Nikolaus Nützel arbeitet seit 1995 als Journalist und Sachbuchautor. In seiner journalistischen Arbeit hat er sich besonders auf Gesundheitspolitik spezialisiert. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Medienpreise, darunter den Publizistikpreis der Stiftung Gesundheit und zweimal die Auszeichnung "Bestes Junior-Wissensbuch" des österreichischen Wissenschaftsministeriums.
Qualitätswettbewerb wird zum Nullsummenspiel
Wie steht es um die Qualität der Gesundheitsversorgung? Bei der Einschätzung therapeutischer Leistungen werden Patienten alleine gelassen, meint der Journalist Nikolaus Nützel. Sie erhielten von den Krankenhäusern selten verlässliche Informationen.
Wenn man Chirurgen fragt, wie erfolgreich die Operationen in dem Krankenhaus sind, in dem sie jeweils arbeiten, wird man von Deutschlands Kliniklandschaft den Eindruck bekommen: Besser geht's nicht!
Wenn man die gleichen Chirurgen fragt, ob sie ihre Familie oder gute Freunde in jedes Krankenhaus schicken würden, dann beschleicht einen das Gefühl, dass es zwischen Deutschlands Kliniken wohl doch gewaltige Qualitätsunterschiede gibt. Da ist von Häusern zu hören, in denen es bei bestimmten Eingriffen doppelt so oft Komplikationen gibt wie bei der Konkurrenz.
Der Plan von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, solche Qualitätsunterschiede für Patienten besser sichtbar zu machen, ist auf den ersten Blick also lobenswert. Bei näherem Hinsehen zeigen sich allerdings beträchtliche Probleme.
Es beginnt bei der Frage, wie man ein Krankenhaus, das besonders viele komplizierte Fälle aufnimmt, mit einem Konkurrenzbetrieb vergleicht, der überwiegend Patienten hat, die einfacher zu behandeln sind. Solche Unterschiede könne man herausrechnen, sagen viele Experten – manche Fachleute sehen das aber skeptisch. Ein größeres Problem stellt sich bei der Frage, wie sich Qualitätsunterschiede sinnvoll aufzeigen lassen.
Wie lassen sich Qualitätsunterschiede vermitteln?
Die Internet-Seite "perinatalzentren.org" stellt als erste ihrer Art im öffentlichen Auftrag die Qualität von Krankenhäusern dar, und zwar bei der Versorgung bei Frühgeburten. Da ist zum Beispiel ein Balken von einer bestimmten Länge zu sehen, wenn eine Klinik beim Überleben von Frühchen den bundesweiten Durchschnittswert erreicht – der mit 1,0 angegeben wird. Wenn eine Klinik diese Kennzahl nicht ganz erreicht, sondern beispielsweise den Wert 0,95, denkt man sich als Laie erstmal: "Ist ja fast das Gleiche."
Beim Blick auf den Balken, der den Unterschied optisch darstellen soll, sieht man allerdings eine Linie, die bei der schlechteren Klinik nur halb so lang ist wie bei der besseren. Als Patient bleibt man etwas verwundert zurück. Nicht mehr ganz so verwundert ist man, wenn man von den Machern des Internetangebots hört, sie hätten bei der Entwicklung keine Patienten einbezogen.
Es gibt renommierte Krankenhäuser, die aus solchen Gründen ihre Mitarbeit an dieser Informationsseite verweigern. Woraus sich die Lehre ziehen lässt: Wer Patienten Qualitätsunterschiede aufzeigen will, muss sich erst einmal gut überlegen, auf welche Weise sich solche Unterschiede überhaupt vermitteln lassen.
Das größte Problem an Bestenlisten und anderen Qualitätsvergleichen liegt aber woanders. Bei Rankings gilt die Logik des Nullsummen-Spiels: Gewinner gibt es nur dann, wenn es auch Verlierer gibt. Und wer Verlierer ist, der soll vom Markt verschwinden, so die unausgesprochene Erwartung.
Angst, im Ranking hinten zu stehen
Die Angst davor, im Ranking hinten zu stehen, kann aber dazu führen, dass Krankenhäuser weniger darauf achten, was sich tun lässt, um ihre Qualität zu verbessern. Sie konzentrieren sich nur darauf, was der richtige Weg ist, um im Ranking möglichst weit vorne zu stehen. Bestenlisten bringen Krankenhäuser in die Versuchung, ihre Behandlungsbilanzen aufzupolieren, etwa indem sie komplizierte Fälle in andere Einrichtungen weiterschicken.
Wenn deutsche Ärzte sich skeptisch über Rankings äußern, dann steht dahinter also nicht nur der alte Abwehrreflex einer Kaste, die den Nimbus des unfehlbaren Halbgottes in Weiß verteidigen möchte. Unbehagen gegenüber Bestenlisten im Medizinbetrieb kann begründet sein.
Auch Patienten sollten sich überlegen, ob sie solche Listen unterstützen – oder ob sie nicht lieber doch ein Gesundheitssystem einfordern, in dem jedes einzelne Krankenhaus und jede Arztpraxis die beste jeweils machbare Qualität liefert. Die zu erreichen, hat etwas mit Aus- und Fortbildung zu tun, mit dem, was man "Fehlerkultur" nennt, aber auch mit Personalausstattung – am Ende also auch mit Geld. Ein angstbesetzter Verdrängungswettbewerb um die besten Plätze bei einem Ranking hingegen bringt nichts beim Streben nach der bestmöglichen Qualität.