Warum Aquakultur besser als ihr Ruf ist
Fisch gilt als gesundes Nahrungsmittel. Aber kann man ihn angesichts der krassen Überfischung der Meere und der heftigen Kritik an Aquakultur noch ohne Reue genießen? Ja, sagt der Umwelt- und Meereswissenschaftler Harry Palm.
Zentrales Thema auf der diesjährigen, gestern gestarteten Messe "Eurotier" in Hannover ist die Aquakultur: Rund 50 Prozent der 18 Kilo Fisch, die jeder Erdenbürger pro Jahr verspeist, kommen heute schon aus Unterwasser-Fischfarmen auf den Tisch. Angesichts dramatisch überfischter Meere ist Aquakultur offenbar die einzige Möglichkeit, weiterhin regelmäßig den als sehr gesund geltenden Fisch auf den Speisezettel zu setzen.
Doch die Methode wird von Umwelt- und Tierschützern scharf kritisiert: Wasser werde verunreinigt, für die Produktion von Fischmehl würden Ressourcen verschleudert, der Antibiotika-Einsatz bei der Zucht sei bedenklich. Der Umwelt- und Meereswissenschaftler Harry Palm, Professor an der Universität Rostock, beschwichtigt:
"Fisch ist immer noch die ressourcenschonendste Proteinproduktion. Also, in punkto Wasserverbrauch, Futtermittelverbrauch produzieren Sie also pro Kilogramm Futtermittel deutlich mehr Fischkilogramm, als Sie das bei Hühnchen, Schwein oder Rind machen. Und da wird ja auch nicht darüber diskutiert, Huhn, Schwein oder Rind komplett aus unserem Speiseplan zu streichen."
Zumindest in Europa seien Fischfarmen heute weniger kritisch zu sehen als noch vor 20 Jahren, es kämen deutlich weniger Antibiotika zum Einsatz. Auch das Argument, für ein Kilo gezüchteten Fisch werde die fünf- bis zwanzigfache Menge an wild gefangenem Fisch als Fischmehl-Futter benötigt, treffe nicht mehr in jedem Fall zu:
"Die Aquakultur und die Futtermittelhersteller arbeiten seit vielen Jahren daran, das Fischmehl auszutauschen gegen Proteine, die an Land, also von Pflanzen, geliefert werden."
Palm räumte jedoch ein, dass Raubfische wie der Lachs oder Wolfsbarsch nicht allein mit Pflanzenproteinen gefüttert werden könnten.Der Verbraucher habe aber die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welchen Fisch er auf den Teller bringen wolle - statt Lachs etwa Karpfen oder Forelle. Palm betonte, er selbst esse "so oft wie möglich" Fisch.
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Freitags Fisch – das war einmal. Heute ist fast immer Freitag – das muss man zumindest vermuten, denn wir alle essen so viel Fisch wie nie zuvor. So viel, dass die Fischbestände massiv zurückgegangen sind in den Weltmeeren.
Die Lebensmittelindustrie hat für dieses Dilemma ihre eigene Antwort gefunden, und die heißt Aquakulturen, große Fischkäfige im Meer, in denen die Fische zum Essen gezüchtet werden. Schon jetzt stammt die Hälfte aller Fische auf unseren Tellern aus solchen Fischfabriken, und es drängt sich die Frage auf: Ist das die Lösung, oder ist das nur eine neue Variante des Verbrechens an der Umwelt.
Ich spreche darüber jetzt mit Professor Harry Palm. Er ist Experte für Aquakulturen an der Universität Rostock. Guten Morgen!
Harry Palm: Schönen guten Morgen!
Frenzel: Können wir dank der Fischfarmen ohne schlechtes Gewissen Fisch essen?
Palm: Ja, ich würde mal sagen, wir essen zurzeit alle schon dank der Fischfarmen Fisch. Es ist also so, dass die Aquakultur gerade in diesem Jahr praktisch die Hälfte aller verfügbaren Fischprodukte und Fischereiprodukte liefert. Das heißt also, es ist eigentlich eine Illusion zu glauben, dass wir heutzutage noch unseren Fisch aus den Weltmeeren beziehen.
