Medienwissenschaftler über Maaßens Chemnitz-Aussagen

"Da hat er sich weit aus dem Fenster gelehnt"

Teilnehmer der Demonstration von AfD und dem ausländerfeindlichen Bündnis Pegida, der sich auch die Teilnehmer der Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz angeschlossen haben, ziehen am 01.09.18 durch die Stadt.
Was passierte wirklich in Chemnitz? © dpa
Bernd Gäbler im Gespräch mit Nicole Dittmer |
Nach den Zweifeln von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen an "Hetzjagden" in Chemnitz gibt es für den Medienwissenschaftler Bernd Gäbler einen Deutungsstreit über das gesamte Geschehen: "Ich habe den Eindruck, dass alle Seiten überfordert sind."
Maaßen hatte der "Bild"-Zeitung gesagt, dem Verfassungsschutz lägen keine belastbaren Informationen darüber vor, dass bei den Demonstrationen in Chemnitz "Hetzjagden" stattgefunden hätten: "Es liegen keine Beweise dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist."
Nach Maaßens Bewertung "sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken".
Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), aufgenommen am 05.01.2017 in Berlin.
Die Äußerungen von Hans-Georg Maaßen über angeblich nicht vorgefallene "Hetzjagden" sind umstritten.© dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler sagt, mit dieser Äußerung habe sich Maaßen weit aus dem Fenster gelehnt. "Herr Maaßen ist für uns Journalisten auch nichts anderes als eine Quelle, eine privilegierte Quelle zwar, weil er mit der Autorität seines Amtes spricht." Aber die Autorität seines Amtes schütze ihn nicht vor Beweispflicht.

"Es gibt von beiden Seiten Lobbyisten"

Letzlich gehe es um einen Deutungsstreit über das gesamte Geschehen. "Und da muss man als Journalist wissen: Es gibt von beiden Seiten Lobbyisten. Es gibt Lobbyisten der Verharmloser, es gibt Lobbyisten der Dramatisierer."
Wenn jemand rufe als Antwort auf sein Unsicherheitsgefühl: "'Ausländer raus' oder 'System ist am Ende, wir sind die Wende' oder, was ja auch gerufen wurde, 'für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer', dann ist das nicht irgendwie eine Geschmacksgeschichte." Trotzdem sollte man nicht der Empörung folgen, sondern nüchtern analysieren und eine komplexe Ursachenanalyse auch machen.
Gäbler hat den Eindruck, dass nach den Vorfällen "alle Seiten überfordert sind". Es gehe darum zu "sagen, was ist" - nach dem Motto des Journalisten Rudolf Augstein.
(mhn)
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