Was steckt hinter dem Streit um die Homöopathie?
Gespräche und Globuli statt vieler Tabletten – dieser Ansatz der Homöopathie missfalle vor allem den Lobbyisten der Pharmaindustrie, meint der Medizinhistoriker* Martin Dinges von der Bosch-Stiftung. Er kritisiert auch Versuche, mit denen die Unwirksamkeit von Globuli bewiesen werden soll.
Über Globuli und deren Wirkung auf kranke Menschen wird heftig gestritten – es gibt erbitterte Gegner und enthusiastische Befürworter. Mit den Facetten dieses Themas befasst sich derzeit der 72. Homöopathische Weltärztekongress in Leipzig. Mit dabei ist Martin Dinges, stellvertretender Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin bei der Stuttgarter Robert-Bosch-Stiftung.
Die Homöopathie fülle eine Lücke in der medizinischen Versorgung, betont Dinges im Deutschlandfunk Kultur – und zwar sowohl auf Patienentseite als auch auf Ärzteseite. Sie diene darüber hinaus auch der Beförderung eines gesunden Lebensstils.
Die Homöopathie fülle eine Lücke in der medizinischen Versorgung, betont Dinges im Deutschlandfunk Kultur – und zwar sowohl auf Patienentseite als auch auf Ärzteseite. Sie diene darüber hinaus auch der Beförderung eines gesunden Lebensstils.
Dinges ging auch auf die zunehmende Beliebtheit dieses Heilverfahrens bei Patienten und auf die Position der Kritiker ein. Die Skeptiker stammten seiner Ansicht nach vor allem aus Kreisen der Pharmaindustrie, so Dinges:
"Wenn immer mehr Patienten - und das ist ja nicht nur in Deutschland so, es ist in Frankreich so, es ist in Italien so, in vielen anderen Ländern - diese Art der Medizin nachfragen, dann entgehen natürlich dem Pharmaunternehmen Verkäufe von Medikamenten. Und wir wissen aus großen Schweizer Studien von den Krankenkassen, niederländischen Studien auch, dass die Homöopathie etwas günstiger ist ökonomisch. Aber es wird mehr Zeit auf das Gespräch gelegt und weniger für Medikamente ausgegeben. Und das ist natürlich etwas, was den Anbietern gar nicht gefällt."
"Wenn immer mehr Patienten - und das ist ja nicht nur in Deutschland so, es ist in Frankreich so, es ist in Italien so, in vielen anderen Ländern - diese Art der Medizin nachfragen, dann entgehen natürlich dem Pharmaunternehmen Verkäufe von Medikamenten. Und wir wissen aus großen Schweizer Studien von den Krankenkassen, niederländischen Studien auch, dass die Homöopathie etwas günstiger ist ökonomisch. Aber es wird mehr Zeit auf das Gespräch gelegt und weniger für Medikamente ausgegeben. Und das ist natürlich etwas, was den Anbietern gar nicht gefällt."
Dinges kritisierte auch die Art und Weise, in der medizinische Versuche zum Beweis der Unwirksamkeit von Globuli durchgeführt werden würden:
"Und wenn Sie sich ansehen, wer die Skeptiker sind, die zunächst in London und dann in Athen und in Sydney immer diesen gleichen Versuch gemacht haben - also man lässt ein paar Leute in weißen Kitteln Globuli nehmen und sagt dann, das wirkt nicht, obwohl Hahnemann, der Erfinder der Homöopathie nie** behauptet hat, dass wenn man Globuli nimmt, dass das sofort was bewirken soll -, dann sind das zufällig genau die Leute, die vorher auch ganz gut verdient haben bei Gutachten mit der Pharmaindustrie."
