Medizinische Himmelfahrtskommandos

Vorgestellt von Susanne Nessler |
Sie setzen sich in ein Flugzeug und landen acht Stunden später in Afrika oder Asien. Im Gepäck die Reiseapotheke und selber gut durchgeimpft gegen alle möglichen Tropenkrankheiten. Diesen gesundheitlichen Luxus verdanken wir engagierten Ärzten und Forschern, die sich zu Kaisers Zeiten auf besonders abenteuerliche Fernreisen begaben. Das Buch "Expeditionen ins Reich der Seuchen" berichtet über die 40 wichtigsten Jahre der deutschen Tropenmedizin.
Forschungsreisen vor 120 Jahren. Als Namibia Deutsch Südwest Afrika hieß und viele Infektionskrankheiten den Tod bedeuten.

"Plötzlich erscholl ein gewaltiges Geschrei, ein Eingeborener kam herbeigerannt, mit der Meldung, dass ein großer Dampfer gesichtet wäre."

Unerschrocken reisen Ärzte und Forscher aus Deutschland durch den afrikanischen Kontinent. Ihr Ziel: Malaria, Dengue-Fieber, Cholera, die Pest. Sie wollen den gefährlichen Krankheitserregern auf die Spur kommen. Eine riskante Mission, denn oft erkranken die Forscher selber an den Krankheiten, die sie bekämpfen. Abschrecken lassen sich die Wissenschaftler davon aber nicht. Allen voran der berühmte deutsche Bakteriologe Robert Koch.

"23. August 1899, Koch verlässt mit seiner Expedition Neapel. Sein Ziel: Indien, die Mückenbrutgebiete des Ambarawa-Kessels. Dort sind 41 Prozent der Kinder mit dem Malaria-Erreger infiziert. Das Blut der Kinder im Gebirge ist dagegen frei von Parasiten. Koch folgert daraus: Wo keine Moskitos, da keine Malaria!"

Heute ist (es) fast vergessen, dass während des dunklen Kapitels deutscher Kolonialgeschichte die Tropenmedizin gewaltige Fortschritte gemacht hat. Das unermüdliche Wirken Robert Kochs und vieler seiner Kollegen legte den Grundstein für die moderne Seuchen- und Infektionsmedizin.

In "Expeditionen ins Reich der Seuchen" dokumentieren der Arzt Johannes Grüntzig und der Parasitologe Heinz Mehlhorn anschaulich die Forschungsreisen ihrer Vorgänger.

Ein umfassendes und aufschlussreiches Sachbuch über die Zeit von 1870 bis zum Beginn des ersten Weltkriegs. Geschrieben als historischer Bericht mit zahlreichen Fotografien, medizinischen Details und unterhaltsamen Anekdoten aus dem Leben deutscher Forscher in Übersee.

" Welche Ausrüstungsgegenstände und Lebensmittel galt es mitzunehmen, bei wem bestellte man die Reiseapotheke wie schützte man sich vor Malaria und Schlafkrankheit? Und stets die quälende Frage im Gepäck: Werde ich den wissenschaftlichen Wettlauf um die Entdeckung des Krankheitserregers gewinnen? "

120.000 Reichsmark kostete 1899 eine durchschnittliche Expedition. Neben Afrika gehörten auch Asien und Indien zu den Einsatzgebieten deutscher Wissenschaftler. Im Auftrag des deutschen Kaiserreichs bekämpften sie Epidemien und suchten nach Möglichkeiten, die Bevölkerung in Übersee vor neuen Infektionen zu schützen.

Robert Koch verbrachte ganze acht Jahre seines Berufslebens auf Forschungsreisen.

"Ich brauche von jedem Kind ein Tröpflein Blut. Allgemeines Schweigen und ängstliches sich Ansehen. Als ich aber einem jungen Weib eine Kette von Glasperlen um den schlanken Hals lege und ihrem Kind ein Stück Zucker in den Mund schiebe, ist der Bann gebrochen. Nach einer Stunde habe ich einige zwanzig Blutproben entnommen und verpackt."

Ein Buch voll aufregender Geschichten, in dem aber auch die überhebliche Haltung weißer Doktoren deutlich wird. Medizinisch fragwürdige Versuche an Eingeborenen waren nicht selten, schreiben die Autoren.

Insgesamt ist der Erzählstil aber sehr sachlich. Und die Darstellung gespickt mit zahlreichen Querverweisen auf weiterführende Literatur, exakten Jahresangaben und einem umfangreichen Namens- und Sachregister. Dazu werden die verschiedenen Krankheiten in kurzen Überblicken beschrieben und der heutige Forschungstand erläutert.

Beeindruckend sind vor allem die zum Teil über 100 Jahre alten Fotografien, die aus verschiedenen Privatsammlungen stammen. Sie zeigen nicht nur Ureinwohner in schwarz-weiß und Forschergruppen mit Tropenhelmen, sondern auch Flora und Fauna, Eindrücke aus dem Alltag in Übersee, sowie zum Teil erschreckende Krankheitsbilder.

Ein gut dokumentiertes Stück Medizingeschichte, dass auch Historiker interessieren dürfte. Denn ebenso detailgetreu wie die Autoren über die Entdeckung des Pestbazillus in Indien schreiben, erklären sie die politischen Hintergründe deutscher Kolonialherrschaft. Wissenschaft im historischen Kontext mit kritischen Anmerkungen. Eine gelungene Gesamtdarstellung.

Johannes W. Grüntzig/Heinz Mehldorn: Expeditionen ins Reich der Seuchen
Medizinische Himmelfahrtskommandos der Kaiser- und Kolonialzeit.
Spektrum-Verlag. 28 €