Die rollende Datenbank
Von der Röntgenaufnahme bis zur Fieberkurve werden vielerorts die Patientendaten nur noch auf sogenannten digitalen Visitewagen gespeichert. Dieser Computer auf Rädern, der immer online ist, birgt aber auch Risiken.
Dr. Christoph Bieda: "Hallo Lion, Du bist ja heute gekommen mit starken Bauchschmerzen. Wir haben jetzt in der Zwischenzeit auch schon die Ergebnisse vom Ultraschall im Computer und können uns auch gerade die Bilder mal anschauen.“
Die Bilder, die sich Dr. Christoph Bieda auf dem Computermonitor anschaut, werden direkt vom Klinikrechner bezogen: Drahtlos, denn der Monitor steht auf einem mobilen Visitewagen, mit dem der Kinderarzt von Krankenbett zu Krankenbett rollt.
"Hallo Valentin! Wir haben jetzt das Röntgenbild gemacht. Wir sehen jetzt hier auf dem Röntgenbild die Münze, die du verschluckt hast. Die steckt hier noch mitten in der Speiseröhre. Und die müssen wir herausholen, wenn die nicht von allein runter rutscht.“
Rechner plus Monitor plus Akku
Seit Kurzem ist die Visite im Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover quasi "Online“. Ein digitaler Visitewagen, auf dem sich ein Rechner plus Monitor plus Akku für die Stromversorgung befindet, liefert die Daten der kleinen Patienten in Echtzeit. Für den Kinderarzt eine tolle Neuerung.
"Man kann auf Röntgenbilder direkt zugreifen. Man muss nicht mehr die Tüten herum tragen oder irgendwelche Akten heraussuchen, oder man kann auch Laborwerte direkt anschauen. Und ein weiterer Aspekt ist eben auch noch, dass Kinder, die schon mal vor einiger Zeit hier waren, und wir schon ältere Unterlagen hier haben, die kann man auch direkt ansehen und muss das nicht aus dem Archiv anfordern. Und das ist natürlich schon eine deutliche Erleichterung dann auch."
Medizinische Hochschule Hannover. Station 44. Eine Intensivstation für frisch Operierte. Neben jedem Bett steht auch hier ein digitaler Visitewagen, der Messdaten wie Atemfrequenz oder Herzschlag ununterbrochen aufzeichnet, aber auch drahtlos mit dem Server verbunden ist. Stationsleiter Dr. Heiner Ruschulte über die Vorteile.
"Wir können das vor allem im Fall von Wiederaufnahmen nutzen. Mitunter ist es ja so, dass Patienten für zweite Eingriffe oder auch im Rahmen einer ganz neuen zweiten Erkrankung zum Teil nach längerer Zeit wieder aufgenommen werden, dann haben wir kompletten Zugriff auf die alten Informationen, die wir von diesem Patienten haben."
Nach Mausklick - Messkurve
Mehrere tausend Daten werden bei Intensivpatienten erfasst – in jeder Minute. Ein Mausklick nur, dann erscheinen die Messkurven im zeitlichen Verlauf – in den vergangenen 60 Sekunden, oder 60 Minuten, oder grafisch über mehrere Tage dargestellt.
"Ein weiterer Vorteil ist, dass wir im Moment praktisch Daten unbegrenzt haben können. Ein echter Papierordner ist irgendwann voll bei langen Verläufen. Dann macht man den nächsten Ordner auf und dann noch einen. Manchmal hat man doppelte oder sich widersprechende Befunde. Hier hat man gewissermaßen mehr Ordnung und mehr Übersicht."
Die Systeme "denken mit“. Prof. Wolfgang Koppert, Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, mit einem Beispiel:
"Jetzt hat ein Patient eine Allergie. Und man würde jetzt ein Medikament anordnen, was diese Allergie unterstützen oder auslösen würde. Dass dann einfach Warnhinweise kommen. Also, diese Systeme können mitdenken und den Ärzten und den Pflegenden bei ihrer Therapie unterstützen. "
Noch sind die drahtlos vernetzten Visitewagen eine Art "Insellösung“. Außerhalb der Intensivstation 44 gibt es keinen Empfang mehr, weil die WLan-Router auf den anderen Stationen fehlen. Ob die vollständige Digitalisierung eines Tages kommt, ist nach Ansicht der Experten auch eine Frage des Geldes. Die Systeme sind teuer. Sehr teuer sogar. Deshalb der Fokus auf die Intensivstation. Dirk May ist in der Medizinischen Hochschule Hannover für die Technik verantwortlich.
"An technischer Infrastruktur ist Netzwerkseitig natürlich eine WLAN-Struktur nötig. Wie man sie auch von zuhause kennt mit entsprechenden Access-Points. Wir haben momentan auf dem Campus rund 400 Access-Points, die letztlich die relevanten Bereiche – Intensivstation und Stationen, die versorgt sind – ausleuchten. Und als Infrastruktur die entsprechenden Visite-agen, die ausgestattet sind mit Rechnern, um auf die ganzen Informationen zugreifen zu können."
Eine rigorose Sicherheitsphilosophie
Eine drahtlose Verbindung zwischen Visite-Wagen und Klinikrechner erfordert eine rigorose Sicherheitsphilosophie, damit keine Daten nach außen – in unbefugte Hände – gelangen, Karen Krebs von der Kinderklinik auf der Bult.
"Jeder, der an dem Krankenhausinformationssystem arbeitet, hat sein persönliches Passwort, und der meldet sich dann an, wenn er dokumentieren möchte. Und wenn er fertig ist, meldet er sich wieder ab, dass kein Dritter an die Patientendaten gelangen kann. Das geht relativ einfach. Das sind wenige Sekunden. Es gibt in dem System ein Klick, mit dem man sofort aus dem System heraus ist, und das uns eben dafür schützt, dass die Daten missbraucht werden."
Ärzte müssen das Passwort regelmäßig ändern: Alphanumerisch mit kleinen und großen Zeichen. Wer den Zeitpunkt verpasst, hat keinen Zugang zu den Daten am digitalen Visite-Wagen. Drei Fehlversuche beim Einloggen werden sowieso mit einer Sperre geahndet, die dann nur noch vom Admin aufgehoben werden kann. Mitarbeiter stöhnen, doch die Datensicherheit der Patienten geht vor.