Meditationszentrum im Schwarzwald

Alles wird still und im Innern braust es auf

Eine kleine Buddha-Figur wurde auf ein grünes Blatt platziert
Buddha-Figur: "Was bringt die Aufmerksamkeit auf sowas Langweiliges wie den Atem? " © Samuel Austin / Unsplash
Von Frank Schüre |
Im Hotzenwald im Südschwarzwald kommen Sinnsucher aus aller Welt in verschiedenste spirituelle Zentren: Das Hochplateau wartet mit einem traumhaften Alpenblick auf. Im Zen Zentrum Johanneshof, einem Platz buddhistischer Praxis, geht der Blick nach innen.
Eine dicke Fliege brummt durch den Zendo. Das ist der Meditations-Raum im Zen Zentrum im Südschwarzwald. Vier massive Holzpodeste in Kniehöhe stehen längs in dem quadratischen Raum, zwei die Wände entlang, zwei mit Trennwand in der Mitte, quer davor der Altar mit Kerze, Räuchergefäß und Buddha-Figur. Sechsunddreißig Menschen können hier meditieren. Die Fenster stehen offen, die Vögel legen los.
Es ist 5 Uhr früh und auch auf tausend Meter Schwarzwaldhöhe beginnt ein milder Tag. Ottmar sitzt auf einem dunklen Kissen auf einer dunklen Matte, zusammen mit zwanzig weiteren. Gesicht zur Wand, zweimal 40 Minuten, so still wie möglich, so aufmerksam wie möglich. Aber auf was? Auf den Atem, empfiehlt Nicole Baden, Lehrerin und Direktorin im Zen Zentrum:
"Was bringt die Aufmerksamkeit auf sowas Langweiliges wie den Atem? Was bringt dich überhaupt dahin, dass du Aufmerksamkeit nach innen, auf eigene Prozesse, auf den eigenen Geist, auf eigene Emotionen, auf eigene Gedanken, und auf den Atem, den eigenen Körper richtest?"

Alles wird still

Ottmar atmet tief ein und aus. Die dicke Fliege ist durchs Fenster weggebrummt. Eine Stille voller Vogelstimmen legt sich über die still Sitzenden. Dann werden auch die Vögel still. Alles wird still. Dafür braust es auf in den Meditierenden und erfüllt sie unaufhaltsam mit Unruhe und Fragen, Hader und Zweifel, Denken und Wünschen. Mit einem großen Fragezeichen. Ottmar Engel ist Vize-Abt. Geboren auf einem Bauernhof in der Eifel, hat er lange in Berlin gelebt. Er sagt:
"Es kommt keiner hierher, der sagt, ich will in die absolute Besitzlosigkeit gehen, und ich will alles aufgeben. Die Leute kommen hierher, weil sie an der Meditation interessiert sind, weil sie den Lehrer kennengelernt haben, weil sie sich Fragen stellen im Leben, weil sie erkennen über die Meditation, das ist eine Möglichkeit, mich selber zu erkennen und zu erforschen."
Neben Engel sitzt still ein deutscher Theravada-Mönch. Sein kahler Kopf und die goldgelbe Robe leuchten im Halbdunkel. Mit ihnen meditiert eine Gruppe Wissenschaftler aus den USA und Europa. Die Psychologen, Ethnologen und Bewusstseinsforscher wollen die Verbindung von Geist und Materie nicht nur diskutieren, sondern auch praktizieren. Ein Wochenende lang in einem Zen Zentrum im Südschwarzwald – das international besser integriert ist als regional:
"Diese Anerkennung wie das hier katholische Mönche haben in irgendwelchen Orden, das haben wir hier nicht". räumt Engel ein. "Wir sind ja hier zum Teil, da heißt es immer noch: ‘ne Sekte. Die unmittelbaren Nachbarn, die wissen schon eher, was wir hier machen. Aber ansonsten sehen die uns in Schwarz rumrennen, und das ist dann ‘ne Sekte wie andere Sekten auch."

