Das Navi für die Knie-OP
Navis nützen nicht nur Autofahrern, sondern auch Chirurgen: Beim Einbau von künstlichen Kniegelenken können die Geräte helfen, den richtigen Schnitt zu setzen. Denn schon kleine Fehler können gravierende Folgen haben.
Ich treffe mich mit Dr. Johannes Knipprath, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am St. Marien-Krankenhaus in Berlin-Lankwitz. Rund 3500 Knieprothesen hat der Chirurg bereits eingesetzt.
"Entscheidend für den Operationserfolg beim Einsetzen eines künstlichen Kniegelenkes ist die präzise Umsetzung der Planung."
In der Untersuchung des Patienten und anhand von Röntgen- und MRT-Bildern wird die Operation vorbereitet. Das Knie ist das größte Gelenk des menschlichen Körpers und extremen Belastungen ausgesetzt – zum Beispiel beim normalen Laufen wirkt rund das Siebenfache des Körpergewichts auf ein Knie. Dazu oft noch Fehlstellungen, wie X- oder O-Beine und Übergewicht. Eine häufige Folge: Arthrose. Wird nun ein künstliches Gelenk nötig, ist die Erfahrung des Chirurgen durch nichts zu ersetzten. Doch auch Computer sind wichtige Helfer im OP, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes Dinge sehen, die auch dem Auge eines erfahrenen Arztes verborgen bleiben.
"Und diese präzise Umsetzung geling am sichersten mit dem Einsatz eines Navigationsgerätes. Wir nennen das rechnergestützte Operationstechnik. Der Rechner sieht Achsabweichungen von einem Grad, das man mit bloßem Auge gar nicht sehen kann."
Derartige Abweichungen vom Idealzustand können gravierende Folgen fürs Kniegelenk haben – Arthrose für das natürliche oder kürzere Haltbarkeit für ein Kunstknie. Navigation in der Knieendoprothetik soll dem Abhilfe schaffen – es geht also darum, wie Computer beim Einbau eines künstlichen Kniegelenks helfen können, die Prothese perfekt für die Bedürfnisse des Patienten zu positionieren.
Ich ziehe grüne OP-Kleidung an inklusive Mundschutz.
"Das ist jetzt hier die Patientenschleuse für den aseptischen OP-Trakt."
Das Knie ist geöffnet, die Kniescheibe zur Seite geklappt
Wir betreten den OP-Saal: In der Mitte der OP-Tisch, auf dem die bereits narkotisierte Patientin liegt. Das Knie ist geöffnet, die Kniescheibe zur Seite geklappt. Außer Dr. Knipprath stehen noch zwei weitere Ärzte und eine OP-Schwester direkt an der Patientin. Hinter einem Tuch der Anästhesist, der computergesteuert Atmung, Sauerstoffsättigung des Blutes, Puls, Blutdruck und etliche andere Parameter kontrolliert. An der Wand Leuchtkästen mit Röntgen- und MRT-Bildern. Und in rund zwei Metern Abstand zum OP-Tisch der Navigationscomputer, ein Rollwagen, der an den Roboter aus dem Hollywood-Film "Nr. 5 lebt" erinnert: Der Rechner ist sozusagen der Bauch, mit Tastatur und Monitor, an einem beweglichen Hals ist der Kopf mit zwei Infrarot-Kamera-Augen befestigt:
"Die Infrarotquelle sendet Infrarotstrahlen auf das Kniegelenk was wir, wenn die OP angefangen hat, erst markieren durch die sogenannten Marker. Diese Marker reflektieren die Infrarotstrahlen. Die Strahlen werden von der Kamera gelesen und in den Rechner eingegeben. Der Rechner gibt uns dann ein virtuelles Bild vom Ist-Zustand des Knies - mit allen Teilen, die dann korrigiert werden sollen. Wo ist der Knochen defekt? Wie ist die Stellung? Hat das Gelenk eine Fehlstellung? Wie ist die Beweglichkeit?"
Mit einer Art Akkuschrauber, werden einige Marker an den Beinknochen fixiert.
"Jetzt haben wir die Marker angebracht und der erste Schritt der Operation ist, dass wir jetzt das Kniegelenk vermessen."
Dr. Knipprath streckt und beugt das Bein, bewegt es seitlich. Das Navigationsgerät zeichnet jede Bewegung auf. Auf dem Monitor erscheinen stilisierte Knochenbilder und Kurven, die die tatsächliche und die Ideale Beweglichkeit des Gelenks anzeigen: ROM, "Range of motion", steht über den Kurven:
"Wir haben jetzt alle Daten aufgenommen und der Rechner zeigt uns jetzt ein virtuelles Bild von diesem arthrotisch veränderten Kniegelenk."
Der Computer zeigt dem Chirurgen Winkel und Schnitttiefen an
Der Navigationscomputer berechnet die perfekte Position für das Kunstgelenk und zeigt dem Chirurgen Winkel und Schnitttiefen an. Dabei werden gegebenenfalls auch O- und X-Beinstellungen korrigiert, das heißt die Patientin hat nach der OP nicht nur ein neues Gelenk, sondern auch ein gerades Bein.
Ich bekomme ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Die Patientin heute bekommt eine Totalendoprothese, eine Art Überkronung der Gelenkköpfe. Wie beim Zahnarzt müssen dafür kaputte Teile der Gelenkköpfe entfernt werden, um Platz für das künstliche Material zu schaffen. Bevor das endgültige Implantat eingesetzt wird, muss die Position und die Beweglichkeit des Kniegelenks getestet werden. Der Navigationscomputer zeichnet die Bewegungen auf und vergleicht sie mit dem Soll-Zustand. Es sieht gut aus.
"Auf dem Monitor sieht man jetzt den Vergleich der Funktion vor und nach der OP, die blaue Linie und die rote Linie zeigt die Korrektur."
Die rote Kurve auf dem Monitor zeigt ein deutliches Bild: Die Bewegungsfreiheit gleicht fast der eines gesunden Kniegelenks. Dr. Knipprath und sein Team sind zufrieden.
Die Operationswunde wird noch einmal ausgespült und mit einem Schmerzmittel versorgt, dann wird das Bein geschossen, der Schnitt genäht. Rund eine Stunde hat die Operation gedauert. Im Durchschnitt setzt Dr. Knipprath zwei künstliche Kniegelenke pro Tag ein – und er ist froh, dass es die Unterstützung durch den Navigationscomputer gibt:
"Ja also für mich ist das Entscheidende und das Beeindruckende an der rechnergestützten Operationsmethode die Präzision, weil man kann mit Null Toleranz arbeiten. Also das Gefühl für die Exaktheit ist stärker."
Am Abend des Operationstages wird die Patienten zum ersten Mal ohne O-Bein und mit einem bald voll beweglichen Knie aufstehen – von der Navigation und den fiesen Geräuschen bei der OP hat sie nichts mitbekommen.