Frenzel: Also andersherum wäre es so: Wenn wir die Aquakulturen nicht hätten, dann könnten wir uns Fisch gar nicht leisten?
Palm: Ich würde mal sagen, dann wäre für den deutschen Otto Normalverbraucher Fisch deutlich teurer, und einige Qualitäten wahrscheinlich unerschwinglich.
Frenzel: Nun gibt es ja massive Kritik von Umweltverbänden, von Greenpeace, vom WWF, die sagen, Aquakulturen verursachen große Umweltschäden, wenn Chemikalien, Nahrungsreste, Fischkot und nicht zuletzt Antibiotika aus den offenen Netzkäfigen in die Flüsse und in die Meere gelangen. Ist das eine übertriebene Kritik?
Palm: Ich würde mal sagen, ein Teil dieser Kritik entsteht aus einer Zeit, sag' ich mal, vor 20, 25 Jahren, und man muss hier sehr stark differenzieren zwischen den verschiedenen Aquakulturverfahren. Sehr stark kritisiert wird häufig die Lachs-Aquakultur, die, als sie begonnen hatte, in Norwegen, vor, sage ich mal, 30 Jahren, selbstverständlich eine große Menge Antibiotika eingesetzt hat.
Inzwischen ist es aber so, dass es routinemäßige Impfverfahren gibt, die beispielsweise gerade in der Lachs-Aquakultur den Einsatz von Antibiotika sehr stark zurückgefahren hat, also praktisch verschwindend gering und nicht gleichzusetzen mit Antibiotikaeinsatz in anderen Zuchtverfahren.
Eine andere Geschichte ist es beispielsweise, wenn Sie sich die Aquakultur in anderen Ländern, möglicherweise, die weniger Kontrollen unterliegen, anschauen. Dort kann es natürlich durchaus sein, dass dort noch Antibiotika eingesetzt werden. Also da muss man sehr stark differenzieren, und eine Pauschalisierung, wie sie da vorgenommen wird, ist eigentlich nicht korrekt.
"Es werden natürlich auch sehr viele Süßwasserfischarten gezüchtet"
Frenzel: Wo sind denn die größten Aquakulturen in der Welt, in welchen Ländern, in welchen Meeren?
Palm: Die Aquakultur wird betrieben ganz klar in Südostasien, und dort sitzen auch die größten Produzenten. China, Indonesien, das sind so die Produzenten, die wirklich sehr viel machen. Aquakultur ist ja auch zu verstehen - es geht dort nicht nur um Fischzucht, sondern auch die Zucht von Algen, marinen Algen beispielsweise, um dort Alginale zu gewinnen.
Die finden sich in jeder möglichen Form von Lebensmitteln. Sie finden sich im Speiseeis beispielsweise. Das heißt, so etwas gehört dazu. Es werden Muscheln gezüchtet - also nicht nur Fisch. Und es werden natürlich auch sehr viele Süßwasserfischarten gezüchtet wie beispielsweise der Karpfen.
Und das kennen wir ja auch hier aus Deutschland, das ist ja auch eine ganz normale traditionelle Fischzucht hier in Deutschland. Aber zweifelsohne, die Aquakultur wird getrieben in Südostasien.
Frenzel: Nun mag das ein böses Vorurteil von mir sein, aber die Länder, die Sie da genannt haben, bei denen würde ich jetzt erst mal vermuten, dass es da mit Umweltkriterien nicht so weit her ist, oder?
Palm: Das ist ein Kritikpunkt, der teilweise ja in die richtige Richtung geht. Nichtsdestotrotz passiert diese Entwicklung ja dadurch, dass der Pro-Kopf-Verbrauch weltweit an Fisch inzwischen auf 18 Kilogramm pro Kopf gestiegen ist und wir gleichzeitig ein sehr starkes Bevölkerungswachstum haben, in Südostasien und in vielen dieser Länder.
Das heißt, wir haben gleichzeitig mehr Leute, die Fisch essen wollen. Wir haben gleichzeitig einen steigenden Pro-Kopf-Verbrauch, und deswegen erfolgt automatisch natürlich die Produktion in der Aquakultur.
