Über die möglichen Gründe dafür, warum die Ergebnisse der "taz"-Recherche in den Medien kaum Beachtung finden, haben wir mit dem Journalisten Michael Kraske gesprochen:
"Wenn sich Bundeswehrsoldaten darüber unterhalten, dass man für einen Tag X Lagerhallen bereitstellen will und dazu nutzen will, politische Gegner und Feinde zu internieren und sogar zu liquidieren, dann ist das eigentlich ein Grund für einen Aufschrei. Und dass dieser Aufschrei auch medial nicht erfolgt, das ist kein gutes Zeichen."
Die Medien würden sich beim Thema Rechts zuallererst mit der AfD auseinandersetzen. Er sieht allerdings auch einen ganz praktischen Grund, warum es Redaktionen so schwer falle, über diese rechtsterroristischen oder rechtsextremistischen Szenen zu berichten. "Das erfordert nämlich langwierige und langfristige Recherche, und da kann man sich zum Teil dann eben auch nicht mehr auf die offiziellen Stellen verlassen."
Zudem hätten die Themen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus im Moment überhaupt keine Konjunktur, das ließe sich anhand der letzten Jahre eindeutig beobachten. Es würde in der Gesellschaft verstärkt über die vermeintliche Bedrohungslage gesprochen, die von Geflüchteten oder kriminellen Migranten ausgehe, und dem würden sich viele Redaktionen anpassen. (cwu)
Wo bleibt die Resonanz auf die "Hannibal"-Recherche?
13:55 Minuten
Eine lange Recherche der „taz“ beschäftigt sich mit dem Aufbau eines rechten Untergrundnetzwerkes in Deutschland. Daran seien Soldaten, Reservisten, Beamte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes beteiligt. Warum schlägt dieser Bericht kaum Wellen?
Hannibal ist ein Deckname. Eigentlich heißt er Andre S. Ein Elitesoldat der Bundeswehr, beste Kontakte zum Militärischen Abschirmdienst und offenbar zentrale Figur in einem rechten Untergrundnetzwerk. Heute ist er außer Dienst, aber noch immer ein Baustein in der Recherche "Hannibals Schattenarmee" von taz-Redakteurin Christina Schmidt und ihrem Team.
"Was wir gemacht haben, ist ja zu zeigen, dass es eine strukturelle Vernetzung in bestimmten Sicherheitsfunktionen gibt. Also wir haben auf allen möglichen Mitgliedsebenen Menschen gefunden, die eigentlich dafür da sind, den Staat zu schützen oder auch den Staat überhaupt zu formen", fasst Schmidt ihre Arbeit zusammen.
Laut taz-Recherchen gibt es in Deutschland also ein ganzes Netz an Gruppen, die sich über Chats informieren und organisieren. Dazu zählen sogenannten Prepper-Gruppen, also Menschen, die sich für eine eventuelle Katastrophe vorbereiten und in denen offenbar auch Franco A. aktiv gewesen sein soll.
Vorbereitung auf Tag X
Und noch ein anderer Verein sei demnach in diesem Netzwerk aktiv: Uniter, in dem sich Spezialkräfte aus Soldaten und Polizeien mit ähnlichen Gedanken treffen und gemeinsam trainieren. Die sich vorbereiten für einen Tag X, an dem der Staat sie nicht mehr genügend versorgen kann, erzählt Schmidt. "Die haben also die Aufgabe für die Bürger da zu sein und diese Menschen, die misstrauen dem Staat aber eigentlich und organisieren sich parallel dazu noch einmal selbst und das eben mit einem rechtsextremistischen Gedankengut."
Es sei ein Anliegen, so Schmidt weiter, zu zeigen, dass "wir eben genau in Polizeien reingucken müssen". Ein Hitlergruß auf einer Party sei in solchen Kreisen eben kein Witz ist, sondern ein ernstzunehmender Vorfall. Letztlich verbindet sich für Schmidt mit der Veröffentlichung der Recherche eine ganz bestimmte Hoffnung: "Dass das dazu beiträgt, die Debatte darüber zu führen, wo rechte Gesinnung... wie weit die überhaupt gehen darf in bestimmten gesellschaftlichen Funktionen."
Die große Debatte bliebt aus
Eine Woche nach der taz-Recherche ist diese große Debatte aber ausgeblieben, weder in den überregionalen Zeitungen- noch auf der großen Bühne der Polit-Talkshows, wurde über Kontrollmöglichkeiten in der Bundeswehr, in den Polizeien oder Verfassungsschutzämtern diskutiert.
