"Er könnte zu einem populistischen Brandstifter werden"
Vorreiter des politischen Populismus: In dieser Rolle sieht Medienwissenschaftler Marcus Kleiner den Sänger Xavier Naidoo. Beim Antisemitismus-Urteil zugunsten Naidoos sei auf dessen öffentliche Äußerungen offenbar nicht eingegangen worden.
Eine Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung hatte den Sänger Xavier Naidoo im vergangenen Jahr bei einer öffentlichen Veranstaltung in Niederbayern einen Antisemiten genannt. Der Musiker wollte dies aber für sich so nicht stehen lassen, ging dagegen juristisch vor - und bekam recht: Das Landgericht Regensburg entschied, die Referentin dürfe den Sänger nicht so bezeichnen. Zur Begründung hieß es, sie habe ihren Vorwurf nicht ausreichend belegen können.
Xavier Naidoo sei im Bereich Antisemitismus "nicht so großzügig" wie im Bereich des Populismus, sagte der Medienwissenschaftler Marcus Kleiner als Reaktion auf das Urteil im Deutschlandfunk Kultur: "Es gibt nicht viele Lieder - vielleicht noch 'Raus aus dem Reichstag' könnte man nennen -, wo er ganz massiv einen antiisraelischen Kurs fährt."
Sehr viel Einfluss auf seine Fans
Naidoo verwende Worte und Fragen, ohne zu argumentieren. Das mache ihn so gefährlich, kritisierte Kleiner den Sänger, der wegen seiner Bekanntheit und etwa auch seines Engagements für die Fußballnationalmannschaft im Jahr 2006 sehr viel Einfluss auf seine Fans habe. Dass Naidoo mit seinen Parolen und Phrasen für eine politische Stimmung sorge, "die durch und durch nicht reflektiert ist", sei ein großes Problem, erklärte Kleiner.
Über das Regensburger Urteil sei er sehr verwundert, sagte er: "Wenn man sich die Texte von Xavier Naidoo anschaut und das verbindet mit Interviewpassagen und auch anderen persönlichen Stellungnahmen, dann kann man sehr deutlich ein Bild herauszeichnen, dass hier jemand sehr - einerseits - deutschlandkritisch ist. Andererseits hat er antisemitische Züge, er hat populistische Züge an sich, also er könnte sehr stark von einem großen Popstar zu einem populistischen Brandstifter werden. Und darauf geht das Gericht überhaupt nicht ein. Es gibt genügend Beispiele, die man hier nennen könnte."
Bedenkliches politisches Klima in sozialen Medien
Eine wirkliche Auseinandersetzung mit Naidoos Texten habe nicht stattgefunden, so Kleiner, ebenso wenig mit seinen öffentlichen Stellungnahmen, die weit über die Kunstfreiheit und die Meinungsfreiheit hinausgingen, auf die sich Naidoo berufen habe.
Mit dem Thema Antisemitismus müsse man sich täglich auseinandersetzen, warnte Kleiner, gerade in Zeiten, in denen Populisten um Pegida und AfD so einflussreich seien: "Wo Politik immer mehr zu einer Phrase wird ohne politischen Verstand und sich immer mehr Leute an populistischen Parolen orientieren." Besonders in den Kanälen der sozialen Medien entstehe ein politisches Klima, das äußerst bedenklich sei. Der Popstar Xavier Naidoo werde hier zu einem Vorreiter.
Kritik an schwammiger Begründung des Urteils
Die Begründung des Urteils durch das Gericht bezeichnete Kleiner als "sehr, sehr schwammig": Weil man einerseits die Songtexte Naidoos betrachtet hat, aber diese Texte dann doch wieder nicht verwendet werden dürften für diese Einordnung als Antisemit, so der Medienwissenschaftler. Zudem sei entschieden worden, dass man ihn nicht in seiner gesamten Person so bezeichnen könne, aber andererseits habe das Gericht dann offenbar vergessen, sich die Interviews Naidoos anzusehen, wo er sich sehr deutlich positioniere.
Auch Naidoos Auftritt auf der Bühne der Reichsbürger sei ein weiteres Beispiel dafür, dass sich hier eine Person von einem Popstar zu einem Populisten entwickele: "Weil seine Musik so dürftig geworden ist und sein musikalischer Erfolg so dürftig geworden ist, und so gering geworden ist." Deshalb erfinde Naidoo sich in diesem Populismus neu, und das sei äußerst bedenklich, sagte Kleiner.
Soweit er wisse habe sich Naidoo zwar in Interviews nicht direkt antisemitisch geäußert, sagte der Medienwissenschaftler: "Sondern es ist vielmehr eine sehr verschwommene Masse an Vorurteilen, an Stereotypen, die die Stimmung, die wir in der Gesellschaft haben, noch befeuert."