"Kennedy war ein Spieler, Trump ist ein Gambler"
Zur Kubakrise 1962 hieß es US-Präsident Kennedy gegen den sowjetischen Staats-Chef Chruschtschow. Heute stehen sich Trump und der nordkoreanische Machthaber Kim gegenüber. Im Gegensatz zu Trump hatte Kennedy die intellektuelle Fähigkeit, das Risiko einzuschätzen, so Jochen Hörisch von der Uni Mannheim.
Winfried Sträter: Die Kubakrise 1962 gilt bis heute als die gefährlichste Krise im Atomzeitalter. Damals standen sich zwei Supermächte gegenüber, die beide ein vernichtendes atomares Potential angehäuft hatten. Heute geht wieder Atomkriegsangst in der Welt um – wobei der Gegner der USA nicht eine Supermacht ist, sondern das kleine Nordkorea. Aber seit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 wissen wir, dass ein kleiner Anlass eine Kettenreaktion auslösen kann, die zur großen Katastrophe führt.
In einer weltpolitischen Krise hängt alles davon ab, wie sie politisch gesteuert wird. Und da werfen wir heute mal einen vergleichenden Blick auf die Kubakrise 1962 und den Nordkoreakonflikt heute. Damals wie heute spielt der Einsatz moderner Medien eine zentrale Rolle. In Mannheim begrüße ich den Literatur- und Medienwissenschaftler Prof. Jochen Hörisch, der Kennedys Einsatz der Medien in der Kubakrise studiert hat und mit ihm möchte ich den vergleichenden Blick auf das mediale Krisenmanagement damals und heute werfen. Guten Tag, Herr Hörisch!
Herr Hörisch, die Kubakrise begann 1962 mit einer 18-minütigen Fernsehansprache von US-Präsident Kennedy. Erst dadurch kochte die Krise hoch: War Kennedy ein Hasardeur, der mit dem Feuer spielte, um die Macht der Amerikaner zu demonstrieren?
"Mit allen Wassern eines Ostküstenintellektuellen gewaschen"
Prof. Jochen Hörisch: Kennedy war ja und ist bis heute eine faszinierende Figur, weil er zwei komplementäre Fähigkeiten und Charakteristiken in sich vereint hat. Er war trotz seiner Gesundheitsprobleme, von denen wir heute viel stärker wissen als früher, die Inkarnation eines jungen, dynamischen, charismatischen Menschen, und er war mit allen Wassern eines Ostküstenintellektuellen begabt und gewaschen, das heißt, man konnte unterstellen, dass er sehr rationale Entscheidungskalküle durchhalten konnte. Und diese Kombination wird ja auch in der Rede ziemlich deutlich. 18 Minuten – das ist ja ein relativ großes Format, es ist eine komplexe Rede, die das pathetische Genre ebenso wie das analytische bedienen kann. Und man tritt, denke ich, Trump nicht zu nahe, wenn man sagt, mit Twitter-Format, schon allein vom Umfang her langt das nicht, ganz zu schweigen von den intellektuellen und charismatischen Kapazitäten, die der gegenwärtige Präsident der Vereinigten Staaten hat.
Sträter: Aber Kennedy hat ja auch ein Machtwort gesprochen. Trump spricht in der Nordkoreakrise auf seine Weise ja auch Machtworte.
Hörisch: Er spricht eben keine Machtworte auf eine distinkte, beeindruckende, charismatische Weise, er bramarbasiert ja vor sich hin. Sie hatten den bedrängenden, bestürzenden Vergleich mit dem Ersten Weltkrieg gebracht, wo man auch mit bramarbasierenden Reden etwa aus dem Mund des deutschen Kaisers reingeschlittert ist in eine Katastrophe, die der Erste Weltkrieg heißt. Und ähnlich ist es ja bei Trump, man hat in der Tat das Gefühl, dass die Bauchgefühl-Reaktionen bei Trump ganz eindeutig einen komplexen, analytischen Zugang zu der Konstellation verhindern.
