Geschäft mit der Armut
Viele Medikamente, die auf dem deutschen Markt sind, wurden zuvor an armen Menschen in Indien getestet. Vor zehn Jahren lockerte die indische Regierung die Gesetze, seitdem sind dort klinische Studien ein lukratives Geschäft für internationale Pharmafirmen.
Wenn es darum geht, ein neues Medikament zu testen, dann ist Indien so etwas wie das Paradies für Pharmakonzerne:
"Anders als Deutschland ist es in Indien ganz einfach, klinische Studien zu machen. Man findet ganz leicht Testpersonen und Ärzte. Und das Ganze ist auch noch unglaublich billig."
Syed Irfan Haque bekommt leuchtende Augen, wenn der von den Vorzügen seines Heimatlandes spricht. Seit Jahren stellt er für internationale Konzerne die Kontakte her, die ihre Studien nach Indien outsourcen wollen:
"Viele amerikanische und europäische Firmen: Glaxo-Smith-Cline, Pfizer, Astra-Zeneka, Novartis – alle wollen hier her. Hier stimmt alles: wenig Regulierungen, aber viele Patienten und Ärzte. Die Branche boomt hier seit 2005."
Damals hatte die indische Regierung die Gesetze gelockert – um die Wirtschaft anzukurbeln. Seitdem sind auch Studien mit Medikamenten erlaubt, die anderenorts noch nie getestet wurden. Tausende solcher Tests hat es seitdem gegeben – mit Hunderttausenden menschlichen "guinea pigs" – Versuchskaninchen, sagt der Medizinrechtler Amar Jesani:
"Die meisten Testpersonen sind bettelarm. Sie machen das, weil sie Geld bekommen. Manche machen dann gleichzeitig bei verschiedenen Studien mit. Und das kann wegen der Wechselwirkungen gefährlich sein."
Häufig wissen die Testpersonen gar nicht, auf was sie sich einlassen. So, wie viele der 24.000 Mädchen, an denen vor einigen Jahren der Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs getestet wurde:
"Sie sind ganz gezielt in die Stammesgebiete gegangen. Einfache Leute, von denen viele nicht mal schreiben konnten. Da haben sie die Mädchen rekrutiert, zwischen zehn und 14 Jahren alt, die meisten einfach an den Schulen, ohne den Eltern zusagen, dass ihre Töchter Testpersonen sind."
Verschärfte Vorschriften nach Skandalen
Mindestens sieben Mädchen starben während der Tests. Auch eine Untersuchungskommission konnte die genauen Umstände nicht aufklären. Solche Skandale haben aber dazu geführt, dass die indische Regierung die Vorschriften inzwischen etwas verschärft hat:
"Es ist ein langsamer Sinneswandel. Immerhin soll es jetzt überhaupt mal Unterstützung für Opfer geben. Sowas gab es ja vorher gar nicht. Ob das aber die Gesamtsituation verbessern wird, das kann man jetzt noch nicht sagen."
Was man aber sagen kann: Die Zahl der klinischen Studien in Indien ist dramatisch zurückgegangen. Von über 2000 auf nur noch auf gut 100 im Jahr. Allerdings steigt auch der Druck von Pharmakonzernen und den indischen Firmen, die im Auftrag die Studien durchführen, sagt Mahesh Silvesi, von Clini-India, der solche Unternehmen berät:
"Natürlich haben die strengeren Regeln die Sache in bisschen schwieriger gemacht. Vielleicht dauert es auch noch ein Jahr, bis die Zahlen wieder steigen. Aber die indische Regierung beobachtet das sehr genau und wird uns schon die notwendigen Flexibilisierungen geben."
Auch der Medizinrechtler Jesani befürchtet, dass die Regierung Modi dem Druck der Wirtschaft nachgeben wird. Denn das Geschäft mit den klinischen Studien ist milliardenschwer – und soll nicht nach China oder in andere Länder abwandern, in denen die Vorschriften noch laxer sind. Für Jesani stellt sich eher eine andere Frage:
"Wie können die Europäer tolerieren, dass ihre Medikamente an Menschen aus Entwicklungsländern getestet werden, die arm und schutzlos sind?"
Noch dazu Medikamente, von denen die wenigsten nach erfolgreichen Tests auch in Indien auf den Markt kommen.