Frenzel: Aber ist es denn, selbst wenn man also anständig betriebene Fischfarmen vorfindet und vorfinden wird eines Tages überall in der Welt, ist es denn dennoch vertretbar? Ich komme noch mal mit Zahlen, die von Umweltverbänden kommen, die deutlich machen, welcher Ressourcenverbrauch nötig ist für die Fütterung der Fische: Da braucht man für ein Kilo gezüchteten Lachs bis zu fünf Kilo wild gefangenen Fisch, der verfüttert wurde.
Bei Thunfisch ist es noch schlimmer, da ist ein Kilo Produktion durch 20 Kilo Futter, in diesem Verhältnis, notwendig. Sind das nicht Relationen, die eigentlich gar nicht gehen?
Palm: Also ich weiß nicht, wo Sie diese Zahlen her haben, aber es ist so, dass die Aquakultur und die Futtermittelhersteller seit vielen Jahren daran arbeiten, gerade das Fischmehl, worauf Sie ansprechen, auszutauschen gegen Proteine, die an Land, also durch Pflanzen praktisch geliefert werden. Und das heißt also, der Fischmehleinsatz in der Aquakultur geht kontinuierlich zurück.
Es ist wahr, wenn Sie mit Karnivoren, also mit, sag' ich mal, räuberischen Fischarten, wenn Sie die züchten wollen – und das sind gerade die hochwertigen Fischarten, die wir sehr gerne auf dem deutschen Markt sehen –, das heißt also der Lachs beispielsweise, Wolfsbarsch, das sind diese Fischarten. Wenn Sie die konsumieren wollen, dann müssen Sie natürlich durchaus auch Fischmehl einsetzen. Es ist aber ...
"Sie können natürlich selektieren nach bestimmten Fischsorten"
Frenzel: Da bin ich, Herr Palm, bei der Frage, was wir als Verbraucher eigentlich tun können in dieser Situation, die Sie da beschreiben. Immer mehr Fischkonsum, ist da vielleicht eine Antwort, dass wir sagen, weniger Fisch essen, vor allem bestimmte Fischsorten?
Palm: Sie können natürlich selektieren nach bestimmten Fischsorten. Wobei ganz zweifelsohne Arten wie beispielsweise der Karpfen, der ein Allesfresser ist, der im Prinzip mit normalem Weizen beispielsweise zugefüttert werden kann oder auch in extensiven Kulturen, einfach in Teichen leben kann. Wenn Sie den essen, ist es überhaupt kein Problem beispielsweise.
Es gibt Tilapien, das sind solche afrikanischen Buntbarsche, das ist allerdings Warmwasseraquakultur – und da wird es schon wieder schwierig. Dort brauchen Sie zwar kein Fischmehl in dem Sinne, also das sind Allesfresser, aber die werden häufig eben in tropischen Ländern produziert, wo man dann auch nicht immer sicher sein kann, ob das eine Methode ist, wie sie einem gefällt.
Frenzel: Herr Palm, meine letzte Frage: Wie oft kommt bei Ihnen Fisch auf den Tisch?
Palm: So häufig ich kann, ehrlich gesagt, also wann immer ich wählen kann, beispielsweise in der Mensa, esse ich Fisch. Also, Sie müssen das auch ein bisschen vor dem Hintergrund betrachten, dass Fisch immer noch die ressourcenschonendste Proteinproduktion ist. Also in puncto Wasserverbrauch, Futtermittelverbrauch produzieren Sie also pro Kilogramm Futtermittel deutlich mehr Fischkilogramm, als Sie das bei Hühnchen, Schwein oder Rind machen.
Und da wird ja auch nicht darüber diskutiert, Rind, Huhn und Schwein komplett aus unserem Speiseplan zu streichen. Also insofern sag' ich mal, wenn Sie Fisch konsumieren, machen Sie mit Sicherheit etwas Gutes, und Sie tun vor allen Dingen auch was Gutes für Ihre Gesundheit.
Frenzel: Harry Palm, Professor für Aquakultur und Sea-Ranching an der Universität Rostock. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Palm: Alles klar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.