Medienkritik im Kino

Vom Grauen der Einschaltquoten

Der Kammeramann Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) und die Chefredakteurin Nina (Rene Russo) in einer Szene des Films "Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis".
Der Kammeramann Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) und die Chefredakteurin Nina (Rene Russo) in einer Szene des Films "Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis". © picture alliance / dpa / Concorde Filmverleih GmbH
Von Bernd Sobolla |
Der nun in deutschen Kinos startende US-Film "Nightcrawler" entlarvt die hemmungslose Gier nach Auflage und Einschaltquote der Medien. Damit befindet er sich in einer Tradition eines spannenden und wichtigen Film-Genres. Ein Rückblick.
"Entschuldigen Sie, Sir, ich suche nach einem Job. Mein Plan ist, einen Bereich zu finden, in den ich hineinwachsen kann. Ich bin ein Arbeitstier, ich setze mir hohe Ziele, und man sagt mir nach, ich sei hartnäckig."
Lou Bloom, gespielt von Jake Gyllanhaal, macht einen überzeugenden Eindruck, aber es nützt nichts, er bekommt keinen Job. Als er zufällig nachts einen Autounfall erlebt und beobachtet, wie ein Kamerateam die Verletzten filmt, kommt er auf die Idee, Gleiches zu tun. Er kauft sich einen Camcorder, hört den Polizeifunk ab, düst durch die Nacht und filmt Gewaltexzesse und Unfälle aller Art, um das Videomaterial zu verkaufen. Wobei er schnell die ersten Stufen im Mediensystem erklimmt.
"Stellen Sie sich vor, Sie bringen Ihr Baby ins Bett, singen ihm ein Schlaflied und plötzlich müssen Sie es mit Ihrem eigenen Körper schützen. Während ein wahrer Kugelhagel auf Ihr Haus niedergeht. Für die Cahils aus Echo Parc wurde dies zu einer entsetzlichen Realität, als das angrenzende Haus zu einer Szene wie aus dem Wilden Westen wurde."
Ein bisschen Wild-West-Atmosphäre verbreiten die meisten Filme des Mediengenres. Zumal sich die Protagonisten oft in einer gesetzlichen Grauzone bewegen oder klar illegal handeln. Und das schon seit ewigen Zeiten. Billy Wilder zum Beispiel schickte schon 1950 Kirk Douglas als gewissenlosen Lokalreporter in einen Bergstollen, wo ein Höhlenforster verschüttetet wurde. Der Reporter sieht eine große Story. Aber für die braucht er Zeit:
"Hey, everybody! Listen! Listen!"
Er verzögert die Rettungsarbeiten, und mit jeder Stunde strömen mehr Katastrophentouristen herbei, werden die Parkplätze teurer, die Umsätze in den Geschäften höher und das nationale Interesse steigt. Die Rettung mutiert zur Jahrmarktsveranstaltung, die sich jedoch schnell auflöst, als das Opfer im Bergwerk stirbt. Ein sarkastisches Drama, das sich an ein wahres Ereignis anlehnte.
"Das Millionenspiel" nahm bereits 1970 die Quotenjagd voraus
Auch in Deutschland riefen solche filmischen Mediengeschichten großes Interesse hervor. "Das Millionenspiel" von Tom Toelle handelt von der Fernsehshow eines Privatsenders, in der ein Kandidat vor Auftragskillern fliehen muss. Wobei die Bevölkerung dem Verfolgten helfen oder ihn verraten kann. Der Film nahm bereits 1970 die Quotenjagd voraus, die mit dem Privatfernsehen ins Rollen kam. Ein visionärer Film, der mit dem Voyeurismus der Zuschauer spielt. Diverse Zuschauer bewarben sich damals als Kandidaten.
"Wissen Sie, wer Bernhard Lotz ist?"
"Ja, sicher. Aus dem Millionenspiel: der Gejagte."
"Was denken Sie von diesem Spiel? Finden Sie das geschmacklos, finden sie das menschlich?"
"Sehr modern finde ich das, ganz prima, ausgezeichnet."
"Modern, d.h. Leute abschießen?"
"Ja, nicht nur."
"Ist ziemlich hart. Aber was soll man machen – Fernsehen."
Wenig Fiktion bedurfte es bei "Schtonk", der Geschichte über die Veröffentlichung der vermeintlichen Hitler-Tagebücher, die Helmut Dietl als Realsatire inszenierte:
"Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen und dann werden tausend Wunder wahr."
"Free Rainer": Manipulation für anspruchsvolles Fernsehen
Und der Regisseur Hans Weingartner träumte 2007 in "Free Rainer – Dein Fernseher lügt" gar davon, die Erhebung der Einschaltquoten zu manipulieren, um das Volk für anspruchsvolles Fernsehen einzustimmen. Dennoch wirken die Medienstories aus den USA überzeugender und auch radikaler.
Einen Filmklassiker drehte zum Beispiel Sidney Lumet 1976 mit "Network". Darin wirft ein fast schon entlassener Nachrichtensprecher alle Hemmungen über Bord und klagt vor der Kamera über die Gewalt auf den Straßen, Bankenpleite, Inflation und zügellosen Konsum:
"Also! ... Ich will jetzt, dass ihr alle aufsteht, einer wie der andere. Ich will, dass ihr sofort aufsteht, zum Fenster geht, es aufmacht, den Kopf raus steckt und schreit: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken. Ich lasse mir das nicht länger gefallen."
Seine Wutrede wird ein Quotenhit und er erhält eine eigene Show. Und dann gab es auch noch kurz vor der Jahrtausendwende "The Truman Show" von Peter Weir. Der genialste Film zum Thema "Reality TV", in dem der 29-jährige Truman Burbank seit seiner Geburt als Mensch vom Fernsehen dokumentiert wird.
Nur Truman weiß nicht, dass er in einer TV-Welt lebt
Seine Heimatstadt ist als Bühne unter einer riesigen Kuppel aufgebaut, und jeder Moment wird live in alle Welt ausgestrahlt. Nur er selbst weiß nicht, dass er sich in einer TV-Welt befindet.
"Wiener Blut. / Hiermit taufe ich diesen Planeten "Trumania"! Von der Burbank Galaxis. / Trumania, Trumania"
Nicht in einer anderen Galaxie, aber doch in einer anderen Welt spielt der neue Film "Nightcrawler". Denn mit dem Erfolg hebt Kameramann Lou Bloom ab, beutet seinen Assistenten aus und erpresst seine Nachrichtenchefin. Für Schauspieler Jake Gyllenhaal aber ist der überzeugende "Nightcrawler" nicht nur ein Film über Medien:
"Ich glaube, dass Lou Bloom den amerikanischen Traum verkörpert. Uns wurde diese konventionelle Vorstellung von Erfolg vermittelt. Und er würde alles dafür tun. Wahrscheinlich würde einer wie er einer der erfolgreichsten amerikanischen Unternehmer werden."
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