Genesung mit digitaler Hilfe
Nach einer schweren Verletzung wieder auf die Beine zu kommen, ist mühsam. Elektronische Helfer sollen die Patienten unterstützen. Der Name des vom Fraunhofer-Institut entwickelten Programms: "Meine Reha".
Ortsbesuch in einem rund 40 Quadratmeter großen, lichtdurchfluteten Raum am Berliner Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme. Auf einem kniehohen Regal steht ein Flachbildfernseher, der an einen PC angeschlossen ist. Unter dem Fernseher ist eine handgroße Kamera befestigt, verbunden ebenfalls mit dem PC. Informatiker Stefan Klose nimmt eine Fernbedienung, startet die Technik.
"Meine Reha wird geladen. Habe bitte einen Moment Geduld."
Wenige Sekunden später sind Fernseher und Kamera in Betrieb. Auf dem Bildschirm erscheint die Empfangshalle eines Rehazentrums: Geräumig und mit hoher Decken. Kaum ist der Raum zu sehen, taucht man auch schon in die virtuelle Rehaklinik ein.
"Herzlich willkommen bei 'Meine Reha'. Du befindest dich im Empfangsraum. Hier kannst du deinen persönlichen Therapeuten wählen und eine Anleitung zur Bedienung des Programms ansehen."
Die vom Bildschirm ausgehende Atmosphäre wirkt täuschend echt, der Nutzer fühlt sich ein wenig so, als sei er wirklich in einem Reha-Zentrum. Informatiker Stefan Klose.
„Wir haben uns bei der Konzipierung des Programms an einem echten Reha-Zentrum orientiert, und wir befinden uns jetzt im Startraum, in der Rezeption sozusagen. Wo man von den drei Therapeuten begrüßt wird. Es ist ein 3D-Computertherapeut und zwei echte Therapeuten aus dem Rehazentrum Lübben. Und man kann jetzt hier sich seinen Lieblingstherapeuten auswählen, ich wähle jetzt mal hier den Mirko aus.“
Ein Tastendruck auf der Fernbedingung genügt und schon ist Mirko bereit, die Übungen vorzuturnen. Mirko ist eine Animationsfigur, ein Avatar - er sieht einem Menschen allerdings verblüffend ähnlich: Mit weißer Sportkleidung und einer runden Brille, durch die er den Übenden freundlich ansieht. Jetzt noch das persönliche Trainingsprogramm für den Rücken starten, und los geht’s.
"Flankendehnung. Gehe bitte in den rückengerechten Stand mit leichter Grätschstellung. Achte auf leicht gebeugte Knie. Führe den rechten Arm über den Kopf und schiebe dabei die Handfläche weit nach oben. Der Oberkörper wird zur gleichen Seite geneigt."
Während Physiotherapeut Mirko die Übung vorturnt, erzählt die freundliche Frauenstimme, wie sich der Patient bewegen soll. Die Patientenrolle übernimmt heute Fraunhofer-Forscher Michael John. Breitbeinig steht er vorm Fernsehbildschirm, neigt sich zur Seite.
John: "Also der Avatar gibt mir jetzt die Grundstellung vor. Und ich turne genauso, wie er mir das dann zeigt. Führe den Arm über den Kopf."
Systemstimme: "Achte auf deinen rechten Arm!"
John: "Und bekomme dann solche Hinweise wie zum Beispiel: Achte auf den rechten Arm, oder du neigst zu weit nach hinten. Und dementsprechend kann ich dann die Bewegung korrigieren."
Die am PC angeschlossene Kamera funktioniert dabei wie ein Sensor, filmt also alle Bewegungen des Patienten. Gleichzeitig analysiert eine Software die Bilder, prüft, ob die Körperhaltung korrekt ist. Das Programm gibt anschließend medizinisch fundierte Rückmeldungen, sagt Michael John.
"Die Therapeuten haben uns gesagt, was der Sensor detektieren soll, also welche Art der Abweichung noch hinnehmbar ist und wo dann aber der Fehler rückgemeldet werden muss. Und durch diesen Prozess bekommen die Therapeuten immer eine Rückmeldung über den Genesungsfortschritt des Patienten."
Kein Ersatz ambulanter Physiotherapie
Physiotherapeuten sollen bei Meine Reha individuelle Übungsprogramme für ihre Patienten zusammenstellen. Die Patienten können so zu Hause trainieren, bekommen gleichzeitig Feedback. Die Therapeuten wiederrum können online auf das Programm ihrer Patienten zugreifen und die gespeicherten Trainingsdaten ansehen. Auf dieser Grundlage lassen sich Fortschritte überprüfen und neue Übungen einführen, erklärt Rehabilitationsforscher Sebastian Bernert von der Charité.
"Man kann also die Dinge, die man schon in der Rehabilitation gemacht hat, auch zu Hause noch mal anwenden. Das ist häufig die Problematik, dass wenn ein Patient aus der Rehabilitation nach Hause geht, so ein bisschen die Dinge, die er gelernt hat in der Rehabilitation, vergessen werden und das soll das im Grunde genommen auch vermeiden, das man so ein System zu Hause hat und weiter zu Hause auch üben kann."
Wiedereinweisungen in Kliniken sollen so möglichst vermieden, die Genesung der Patienten gefördert werden. Ein Ersatz ambulanter Physiotherapie ist das System Meine Reha aber auch nicht. Es ist vielmehr eine Ergänzung, die leicht zu bedienen ist – das zumindest legen erste Nutzerstudien nahe.
"Wenn man das Gerät angeschaltet hat, die Benutzeroberfläche gesehen hat, war das für 90 Prozent der Patienten sehr einfach verständlich, sie konnten sich sehr einfach durch das Programm bewegen. Also das ist wirklich auch für Leute, die schon ein bisschen älter waren, auch für Leute, die nicht so computererfahren waren, war das eine relativ leichte Aufgabe."
"Du befindest dich im Schulungsraum. Hier kannst du eine Videokonferenz mit einem Therapeuten durchführen."
Auch die ist leicht hergestellt: Terminabsprache und eine Internetverbindung genügen, schon startet das System die Videokonferenz mit dem echten Therapeuten in Klinik oder Praxis. Viele Patienten motiviert das, tatsächlich zu Hause zu üben. Fraunhofer-Forscher Michael John.
"Der Therapeut kann jetzt zum Beispiel noch mal Anweisungen geben. Er kann visuell kontrollieren, ob die Übungen richtig durchgeführt werden und eine Videokonferenz dient natürlich auch der Motivation. Also viele Patienten haben gesagt, sie würden eigentlich gerne weiter mit ihrem persönlichen Therapeuten auch in Kontakt stehen."
Technisch braucht es dazu nicht viel: Computer und Flachbildfernseher stehen bereits in vielen Haushalten - und auch die Kamera ist als ursprüngliches Computerspielzubehör recht günstig. Zusätzlich anfallende Kosten könnte etwa das Gesundheitssystem übernehmen, Gespräche werden dazu bereits geführt.
"Hockstand. Gehe bitte in den rückengerechten Stand mit leichter Grätschstellung. Achte darauf, dass die Füße leicht nach außen rotiert sind und gehe in die leichte Hockstellung."
Mit seinen Übungen kann das System eine Ergänzung zu Klinik und ambulanter Physiotherapie sein. Eine Ergänzung, die zu regelmäßigem Training motivieren soll, nach der Arbeit etwa oder am Wochenende.