Meena Kandasamy: "Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau"
Aus dem Englischen von Karen Gerwig
CulturBooks, Hamburg 2020
264 Seiten, 22,00 Euro
Durch Worte befreit und ermächtigt
07:19 Minuten
Eine Frau wird von ihrem Mann brutal geschlagen, vergewaltigt, isoliert. Doch dann befreit sie sich. Ihre Waffe ist ihre Sprache. Die indische Autorin Meena Kandasamy hat mit "Schläge" einen beeindruckenden autobiographischen Roman verfasst.
"Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau" heißt dieses Buch im Untertitel. Es ist ein autobiografischer Roman der indischen Autorin, Aktivistin und Feministin Meena Kandasamy. Auch die Ich-Erzählerin im Buch ist Schriftstellerin, auch sie wird von ihrem Mann misshandelt. Doch in diesem Roman geht es um viel mehr als um Authentizität oder das Verarbeiten einer schrecklichen Erfahrung. Die Ich-Erzählerin will ihre eigene Geschichte zurück erobern. Denn nur so, sagt sie, könne sie Verantwortung übernehmen - und selbstbestimmt leben. Und so wird die Sprache selbst zum Protagonisten.
Läuse, die vom Kopf der Tochter fallen
Zu Beginn sind es andere, die erzählen, was geschehen ist. Die Mutter berichtet von den Läusen, die zu tausenden vom Kopf ihrer Tochter fielen, nachdem sie vor ihrem Mann geflohen und nach Hause zurückgekehrt war. Der Vater beweint und wäscht die schmutzigen, vernarbten Füße seiner Tochter und fragt sich, wie es wohl in ihrem Inneren aussieht. Wie eine Kamera, die in die falsche Richtung filmt, erzählt Kandasamy vorbei an dem, was eigentlich geschah. Fast komödiantisch ist ihr Ton, die tamilischen Eltern liebenswert verschroben. Doch dann ändert sich die Stimmung, die Ich-Erzählerin ergreift selbst das Wort.
Stück für Stück raubt er ihr die Freiheit
Sie erzählt davon, wie sie sich mit Mitte zwanzig verliebt - in einen charismatischen Universitätsdozenten, selbstbeherrscht und imposant. Schnell heiraten die beiden, sie zieht zu ihm nach Mangalore, eine Küstenstadt Indiens, deren Sprache sie nicht beherrscht. Die Autorin ist isoliert. Nicht nur sprachlich. Ihr Mann, ein dogmatischer Kommunist, verbietet ihr Facebook, Email, Internet - und alles, was er "dekadent" oder "bürgerlich" findet. Er ist notorisch eifersüchtig. Stück für Stück raubt er seiner Frau die Freiheit und schließlich schlägt er zu.
Doch die Welle der physischen und psychischen Gewalt rollt nicht einfach so über die Ich-Erzählerin und über die Leserinnen und Leser hinweg. Kandasamy nähert sich dem Höhepunkt schmerzhaft langsam. Man weiß, was kommt, aber noch ist es nicht so weit. So geht es auch Frauen, die misshandelt werden. Sie wünschen den ersten Schlag herbei, damit es endlich vorbei ist.
Sprache als "geheimer Ort der Freude"
Eingesperrt in ihre Küche und die enge Welt einer Hausfrau erinnert sich die Ich-Erzählerin an ihr altes Leben. An die feministische Literatur, an Elfriede Jelinek, Helene Cioux oder Frida Kahlo. Sie erinnert sich daran, wie sie verliebt und die Sprache für sie unendlich reich, ein "geheimer Ort der Freude" war. "In meiner Sprache gab es, wie am Körper eines Geliebten, Dinge, von denen ich glaubte, dass nur ich sie kannte." Sie erschafft sich eine eigene Welt, formuliert Liebesbriefe an imaginäre Geliebte und löscht sie hinterher wieder.
Doch mit der Gewalt endet auch die Sprache. Und so entwickelt die Ich-Erzählerin neue Methoden. Sie spaltet ihr Ich ab, beobachtet sich selbst von der Zimmerdecke aus und beschreibt, wie sie vergewaltigt, geschlagen, verhöhnt wird. Sie spielt die perfekte Ehefrau und strickt währenddessen ihre eigene Erzählung. "Wenn I Hit You" heißt der Roman im Original. Denn schließlich findet sie die richtigen Worte, um ihren Gegner zu schlagen.
Am Ende hat sich die Autorin nicht nur ihrer Geschichte, sondern auch ihres Körpers ermächtigt. "Mein erschriebener Körper öffnet sich nur so weit, bis ich eine Grenze ziehe. Er braucht keine Erlaubnis meiner Eltern. Er braucht keine Zustimmung der Gesellschaft. Aufgeschrieben ist mein Körper vergewaltigungsresistent."
So stark kann Sprache sein.