Meerjungfrau trifft fliegenden Holländer
Zwei Fantasiegestalten aus dem Meer suchen bei den Menschen nach der Liebe: Helmut Oehrings neues Musiktheaterstück verbindet das Märchen von der kleinen Meerjungfrau mit Wagners "Der fliegende Holländer" - rau, impulsiv und immer wieder überraschend.
Aus der Dunkelheit schält sich eine Gestalt. Die gehörlose Gebärdensolistin Christina Schönfeld geht langsam in die Mitte der Bühne. In einer Mischung aus Fabrik und Kathedrale, wie man sie im Ruhrgebiet oft findet, inszeniert Claus Guth die Uraufführung eines neuen Musiktheaterstücks von Helmut Oehring. "SehnSuchtMEER oder Vom fliegenden Holländer" ist eine Huldigung an Richard Wagner, keine kritische Auseinandersetzung.
Eine affirmative Grundhaltung zur Tradition ist selten in der zeitgenössischen Musik. Oehring, Kind gehörloser Eltern und Autodidakt, sieht in Wagner den Revolutionär, den Flüchtling, den Rebell. Einen, der von Außenseitern erzählte, von einsamen Menschen, die Liebe und Erlösung suchen. Die Oper am Rhein gab dieses Stück in Auftrag, in Düsseldorf war nun die Uraufführung.
Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau hat Oehring schon oft vertont. Die Geschichte der jungen Nixe, die ihre Sprache aufgibt, um an Land gehen zu können, zum geliebten Prinzen, lässt sich perfekt von einer Gebärdensolistin erzählen. Christina Schönfeld tut es mit genau geführten Bewegungen, fast kontemplativ. Hans Christian Andersens Märchen verbinden Oehring und seine Librettistin Stefanie Wördemann mit Wagners Oper "Der fliegende Holländer". Zwei Fantasiegestalten aus dem Meer suchen bei den Menschen nach der Liebe.
Das weitgehend aus collagierten Texten bestehende Libretto reißt noch weitere Themen an. Heinrich Heine, in dessen "Memoiren des Herrn von Schnabelewobski" Wagner die Geschichte des Holländers fand, spielt ebenso eine Rolle wie Wagners Seelenfreundin Mathilde Wesendonck. Doch anders als in vielen Werken zeitgenössischer Musik kommt kein abstrahiertes Zitatengewitter heraus, dessen Sinn sich nur wenigen Eingeweihten erschließt. Im Gegenteil: Oehring und Regisseur Claus Guth setzen aufs Erzählen und scheuen sich nicht, große Teile aus Wagner – mal leicht, mal mehr verfremdet – in ihren Abend zu übernehmen.
Es geht um das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kommunikationsformen. Zwei Sänger – Manuela Uhl und Simon Neal – verkörpern Senta und den Holländer, wobei die Rollen weitere Spiegelungen erfahren. Auch der Kontrabassist und Vokalist Michael Bauer ist der Holländer, seine Einwürfe wirken improvisiert, intuitiv aus der Situation heraus entwickelt. Seine Duette mit Simon Neal gehören zu den musikalischen Höhepunkten des Abends.
Die Gebärdensolistin begleitet oft Senta, lässt sich von ihrer Stimme verzücken, und man spürt die Sehnsucht der Meerjungfrau, sich auch so ausdrücken zu können. Der Vokalkünstler David Moss kommentiert die Szenen mit gepressten, hervor gewürgten oder ekstatisch herausbrechenden Lauten. Er übernimmt manchmal erzählende Funktionen, die sonst vor allem bei den Schauspielern Jutta Wachowiak und Rudolf Kowalski liegen.
Die Faszination des Abends entsteht daraus, dass all diese Ausdrucksformen nicht einfach unverbunden nebeneinander stehen, sondern miteinander agieren, sich in den Dienst einer Handlung stellen.
"SehnSuchtMEER" ist ein raues, impulsives, immer wieder überraschendes Stück – und auf seine Weise sehr unterhaltend. Die ästhetischen Mittel sind vielfältig, ihr Ziel bleibt immer präsent. Alle Solisten nähern sich mit großer Warmherzigkeit den einsamen, unverstandenen, von Offenheit und Liebessehnsucht erfüllten Charakteren. Das mag manchmal die Grenze zum Kitsch touchieren, doch die Aufrichtigkeit, mit der der völlig unakademisch denkende und fühlende Oehring komponiert, nimmt für ihn ein.
Dirigent Axel Kober hält das anspruchsvolle, vielschichtige Stück nicht nur souverän zusammen, sondern erspürt eine Menge feiner Details und Momente flirrender Sinnlichkeit. Dagegen wirkt Claus Guths Inszenierung manchmal ein bisschen steif. Sein behutsam-nachdenklicher Zugriff, der viel von der Industrialisierung und der geistigen Reaktion darauf im 19. Jahrhunderts erzählt, würde auch auf einen normalen "fliegenden Holländer" passen.