"Und wenn Sie sich ansehen, wer die Skeptiker sind, die zunächst in London und dann in Athen und in Sydney immer diesen gleichen Versuch gemacht haben - also man lässt ein paar Leute in weißen Kitteln Globuli nehmen und sagt dann, das wirkt nicht, obwohl Hahnemann, der Erfinder der Homöopathie nie** behauptet hat, dass wenn man Globuli nimmt, dass das sofort was bewirken soll -, dann sind das zufällig genau die Leute, die vorher auch ganz gut verdient haben bei Gutachten mit der Pharmaindustrie."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Über Globalisierung wird viel geredet. Wir wollen heute über Globulisierung reden und die Wissenschaft, die sich mit den Globuli befasst, die trotz oder wegen extremer Verdünnung auf den menschlichen Körper wirken. Die Homöopathie: Seit hundert Jahren gibt es sie, verbunden mit dem Namen Samuel Hahnemann, und seitdem umstritten, wie vieles, das hilft, von dem mancher aber nicht versteht, warum das so ist.
In Leipzig findet dieser Tage der 72. homöopathische Weltärztekongress statt. Martin Dinges ist dabei, der stellvertretende Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin, der Stuttgarter Robert-Bosch-Stiftung, und er befasst sich seit einem Vierteljahrhundert mit der Homöopathie. Jetzt ist er am Telefon, schönen guten Morgen!
Martin Dinges: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Gesunder Lebensstil ist Teil der homöopathischen Therapie
Billerbeck: Über kaum etwas wird so heftig gestritten wie über die Homöopathie und ihre Kügelchen. Zuerst also die Frage: Warum werden solche Mittel überhaupt verlangt?
Dinges: Ja, sie werden verlangt, weil offenbar zwei Drittel der deutschen Patienten finden, dass sie es nützlich finden können und zwei Drittel der deutschen Ärzte, der Allgemeinärzte, sie bei Gelegenheit anwenden. Deshalb kann man daraus also schließen, dass es offenbar einen Bedarf gibt, und das scheint mir auch der entscheidende Punkt zu sein: Sie haben einerseits sich direkt auf die Globuli bezogen. Homöopathie ist ja sehr viel mehr.
Zu einem Behandlungssystem gehört ja auch die Diätetik dazu, also die Beförderung eines gesunden Lebensstils, und das ist sicher ein Teil der Therapie, der bei anderen therapeutischen Systemen eine geringere Rolle spielt. Weiterhin haben Sie sich auf Wissenschaft bezogen. Und da leidet die öffentliche Debatte unter einer vollständigen Verengung des Wissenschaftsbegriffs. Es wird so getan als ginge es da nur um gewissermaßen eine mechanistische Form, in der man kurzzeitige Wirkungen eines Medikaments auf einen mechanistisch vorgestellten Körper nachweisen müsste, in diesen Doppelblindstudien.
Wenn man sich aber Versorgungen anguckt, also das gesamte Verhältnis von Arzt und Patient – es kommt ja in der Regel ein Mensch mit Krankheiten, mit Beschwerden zum Arzt und möchte eine Besserung erreichen –, wenn man also sowohl die Globuli als auch das Gespräch mit dem Arzt als auch die sonstigen therapeutischen Empfehlungen beachtet, dann sieht es da für die Homöopathie gar nicht schlecht aus.
Und man versteht dann, warum viele Patienten offensichtlich die Versorgung der Homöopathie nachfragen, warum viele Ärzte sich dafür entscheiden, denn man muss sich ja klarmachen, Ärzte werden in Deutschland als Schulmediziner - und zwar ausschließlich als Schulmediziner - an den Universitäten ausgebildet. Und sie müssen sich nachher entscheiden, diese Spezialisierung als zusätzliche Ausbildung zu machen. Und das heißt ja, sie müssen auch als Ärzte mit etwas unzufrieden sein, was sie in ihrer Behandlungspraxis erlebt haben.
Homöopathie füllt Lücken in der medizinischen Versorgung
Billerbeck: Das heißt ja, Sie sprechen da von einer Lücke in der medizinischen Versorgung...
Dinges: Ja.
Billerbeck: Sowohl auf Patientenseite als auch auf Ärzteseite. Wenn die Homöopathie diese Lücke füllt, muss man sich doch wundern, dass es immer wieder so heftige, oft erhitzte Debatten um die Homöopathie gibt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Dinges: Ja, ich wundere mich überhaupt nicht darüber, denn es ist ja tatsächlich irritierend, dass der Wirkmechanismus, vor allen Dingen der hochverdünnten Arzneien, der ist bis heute wissenschaftlich, naturwissenschaftlich nicht belegbar, aber nur der der hochverdünnten. Man verwechselt das auch immer. Es gibt ja auch die anderen Potenzen.
