Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt
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Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler hat sich mit TV-Dokus über das Unterschichtenleben in Deutschland beschäftigt: Speziell die Privatsender stellten die Menschen mit dem "Tarnkleid des Mitgefühls" bloß und ließen ihre Kameras "im Dreck wühlen".
Über 100 Stunden lang hat sich der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler tapfer RTL2-Sendungen wie "Hartz und herzlich" oder "Armes Deutschland" angeschaut. Es diente einem wissenschaftlichen Zweck, denn gerade ist Gäblers Studie "Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt" von der Otto Brenner Stiftung veröffentlicht worden.
Darin beschreibt er, wie speziell die Privatsender Menschen ohne Bildung, Job und Aussicht auf ein besseres Leben unter dem Deckmantel von TV-Dokus bloßstellen. Während bei den sogenannten Reality-TV-Formaten kenntlich gemacht würde, dass es sich um erfundene oder nachgestellte Situationen handele, suggerierten die Dokus, sie würden das echte Leben abbilden. Dabei seien die Protagonisten einfach besonders krasse Beispiele, die speziell dafür ausgesucht worden seien.
Wenn die Kamera im Dreck wühlt
Und, so Gäbler: "Eine Dokumentation ist aber natürlich etwas anderes, als einfach die Kamera draufzuhalten... Hier ist es so, dass die Dagmars, Ellas, Beates scheinbar ganz nah inszeniert werden - es gibt auch immer so ein Tarnkleid des Mitgefühls -, aber dann fallen Kategorien und Vokabeln wie 'arbeitsscheu' oder 'Schmarotzer', die ansonsten völlig unmöglich wären."
Oder O-Töne der Protagonisten würden durch geschickte Kameraeinstellungen konterkariert, beschreibt Gäbler: "Also, dann sagt Jenny etwa, dass sie ganz viel Wert auf Sauberkeit in der Wohnung legt - aber wir sehen in diesem Augenblick schon die Kakerlake. Die Kamera wühlt im Dreck in der Wohnung."
Gäbler sieht die Jennys oder Dagmars hilflos ausgeliefert - die Dschungelcamp-Teilnehmer hätten wenigstens gewusst, worauf sie sich einlassen.
"Freundliche Integrationsabsicht"
Das andere Ende des Spektrums bildeten seriöse Berichte und Reportagen in Sendungen wie "Monitor" oder "Panorama" (beide ARD). Die seien zwar handwerklich gut gemacht. Ihre "freundliche Integrationsabsicht" sei jedoch "wie ein Almosen".
Gäblers Fazit speziell nach den vielen Stunden Dokus der Privatsender: "Wenn man sich das eine Weile anschaut, macht das etwas mit einem: Man geht eine Art parasoziale Beziehung zu den Leuten ein. Man denkt sich: Ach, dieser Jens, der ist aber ziemlich eitel. Oder: Der Oliver, der ist eigentlich ziemlich schlau... Das interessiert einen dann auch."
(mkn)