Man darf auch nicht ganz vergessen, lassen Sie mich zynisch sprechen, dass der Kalte Krieg den Vorteil hatte, sehr überschaubar zu sein, binär zu sein, da die USA, dort die Sowjetunion. Wenn man das ergänzen wollte, da war die NATO, da war der Warschauer Pakt, aber es war ein Spiel, das man spieltheoretisch durchanalysieren konnte zwischen zwei Aktanten. Heute haben wir ja eben, Gott sei Dank, ist man geneigt zu sagen, die Differenz zwischen den europäischen Staaten, den anderen NATO-Verbündeten und den USA, die eben nicht auf einer Seite geschlossen stehen, und auf der nordkoreanischen Seite, auch da ist ja ersichtlich so, dass China andere Optionen hat als Nordkorea, das heißt, die Situation ist doch noch mal deutlich komplexer als die von 1962. Man tritt aber den beiden Haupt-Aktanten Kim und Trump nicht zu nahe, wenn man sagt, es sind bizarre Erscheinungen, und man hat begründete Zweifel daran, ob die der Komplexität der Situation gewachsen sind.
Sträter: Kennedy hat ja auch in seiner Ansprache deutlich gemacht, dass er im Falle des Falles, und der Fall wäre es ja gewesen, wenn die Sowjetunion nicht zurückgezogen, nicht reagiert hätte, dass er im Falle des Falles den Atomkrieg riskiert, das heißt, er hat schon mit vollem Risiko gespielt.
"Er hat mit vollem Risiko gespielt"
Hörisch: Er hat mit vollem Risiko gespielt, das ist immer hochgradig riskant, weil er sich natürlich an seine fellow americans, seine Landsleute gewendet hat, also einen starken innenpolitischen, populären Aspekt reinbringen musste, und der war mit der von Ihnen zitierten sehr, sehr starken Selbstverpflichtung, ich drücke auf den Knopf, wenn ihr Sowjets nicht so reagiert, wie ich es möchte, verbunden. Auf der anderen Seite wissen wir, was an diplomatischen Anstrengungen im Hintergrund gelaufen ist. Wir alle sind gewohnt, ein etwas misstrauisches Verhältnis gegenüber Geheimdiplomatie zu haben, rotes Telefon und dergleichen mehr, aber es ist sicher nicht unangemessen, wenn man zwei unterschiedliche Diskursformen, auch zwei unterschiedliche Medientechnologien bedient, das damals noch sehr junge Medium Fernsehen, wo der brillant aussehende Kennedy auftreten konnte und sein Charisma entfalten konnte – und auf der anderen Seite eben diplomatische Kanäle, die gegenüber öffentlicher Kommunikation abgeschaltet waren. Ich bin nicht informiert darüber, ob es so was gibt wie eine doch noch auf diplomatischer Ebene laufende Kommunikation zwischen Washington und Pjöngjang. Ich fürchte, dass das nicht in einer vergleichbaren Weise wie 1962 der Fall ist.
Sträter: Aber wenn man sich anschaut, beide Akteure spielen mit den Medien, oder man kann es vielleicht neutraler formulieren, beide Akteure setzen die Medien ja gezielt ein. Und wenn man in einer politischen Krise Medien einsetzt, birgt das ja auch sehr spezielle Risiken. Man ist von Stimmungen abhängig, man schürt womöglich gefährliche Erwartungen, man kann sich womöglich auch zum Getriebenen in einer Krise machen. Welches Risiko ist Kennedy eingegangen, mit welchem Risiko hat er kalkuliert, und wie sieht der Vergleich mit Trump aus?