Ansonsten ist es sehr einfach: Wenn immer mehr Patienten – und das ist ja nicht nur in Deutschland so, es ist in Frankreich so, es ist in Italien so, in vielen anderen Ländern – diese Art der Medizin nachfragen, dann entgehen natürlich dem Pharmaunternehmen Verkäufe von Medikamenten. Und wir wissen aus großen Schweizer Studien von den Krankenkassen, niederländischen Studien auch, dass die Homöopathie etwas günstiger ist ökonomisch, aber es wird mehr Zeit auf das Gespräch gelegt und weniger für Medikamente ausgegeben. Und das ist natürlich etwas, was den Anbietern gar nicht gefällt.
"Die Skeptiker sind Lobbyisten der Pharmaindustrie"
Und wenn Sie sich ansehen, wer die Skeptiker sind, die zunächst in London und dann in Athen und in Sydney immer diesen gleichen Versuch gemacht haben – also man lässt ein paar Leute in weißen Kitteln Globuli nehmen und sagt dann, das wirkt nicht, obwohl Hahnemann, der Erfinder der Homöopathie nie** behauptet hat, dass wenn man Globuli nimmt, dass das sofort was bewirken soll –, dann sind das zufällig genau die Leute, die vorher auch ganz gut verdient haben bei Gutachten mit der Pharmaindustrie.
Also es ist offensichtlich, warum es diese Debatte geben muss, warum sie angezettelt wird, weil es einfach Interessen gibt, die dort tangiert werden, wenn viele Patienten sich für eine Therapie entscheiden, die mehr auf Gespräch setzt, die weniger Arzneimittelkosten produziert – sehr deutlich weniger, wie wir wissen – und zu größerer Zufriedenheit geführt und außerdem im Vorher-Nachher-Vergleich deutliche Verbesserungen produziert. Das ist natürlich eine Herausforderung an ein System, das ansonsten gerne sehr viel, sehr schnell verschreibt.
Und dann – Sie wissen das –, wir haben immer mehr alte Leute, wir haben immer mehr chronische Krankheiten, dann werden mehrere Arzneien gleichzeitig verschrieben, und man weiß gar nicht, wie die auf die Dauer wirken. Sie sind getestet für eine kurze Akutbehandlung, werden aber über Jahre angewandt. Und erst jetzt fängt man überhaupt an, ernsthaft gegen diese Multimedikation etwas zu tun, indem man das beobachten und aufschreiben und von den Medizinern dokumentieren lässt.
Bettina von Arnim und ihr homöopathsiches Patientennetzwerk
Billerbeck: Herr Dinges, es ist ja bekannt, dass man auch nicht genau weiß, was diese konventionellen Mittel, und gerade wenn mehrere parallel genommen werden, was die bewirken. Und ich habe auch in der Vorbereitung gelesen, auf unser Gespräch, dass Deutschland da ein bisschen ungewöhnlich ist. Es gibt in anderen Ländern ja durchaus ein viel offeneres Verhältnis, mit denen Sie sich auch beschäftigt haben, in Indien zum Beispiel.
Aber Sie sind ja auf dem homöopathischen Weltärztekongress und halten da einen Vortrag, und der hat mich dann doch überrascht: Sie haben nämlich ein Thema gewählt – ich vermute, das wissen viele Menschen nicht, wir heißen ja Deutschlandfunk Kultur –, Sie berichten da nämlich über ein von Bettina von Arnim gegründetes Patientennetzwerk und ihre Empfehlung der Homöopathie. Das war frühes, Mitte des 19. Jahrhunderts. Klären Sie uns auf!
Aber Sie sind ja auf dem homöopathischen Weltärztekongress und halten da einen Vortrag, und der hat mich dann doch überrascht: Sie haben nämlich ein Thema gewählt – ich vermute, das wissen viele Menschen nicht, wir heißen ja Deutschlandfunk Kultur –, Sie berichten da nämlich über ein von Bettina von Arnim gegründetes Patientennetzwerk und ihre Empfehlung der Homöopathie. Das war frühes, Mitte des 19. Jahrhunderts. Klären Sie uns auf!
