"Lyrisch abrüsten"
Nach dem Skandal um gefälschte Reportagen widmet der aktuelle "Spiegel" dem Fall Claas Relotius viele Seiten. Medienkritiker Matthias Dell sieht ein Problem: Das Nachrichtenmagazin pflege weiter einen Stil, mit dem es die eigenen Probleme verkenne.
Die aktuelle gedruckte Ausgabe des "Spiegel" ist die erste nach den hauseigenen Enthüllungen um den früheren Starreporter Claas Relotius. Wie konnte dieser jahrelang Geschichten erfinden, ohne dass er aufflog? An der Form der Aufklärung sieht Matthias Dell, der unter anderem für Spiegel Online Kritiken schreibt, "blinde Flecken" im Selbstbild des Magazins: So beginne die Rekonstruktion der Ereignisse mit dem "unglaublich metaphorischen Element" vom "perfekten Sturm", der über den Spiegel hereingebrochen sei.
Dramatisches Gedrechsel und Gewölk
Das habe auch etwas Komisches, sagte Dell im Deutschlandfunk Kultur: Der Spiegel sei auch in der eigenen Sache nur in der Lage "so zu schreiben, wie der Spiegel schreibt": "Man hat fast das Gefühl, die können nicht anders, die sind so in dem dramatischen Gedrechsel und Gewölk gefangen, dass die immer nur so reden." Dadurch merke man nicht, dass es das eigene Problem sei. Dazu gehöre, dass der Spiegel immer glaube, eine Person in einer Reportage müsse alle großen, komplexen Probleme bündeln - und so könne man die Welt erklären.
Über die Zukunft des Blattes sagte Dell: "Das ist die einzige Chance, dass man erstens das alles aufklärt - auch irgendwie selber lyrisch da abrüstet - und vor allen Dingen, dass man da eine andere Offenheit hat, über sich selbst und seine eigenen Fehler zu reden. Da ist, glaube ich, noch einiges zu tun."
(bth)