Bei Anne Will geht es um Zusammenhalt, bei Sandra Maischberger um rasende Autofahrer und auch sonst macht die Geschichte zwar in interessierten Kreisen in Medien und sozialen Netzwerken die Runde, aber es drängt sich die Frage auf, warum die Resonanz so verhalten ist.
"Weiterdreh" notwendig
Eine mögliche Antwort bekommen wir von Markus Zeidler, Redakteur von "Hart aber Fair". Beim gegenwärtigen Sachstand müsse man sich für einen substanziellen journalistischen Weiterdreh dieses Themas mit zum großen Teil vertraulichen Dokumenten und nur verdeckt auftretenden menschlichen Quellen beschäftigen. Im Fernsehen seien die geeigneteren Formate deshalb Magazine und Dokumentationen. Und noch zwei Gründe, schreibt Zeidler, sprechen gegen eine Thematisierung bei einer Talk-Sendung wie "Hart aber Fair":
"Erstens treten Akteure bei uns am Panel grundsätzlich offen auf. Zweitens setzten wir auf den Austausch kontroverser Meinung. In der Bewertung der recherchierten Vorgänge dürften sich jedoch alle demokratischen Player einig sein. Sollten weitere Recherchen einen Verdacht verdichten, dass verantwortliche staatliche Stellen dagegen möglicherweise nicht mit der gebotenen Konsequenz vorgehen, wird das Thema sicher auch bei uns nochmals ergebnisoffen diskutiert."
Was fehlt?
Geht es hier darum, dass die Faktenlage nicht öffentlich nachvollziehbar ist? Dass einsehbare offene Quellen fehlen und Personen, die sprechen? Kurzum: Dass das Vertrauen von Journalisten in die Arbeit der Kollegen nicht ausreicht? Vielleicht auch aus Angst, einer Verschwörungstheorie aufzusitzen? Ein für Christine Schmidt kein ganz fremder Gedanke, klingen doch einige der recherchierten Geschichten wirklich abenteuerlich:
"Also diesen Begriff Verschwörungstheorie haben wir natürlich über die gesamte Recherchezeit mitgetragen. Wir haben ja angefangen in Mecklenburg-Vorpommern und hatten da diese Männer, die eben Terrorakte geplant haben und das sind die gleichen Schauplätze wie beim NSU, es ist wieder Rostock. Dann hat sich jetzt eben ergeben, dass dann da einer von den Männern so einen Pokal auslobt, der nach einem NSU-Opfer benannt ist. Also man schießt um ein NSU-Opfer und wir haben uns lange gesträubt, das wahrhaben zu wollen, dass es jetzt ein Netzwerk ist."
Ist das Thema zu schwierig?
Eine, die seit vielen Jahren im rechtsextremen Milieu recherchiert, ist die Journalistin Andrea Röpke. Sie sagt, das Entscheidende sei hier nicht die Quellenlage. "Ich glaube, es ist ein schwieriges Thema, wenn man sich mit einem großen Skandal in den Sicherheitsbehörden auseinandersetzt, dann reißt das alles auf, was bisher da war. Rechter Terror ist grundsätzlich, oder rechte Untergrundgeschichten sind grundsätzlich Themen, die immer wieder auch medial zögern lassen und auch die Öffentlichkeit zögern lassen. Ich glaube, da ist eher die Ursache zu suchen."
Schon als im vergangenen Jahr die Terrorzellen um Franco A. und die "Nordkreuz"-Gruppe ausgehoben wurden, sei eine grundsätzliche Debatte über die Folgen für Polizei und Geheimdienste ausgeblieben, sagt Röpke.
Kann nur das Fremde Angst machen?
Über den Polizisten und Gründer der Prepper-Gruppe "Nordkreuz" etwa berichtete der NDR im September 2017. Dort heißt es in der Anmoderation: "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Das ist schon ein massiver Vorwurf, wegen dem die Bundesanwaltschaft gerade ermittelt. Schwere staatsgefährdende Gewalttat. Dabei denkt man sofort an islamistischen Terror oder sowas..."
Ist das vielleicht Teil des Problems? Wir trauen zwar Islamisten zu, paramilitärische Gruppierungen zu gründen, aber nicht deutschen Elitesoldaten? Wie groß ist das Problem "Rechtsextremismus in den Behörden"? Wenn wir uns an die Geschichte des NSU zurückerinnern: Wollen wir, die Medien, es uns erlauben, mit einer solchen Debatte zu warten (Jenny Genzmer)