Die Regie ist handwerklich souverän, aber ihr fehlen überraschende Augenblicke. Doch das hat auch sein Gutes, denn so kann man sich auf Helmut Oehrings Grenzerkundungen und die Begegnungen zwischen den körperlichen und akustischen Sprachwelten konzentrieren.
"SehnsuchtMEER" in der Rheinoper Düsseldorf
Regie: Claus Guth
Eine affirmative Grundhaltung zur Tradition ist selten in der zeitgenössischen Musik. Oehring, Kind gehörloser Eltern und Autodidakt, sieht in Wagner den Revolutionär, den Flüchtling, den Rebell. Einen, der von Außenseitern erzählte, von einsamen Menschen, die Liebe und Erlösung suchen. Die Oper am Rhein gab dieses Stück in Auftrag, in Düsseldorf war nun die Uraufführung.
Das Märchen von der kleinen Meerjungfrau hat Oehring schon oft vertont. Die Geschichte der jungen Nixe, die ihre Sprache aufgibt, um an Land gehen zu können, zum geliebten Prinzen, lässt sich perfekt von einer Gebärdensolistin erzählen. Christina Schönfeld tut es mit genau geführten Bewegungen, fast kontemplativ. Hans Christian Andersens Märchen verbinden Oehring und seine Librettistin Stefanie Wördemann mit Wagners Oper "Der fliegende Holländer". Zwei Fantasiegestalten aus dem Meer suchen bei den Menschen nach der Liebe.
Das weitgehend aus collagierten Texten bestehende Libretto reißt noch weitere Themen an. Heinrich Heine, in dessen "Memoiren des Herrn von Schnabelewobski" Wagner die Geschichte des Holländers fand, spielt ebenso eine Rolle wie Wagners Seelenfreundin Mathilde Wesendonck. Doch anders als in vielen Werken zeitgenössischer Musik kommt kein abstrahiertes Zitatengewitter heraus, dessen Sinn sich nur wenigen Eingeweihten erschließt. Im Gegenteil: Oehring und Regisseur Claus Guth setzen aufs Erzählen und scheuen sich nicht, große Teile aus Wagner – mal leicht, mal mehr verfremdet – in ihren Abend zu übernehmen.
Es geht um das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kommunikationsformen. Zwei Sänger – Manuela Uhl und Simon Neal – verkörpern Senta und den Holländer, wobei die Rollen weitere Spiegelungen erfahren. Auch der Kontrabassist und Vokalist Michael Bauer ist der Holländer, seine Einwürfe wirken improvisiert, intuitiv aus der Situation heraus entwickelt. Seine Duette mit Simon Neal gehören zu den musikalischen Höhepunkten des Abends.
Die Gebärdensolistin begleitet oft Senta, lässt sich von ihrer Stimme verzücken, und man spürt die Sehnsucht der Meerjungfrau, sich auch so ausdrücken zu können. Der Vokalkünstler David Moss kommentiert die Szenen mit gepressten, hervor gewürgten oder ekstatisch herausbrechenden Lauten. Er übernimmt manchmal erzählende Funktionen, die sonst vor allem bei den Schauspielern Jutta Wachowiak und Rudolf Kowalski liegen.
Die Faszination des Abends entsteht daraus, dass all diese Ausdrucksformen nicht einfach unverbunden nebeneinander stehen, sondern miteinander agieren, sich in den Dienst einer Handlung stellen.
"SehnSuchtMEER" ist ein raues, impulsives, immer wieder überraschendes Stück – und auf seine Weise sehr unterhaltend. Die ästhetischen Mittel sind vielfältig, ihr Ziel bleibt immer präsent. Alle Solisten nähern sich mit großer Warmherzigkeit den einsamen, unverstandenen, von Offenheit und Liebessehnsucht erfüllten Charakteren. Das mag manchmal die Grenze zum Kitsch touchieren, doch die Aufrichtigkeit, mit der der völlig unakademisch denkende und fühlende Oehring komponiert, nimmt für ihn ein.
Dirigent Axel Kober hält das anspruchsvolle, vielschichtige Stück nicht nur souverän zusammen, sondern erspürt eine Menge feiner Details und Momente flirrender Sinnlichkeit. Dagegen wirkt Claus Guths Inszenierung manchmal ein bisschen steif. Sein behutsam-nachdenklicher Zugriff, der viel von der Industrialisierung und der geistigen Reaktion darauf im 19. Jahrhunderts erzählt, würde auch auf einen normalen "fliegenden Holländer" passen.
Die Regie ist handwerklich souverän, aber ihr fehlen überraschende Augenblicke. Doch das hat auch sein Gutes, denn so kann man sich auf Helmut Oehrings Grenzerkundungen und die Begegnungen zwischen den körperlichen und akustischen Sprachwelten konzentrieren.
"SehnsuchtMEER" in der Rheinoper Düsseldorf
Regie: Claus Guth