"Gespenster versuchen, Gespenstern ihre Gespensterhaftigkeit auszutreiben"
Hörisch: Er hat eben kalkuliert, und er hat Stimmungen wie Fakten eingesetzt, man kann Stimmungen machen, von diesen Stimmungen ist man dann selbst abhängig, das nennt man dann Rückkopplungsschleifen, die eine große Gewalt entfalten können, aber es ist eben auch eine kalkulierbare Art und Weise, mit den gemachten Stimmungen umzugehen. Man tritt wiederum, denke ich, Trump nicht zu nahe, wenn man sagt, ob da wirklich ein Konzept dahinter steckt, innen- wie außenpolitisch, das ist mehr als fraglich. Mit einem Wort: wir müssen Klartext reden, es ist wirklich die Frage, ob man mit einer normalen Kalkulations- und Reaktionspsychologie an diese bizarre Erscheinung, die da Donald Trump heißt, ran treten kann.
Es sprechen ja wirklich Indizien dafür, dass der amerikanische Präsident etwa auf dem Weg in die Demenz ist. Ich weiß, wie kompliziert und heikel es ist, Ferndiagnosen zu machen, aber er hat einen sich enorm verringernden Wortschatz, er schreibt sinnlose Buchstabenfolgen auf Twitter, er neigt zu Stereotypen, Wiederholungen, man hat also wirklich, auch klinisch gesehen, Indizien dafür, dass da ein Präsident auf dem Weg in die Demenz sein könnte. Es hätte auch Vorteile: man hätte einen Anlass für ein impeachment, das man auch Trump-Fans einigermaßen plausibel machen kann – also so viel zu meiner, ich gebe es zu, gewagten Ferndiagnose.
Wenn sie das sagen würden, öffentlich, der amerikanische Präsident zum nordkoreanischen Diktator und umgekehrt: du bist nicht zurechnungsfähig, du bist durchgeknallt, du bist verrückt, dann wäre das zwar wechselseitig einigermaßen sachlich angemessen, aber wir hätten die Konstellation, dass Gespenster versuchen, Gespenstern ihre Gespensterhaftigkeit auszutreiben, und das könnte gespenstische Konsequenzen haben.
Sträter: Also, im Vergleich würden Sie sagen, dass Kennedy die Komplexität der Herausforderung, die er damals eingegangen ist, überblickt hat und sorgfältig, soweit man das tun kann, berechnet hat?
"Die Berater bei Trump kommen und gehen"
Hörisch: Ja. Kennedy war, und bitte nehmen Sie das als Kompliment, ein Spieler. Trump ist ein Gambler. Ein Spieler kalkuliert im Schachspiel die Reaktionen von anderen. Und er hat im Ultimatum Visionen und Versionen, die er durchspielen kann. Der Gambler, der "risky Typ", der gewohnt ist, auch Risiken einzugehen, die nicht kalkulierbar sind, unterscheidet sich eben vom Spieler durch diesen Verzicht auf die kalkulierbaren Dimensionen seiner eigenen Schachzüge.
Auch da will ich nicht in allzu grobe Rhetoriken verfallen, aber ob Trump von der Psycho-Struktur her ein komplexeres Schachspiel durchhält, allein schon, was den zeitlichen Aufwand angeht, darf man, denke ich, auch öffentlich bezweifeln. Also, der Unterschied könnte größer nicht sein, er betrifft sowohl die emotionale als auch die kognitive Ausstattung; nach alldem, was wir wissen, war Kennedy bei aller Selbstverliebtheit, die ihm eigen war, das wäre vielleicht ein Vergleichspunkt mit Trump, war er doch großzügig genug und souverän genug, sich einzubetten in eine wirklich professionelle, exquisite Beraterkonstellation. Die Berater bei Trump kommen und gehen und fliegen und treten sich und sagen Unverschämtheiten und beleidigen sich wechselseitig, der Unterhaltungswert ist groß, der Gespensterwert auch.
Sträter: Vielen Dank, Prof. Jochen Hörisch, für dieses Interview.
Hörisch: Ich danke Ihnen.