Medienkonferenz "German Angst" in Berlin

Das Problem mit dem "Wir"

Montagsdemo der Pegida-Gruppierung am Tag der Deutschen Einheit in Dresden.
Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick warnte auf der Konferenz vor einem "übergeordneten 'Wir'". © imago/Berg
Von Jochen Stöckmann |
In Zeiten von Terror, Massenmigration und Populismus fühlen sich hierzulande viele bedroht und in ihrem sozialen Status gefährdet. Die Berliner Medienkonferenz trägt das Patentrezept schon im Titel und empfiehlt: "Das neue deutsche Wir". Doch das birgt einige Fallstricke.
"Schreckliche Vereinfachung, Ängste bewirtschaften, polarisieren. Boulevard und Populismus, die manchmal so tun, als seien sie Gegensätze, haben letztlich eine objektive Allianz gebildet."
Die Warnung von Roger de Weck, Generaldirektor des Schweizerischen Rundfunks, auf der "Civis"-Medienkonferenz "Das neue deutsche Wir. German Angst" in der Akademie der Künste ist unüberhörbar: Die Medien dürfen sich nicht einlassen auf die fremdenfeindliche Panikmache – von der einige sogar zu profitieren meinen. Kein leichtes Unterfangen, denn selbst unter seriösen Journalisten zeigt die aufgeheizte Stimmung Wirkung. Sabine Rau, ARD-Korrespondentin in Berlin:
"Der Vorwurf: Wir haben uns zu sehr entfernt von den Ängsten der Menschen, wir sind zu abgehoben und elitär."
So weit ist es gekommen, dass nicht handwerkliche Fehler, nicht fehlende oder falsche Fakten ein Problem darstellen, sondern der Mangel an "Nähe". Dabei ist doch die klassische Aufgabe des Journalisten, nüchtern zu analysieren, die Realität zu beschreiben. Aber das haben längst andere übernommen, zumindest nach Meinung der Dresdner Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler:
"Die AfD ist deswegen bedrohlich, weil sie die Probleme beschreibt und überhaupt keine Lösungen anbietet."

Das Problem mit den "Narrativen"

Gegen diese drohende Gefahr hat Münkler zusammen mit ihrem Mann, dem Historiker Herfried Münkler, mitten in der sogenannten "Flüchtlingskrise" ein Buch herausgebracht: "Die neuen Deutschen – Ein Land vor seiner Zukunft". Denn:
"Es ist nicht gelungen eine Stimmung zu schaffen, in der klar war: Wir müssen da hart dran arbeiten – aber das ist eine Gelegenheit für uns, zu zeigen was wir können."
Als gäbe es in der bundesdeutschen Gesellschaft keine Interessenunterschiede. Alle müssen gemeinsam anpacken, wie damals beim Wirtschaftswunder. Eine Erfolgsstory, eine positive und aufmunternde Geschichte.
Die Medienwissenschaftlerin Friederike Herrmann nennt es mit einem Fachbegriff "Narrativ". Damit werden Probleme der Gegenwart durch Ursachen in der Vergangenheit erklärt und Handlungsanweisungen für die Zukunft abgeleitet. In sich schlüssig, kurzschlüssig. Aber überzeugend erzählt. Ein beliebtes Stilmittel der Populisten – gegen das die Medien machtlos scheinen:
"Was der Journalismus wirklich tun kann, ist: über Narrative aufzuklären. Das halte ich für besser, als andere Geschichten dagegen zu setzen und diese Spirale immer weiter zu drehen."
Die Münklers beharren auf ihrer zukunftsweisenden Blaupause, ihrem "Projekt". Dessen Vorteile offen zutage liegen – und zu dessen Verwirklichung nur noch fehlt, dass…
"… die hier Eingesessenen sich auf dieses Projekt einlassen müssen. Gar nicht so sehr pädagogisch, eigentlich haben wir es mehr in dem Sinne gemeint: Schaut doch mal, was diese ganze Situation euch auch für Vorteile bringt. Die Leute, die zu uns gekommen sind, die sind von ihrer Altersstruktur her genau das, was wir brauchen."

Wachsende Individualisierung

Da ist es wieder, dieses fatale "Wir". Wir – das sind wir alle. Eine komplexe Gesellschaft mit rasant steigendem Grad der Individualisierung.
"Stülpen wir da ein übergeordnetes 'Wir' drüber, dann funktioniert es nicht. Das ist ein Assimilationsmodell. Das andere ist: aktive Beteiligung."
Das empfiehlt der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick: Konflikte austragen, im Widerstreit der Interessen die eigene Position erkennen, verändern, Kompromisse schließen. Dabei aktiv und an der Basis jene Solidarität erfahren, die oft nur von hoher Warte gepredigt, als Patentrezept verordnet wird. Wer einmal etwas verändert hat, als Bürger etwas bewirkt hat, der lässt sich von den scheinbar objektiven Fakten nicht mehr ins Bockshorn jagen. Statistiken gelten nicht für alle Zeiten. Selbst wenn sie ein Soziologe wie Heinz Bude gekonnt und virtuos präsentiert.
"Die Bürgerkriegsflüchtlinge der neunziger Jahre, die sind alle – in Anführungsstrichen – erfolgreich verschwunden auf den Arbeitsmärkten. Das wird nicht mehr funktionieren. Wir werden jetzt eine Population haben, die wir für mindestens zehn Jahre als eine Wohlfahrtsstaatpopulation mitnehmen."
Von Wissenschaftlern wie auch von Journalisten würde man erwarten, dass sie solche Prognosen nicht nur anzweifeln, sondern die genaueren Umstände erforschen, recherchieren. Mit prägnanten Einzelfällen illustrieren, dem Publikum näherbringen. Zuhören, genau hinschauen sollte die Devise sein. Also die Wiederaufnahme journalistischer und auch sozialwissenschaftlicher Tugenden, an die Andreas Zick erinnert, mit melancholischem Rückblick auf die Zeit nach 68:
"Da hatten wir ja etwas wie kritischen Journalismus. Kritischer Journalismus bedeutet, ich beschreibe nicht nur, sondern ich beschreibe aus drei, vier, fünf verschiedenen Perspektiven. Auch mit dem, was die Folgen sein können."
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