Generation "Kopf unten"
Ob bei der Einführung des Buchdrucks, der Comics oder des Privatfernsehens – der Medienkonsum hat schon immer die Generationen gespalten. Im Umgang damit gehe es immer wieder darum, gemeinsam Spielregeln zu entwickeln, so Ulrike Wagner, Direktorin des Instituts für Medienpädagogik in München.
Ute Welty: Kleine Weltysche Familiengeschichte: Meinem Vater ist letztens der Kragen geplatzt, was es denn jetzt schon wieder so Wichtiges mit meinem Telefon gäbe, und mein Vater klang echt genervt. Dabei hatte ich nur dem Mann, der mich zurzeit durchs Leben begleitet, einen kleinen Gruß geschickt. Offenbar gehöre auch ich zur Generation "Kopf unten". Meine Neffen dürften demzufolge zur Generation "Kopf ganz nach unten" gehören, denn das Märchenbuch ist da komplett out und der Tablet-Computer in beziehungsweise on. Ob mit meinen Neffen alles okay ist, das kann ich jetzt Ulrike Wagner fragen, die Direktorin des Instituts für Medienpädagogik in München. Guten Morgen!
Ulrike Wagner: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Mein Vater wundert sich über mich, ich wundere mich über meine Neffen. Haben wir einen ganz normalen medialen Generationskonflikt, oder besteht tatsächlich Grund zur Sorge?
Wagner: Ich denke erst mal, diese Konflikte zwischen den Generationen gehören selbstverständlich dazu. Das war schon beim Buchdruck so, bei der Einführung der Comics oder auch bei der Einführung des Privatfernsehens. Immer wurden eigentlich Medien mit herangezogen, um auch Konflikte zwischen den Generationen zu thematisieren.
Welty: Woher kommt denn dieses "früher war alles besser"-Phänomen? War es nicht schon Sokrates, der die Verrohung der Jugend beklagte?
Wagner: Ja, zumindest bei Sokrates könnte man dabei beginnen. Ich denke, es hat damit zu tun, dass unterschiedliche Generationen einfach unterschiedliche Erfahrungen mitbringen, und dann verklärt man vielleicht die eigene Jugend so ein bisschen und steht dem distanziert gegenüber, ob es jetzt Ihr Vater den Umgang mit dem Telefon dabei meint, oder Sie dann eben Ihre Neffen und das Tablet nicht mehr so ganz nachvollziehen können. Das sind einfache unterschiedliche Erfahrungen, die unser Leben und unsere Generationen damit prägen, und damit müssen wir uns aber auseinandersetzen.
Welty: Tatsache ist ja, direkte Aufmerksamkeit wird ersetzt durch virtuelle Aufmerksamkeit. Kann das tatsächlich gleichwertig sein?
Wagner: Na ja, wenn wir uns die Kinder und Jugendlichen heutzutage anschauen, dann trennen die ja nicht zwischen virtuell und real. Für die ist ja beides ihre Lebenswelt und sie suchen ja die Verbindung in ihren Sozialräumen genau über die kommunikativen Kanäle, mit den Menschen zu sprechen, die gerade nicht da sind beziehungsweise sich auszutauschen. Da ziehen die Jugendlichen andere Grenzen, und das ist nicht diese Grenze, die wir als Ältere gewohnt sind, zwischen medial und nicht medial zu ziehen.
Unsere Wahrnehmung verändert sich
Welty: Aber liegt darin nicht auch eine Gefahr, wenn man diese Grenzen anders zieht, aber die sich auch womöglich verwischen?
Wagner: Eine Gefahr beginnt, denke ich, erst dann, wenn wir uns wirklich ganz tief in diese Medienwelten hinein begeben und nichts mehr anderes machen, als mit und über Medien zu kommunizieren. Noch mal vielleicht ein Gedanke: Es verändert sich ja grundlegend Gesellschaft und unser Zusammenleben und auch zum Beispiel die Erwerbstätigkeit, Berufstätigkeit etc. Dieses ständig erreichbar sein, denke ich, ist noch mal ein viel entscheidenderer Punkt, als tatsächlich es immer den Medien auch in die Schuhe zu schieben, dass sich unsere Wahrnehmung verändert.
Welty: Wobei auch da der Spruch gilt, während des 30-jährigen Krieges waren die Sachsen für die Schweden auch immer erreichbar. Das ist auch kein Spaß gewesen. - Was heißt das denn jetzt übertragen auf den Umgang mit Medien überhaupt? Wo und was müssen wir tatsächlich dazulernen?
Wagner: Ich denke, wir müssen alle gemeinsam lernen und hier die Spielregeln gemeinsam entwickeln, denn man kann schon sagen, die digitalen Gesellschaften überrollen uns auch so ein bisschen. Es waren nie so viele Medien wie jetzt und damit müssen wir uns durchaus auseinandersetzen. Es geht darum, dass wir diese Kommunikationsangebote,, diese Werkzeuge so in unser Leben integrieren, dass sie uns bereichern und nicht unsere Lebensführung verengen und beeinträchtigen, und da ist ein ganz zentraler Punkt, den Dialog auch zwischen den Generationen wieder in Gang zu bringen, vor allem zwischen Kindern und ihren Eltern.
Wie Kinder und Jugendliche Medien nutzen
Welty: Was bedeutet das dann für ein Institut wie das Ihre? Wie setzen Sie da an?
Wagner: Wir machen zum einen Grundlagenforschung zum Beispiel zum Thema Medien in der Familie, Medienerziehung in der Familie, was im Kern mein Arbeitsbereich ist, und wir machen daraus aber dann auch, uns ist es ein Anliegen, dann diese Forschung zu transferieren in Modellprojekte, in Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, für Lehrkräfte. Wir sind ganz viel auch an Schulen und in Jugendzentren unterwegs, um Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften, Sozialarbeitern auch zu vermitteln oder mit ihnen zusammenzuarbeiten, dass sie besser verstehen können, wie Kinder und Jugendliche heutzutage Medien nutzen und wie hier wiederum das auch unsere Gesellschaft insgesamt bereichern kann und nicht unseren Horizont verengen.
Welty: Sind Sie grundsätzlich für funkfreie Zonen oder Zeiten?
Wagner: Das ist eine schwierige Frage, denn wenn man an Familien denkt mit Kindern, dann ist es durchaus wünschenswert. Ich persönlich habe medienfreie Zonen. Es ist natürlich nicht immer ganz einfach umzusetzen, gerade wenn man an Familien mit Kindern denkt. Wir gehen eher da den Weg zu sagen, zum Beispiel so einen Tipp zu geben, macht Mediengutscheine für eure Kinder, dann können praktisch Kinder über ihre Zeit mit Medien frei verfügen, und dann ist auch klar, wenn der Gutschein einfach abgelaufen ist oder ausgelaufen ist mit der Zeit, dann gibt es auch mal keine Medien.
Welty: Die Medienpädagogin Ulrike Wagner sagt Kopf hoch, das Smartphone ist nicht der Untergang des Abendlandes. Ich sage danke für das Gespräch, das wir im Übrigen übers Festnetz geführt haben.
Wagner: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.