendaffine Inhalte produziert und ins Internet packt, plus – und das ist ganz wichtig – bestimmte Bedürfnisse, die angesprochen werden. Das heißt, IS-Propaganda ist nicht nur Gewalt, sondern auch Gewalt, dass quasi diejenigen, die gewaltinteressiert sind, gucken sich diese Inhalte an.
"Gegennarrative müssen glaubhaft sein"
Wir haben aber auch durchaus theologische Aspekte, Debatten, die wiedergegeben werden, wir haben weltpolitische, machtpolitische und so weiter. Das bedeutet, diejenigen, die gegenwirken wollen, also diese berühmten Gegennarrative, die müssen glaubwürdig sein. Und damit haben wir das erste Problem: Wer kann sie glaubwürdig ins Internet packen?
Und zweitens, sie müssen tatsächlich halt die verschiedenen Bedürfnisse der Jugendlichen, die diese Kommunikation halt konsumieren, auch ebenfalls erreichen, das heißt Sinn vermitteln. Und das ist etwas, was natürlich halt staatlicherseits scheinbar nicht funktioniert. Und die Zivilgesellschaft ist im Lernprozess. Quasi, wir haben noch keine Strategie, die tatsächlich effektiv zu sein scheint.
von Billerbeck: Darüber diskutiert wird heute auch auf der Konferenz "Formate des Politischen", und mitdiskutieren wird mein Gesprächspartner Marwan Abou Taam, Terrorismusexperte vom LKA Rheinland-Pfalz. Ich danke Ihnen!
Abou-Taam: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.