Dinges: Sehen Sie, der Ärztekongress, der bezieht sich in seinem Hauptthema ja auf das Netzwerk der Ärzte für Patienten. Und da ich immer finde, das Wichtigste ist, sich zu überlegen, was kommt denn für die Patienten raus? Da habe ich mir gedacht, na, dann rede ich über ein Patientennetzwerk, bei dem die Schriftstellerin Bettina von Arnim, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass Homöopathie sinnvoll sein könnte, 1828 begonnen hat, sie weiterzuempfehlen. Und zwar deshalb, weil ja für diese Alternativmedizin es immer sehr wichtig ist, dass die Patienten sie nachfragen. Bettina von Arnim lebte damals in Berlin, ihr Mann hat das Landgut bewirtschaftet, und deswegen unterhielten sie sich über alles Mögliche, und wir können das schön aus diesen Briefen entnehmen. Ich habe mich gefragt, wie funktioniert sowas?
Wir wissen heute, es wird unter Freunden empfohlen, in der Familie, aber dann will man natürlich herausfinden, welche Freunde sind es, woher kommen sie? Und dann wird das weiterempfohlen an den Schwager, den Justizminister von Savigny, der probiert es aus, andere sind skeptischer. Sie empfiehlt dann Selbstmedikation, sie empfiehlt, man solle zu Ärzten gehen.
Mittel für Savigny, Blechen und Schinkel
Es gab in Berlin damals 200 Ärzte, aber nur einen durchreisenden Homöopathen, den die Leute dann ausprobiert haben und kritisch verglichen haben, was kann er, was kann er nicht? Uund das Ergebnis war eben so, dass viele gefunden haben, damals, 1828: Uns nützt das. Wir haben, der Savigny, weniger Kopfschmerzen zum Beispiel und ähnliche Probleme, und im Laufe ihres Lebens hat sie dann weiter sich dafür engagiert.
Sie hat dann Schinkel, den berühmten Baumeister in Berlin, in späten Jahren als Patienten gewonnen; Blechen, den Künstler; sie hat ihrer Familie in Frankfurt und ihren Verwandten, den Bankiers Bentheim und anderen die Homöopathie empfohlen. Und alle haben es, oft nach Zögern, doch probiert und waren im Großen und Ganzen angetan.
Sie hat selbst es durchsetzen können, dass ihre Tochter, als sie in Frankfurt bei der Familie zu Besuch war, homöopathisch behandelt wird. Und sie hat dann einen Typhus überstanden, während der Cousin, also ihr Neffe, leider dabei gestorben ist. Also sie hat viel solcher Erfahrungen gesammelt, von der praktischen Seite dafür argumentiert.
Achim von Arnim war sehr viel skeptischer. Der hat sich zwar auch dann das "Organon" bestellt, also das grundlegende Werk der Homöopathie und hat das gelesen, aber hat es lange nicht so ausprobieren wollen, und schließlich und endlich dann doch mal, aber er war also vorsichtiger.
Billerbeck: Jetzt zählen Sie gleich alle auf, Herr Dinges! Soweit kommen wir nicht. Wir wollen ja auch noch, dass der Ärztekongress noch Ihren kompletten Vortrag hört. Ich danke Ihnen erst mal für dieses Gespräch über die Homöopathie. Ich glaube, das hat viele Leute neugierig gemacht, gerade das Letzte, was Sie über Bettina von Arnim erzählt haben. Danke, Herr Dinges!
Dinges: Das freut mich sehr! Vielen Dank für das Gespräch!
Billerbeck: Ja, ich danke Ihnen auch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Dinges: Ihnen auch, Frau von Billerbeck!
(*) In der ersten Textversion war die Berufsbezeichnung von Martin Dinges falsch.
(**) In der ersten Textversion fehlte sinnentstellend das Wort "nie". Dafür entschuldigen wir uns.
(**) In der ersten Textversion fehlte sinnentstellend das Wort "nie". Dafür entschuldigen wir uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.