Zentralmassiv des Gefühls

Schwarzwald – die Hochlage im deutschen Südwesten gilt unter Zen-Anhängern als das Zentralmassiv deutschen Gefühls. Im Norden märchentiefe Wälder, in der Mitte ticken die Kuckucksuhren, im Süden liegt der Hotzenwald. Ein Hochplateau mit traumhafter Alpensicht, für viele ein ‚Zentrum mitteleuropäischer Sinnsuche‘. Weil man hier eine ungewöhnliche Dichte spiritueller Gruppen und Zentren findet. Bei klarer Wetterlage bieten sich hier nicht nur überwältigende Ausblicke auf die Schweizer Alpen. Bei klarer Seelenlage bieten sich starke Einblicke in eigene Höhen – und Tiefen, weiß Nicole:
"In dieser körperlichen und geistigen Regungslosigkeit, die wir uns da aneignen, da taucht alles Mögliche auf. Und zwar gerne auch die ungelösten Geschichten. So, wie gehst du damit um? Die erste Übung ist, das klar zu spüren: 'Ja, ich fühle mich damit wirklich unwohl.' Dann ist vielleicht der nächste wichtige Schritt: du schaust da hinein, du wendest dich in die Richtung des unangenehmen Gefühls. Und das ist ‘ne starke Geste, also, den Mut muss man erstmal haben. Weil wir, wenn wir außerhalb des Raums der Meditation sind, das ist zumindest meine Neigung, wenn dann was unangenehm ist, dann schalte ich unglaublich gern den Fernseher ein."
Zen-Pionier und Tiefenpsychologe Karlfried Graf Dürckheim baute im Südschwarzwald schon in den 50ern ein ganzes Dorf zum Therapie-Zentrum um. Der außerhalb gelegene Johanneshof diente ihm als Meditations-Platz. 1996 übernahmen ihn deutschsprachige Schüler um den amerikanischen Zen Meister Richard Baker und gründeten das Zen Zentrum Johanneshof. Für Vize-Abt Ottmar geht es weniger um die Lehre als mehr um die Praxis von Mitgefühl:
"Dieses Praktizieren von Mitgefühl, das entdeckst du aber durch die Meditation. Es kommt aus deinem Inneren heraus. Es ist nicht eine Vorstellung: jetzt will ich ein guter Mensch sein. Sondern du merkst wirklich, das ist meine innere Natur. Du merkst auch wirklich: wenn ich das Gefühl habe, so sollte jemand leben – davon kann die Menschheit profitieren, davon kann letztendlich die Welt profitieren – dann muss ich die Entscheidung treffen: ich sollte derjenige sein! Und nicht von irgendjemand anderem verlangen: ihr solltet. Das ist die buddhistische Herangehensweise."

Kein Schwarzwälder

Keiner im Zendo ist von hier. Nicht die Bewohner und nicht die Betreiber des Praxiszentrums, nicht einmal die Gäste. Sie kommen aus Polen und Ungarn, Schweiz und Österreich, Amerika und Australien, München und Hamburg; Wissenschaftler und Studierende, Therapeuten und Künstler und ganz normale Menschen, zwischen 20 und 80 Jahre alt. Keiner hier will sein normales Leben aufgeben, sondern darin Sinn finden. Wie das geht?
"Wie kann ich in Kontakt treten? Wie kann ich in wirklichen Kontakt treten?"
Nichts im Zendo ist von hier. Auch nicht das Holz, nicht die Bauweise, nicht die Lehre und schon gar nicht die Art der Meditation. Das hier Versammelte kommt von überall auf dieser Welt und verbindet sich zu einem praktizierenden Mikrokosmos. Gerald Weischede war der erste Direktor im Zen Zentrum Johanneshof. Inzwischen hat er ein eigenes Zentrum in Göttingen und kommt noch als Gastlehrer in den Hotzenwald. Er erzählt eine berühmte Zen-Geschichte über zwei berühmte Mönche, die sich das auch fragten.
"Und dann sagt der Manjushri: keine Fragen , keine Antworten zu suchen, keine Erklärungen. All das zurücklassend ermöglicht es mir, in den direkten Kontakt einzutreten. Dann wendet er sich an seinen Kollegen, Vimalakirti, und sagt: Mein Lieber, was meinst du denn dazu? – und Vimalakirti schweigt."

Was bewirkt Meditieren?

Was bewirkt Schweigen? Was bewirkt Meditieren? Was geschieht, wenn man sich der Welt und sich selbst so zuwendet?
"Ich trete in Kontakt, indem ich für einen Augenblick schweige. Es ist dieses Innehalten, dieses Stehenbleiben, dieses Horchen – das ist extrem befriedigend – es ist wie: angekommen! Mit der Welt, in der Welt, als Welt: angekommen!"
Ich meditiere jetzt seit 26 Jahren. In dieser gemeinsamen, stillen und aufmerksamen Praxis erfahre ich eine Nähe zu Menschen und zu mir selbst, die im normalen und gerne hektischen Betrieb des Lebens einfach keinen Platz und keine Zeit hat. Ich erlebe einen Kontakt zu mir und zu anderen, der so anders geht als normalerweise. Der verwirrt – und erfüllt.
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