Mega-App in China

Süchtig nach WeChat

Nutzer der App WeChat in der Provinz Jianxi im Osten Chinas mit ihren Smartphones
Nutzer der App WeChat in der Provinz Jianxi im Osten Chinas mit ihren Smartphones © picture-alliance / dpa / Imaginechina / Zhuo Zhongwei
Von Sebastian Hesse |
Chatten, einkaufen, Termine vereinbaren - WeChat ersetzt Facebook, WhatsApp, Skype und vieles mehr. Über 700 Millionen Chinesen nutzen das Tool. Die App kann alles - und weiß alles über die Nutzer.
Eigentlich ein Wunder, dass die meisten U-Bahn-Fahrer in Shanghai doch an der richtigen Station aussteigen: Während der Fahrt nämlich starren sie ausnahmslos auf das Display ihres Smartphones - hochkonzentriert, völlig versunken. Ganz im Banne der Super-App WeChat. Die New York Times spricht in einem Video-Clip vom Schweizer Armeemesser unter den Smartphone-Anwendungen.
Diese App kann alles: Sie kann WhatsApp, Skype, Facebook, Uber, Amazon und vieles mehr. In der Tat: WeChat, ursprünglich gestartet als Messenger-Dienst, nimmt einem alles ab: Bargeldlos bezahlen, Bankgeschäfte abwickeln, online shoppen, Taxis holen, Strom- und Wasserrechnungen bezahlen, Arzttermine buchen, Kinokarten bestellen und, und, und ... Liu Ding, der in Shanghai ein E-Commerce-Start-Up gegründet hat, kennt das Erfolgsrezept der Mega-App:
"Wir Chinesen haben gerne alles unter einem Dach. Wir mögen's bequem und drehen uns gleichzeitig ständig im Hamsterrad. Daher entspricht es unserer Mentalität, alles mit einer einzigen Anwendung abzuwickeln."

PCs sind megaout

Vor fünf Jahren begann der Siegeszug von WeChat, oder auf Chinesisch: Weixin. Der Computerspiele-Entwickler Tencent hatte richtig erkannt, dass PCs, Bargeld und Kreditkarten bald megaout sein würden in China. Und so dominiert der WeChat-Konsum zum Teil auf bizarre Weise den chinesischen Alltag: In Restaurants sieht man Paare romantisch bei Kerzenschein dinieren. Und beide daddeln an ihrem Smartphone herum, ohne sich gegenseitig auch nur anzusehen. So erlebt es andauernd Feifei, eine Marketing-Managerin aus Shanghai.
"WeChat ist immer dabei, wenn man sich mit Freunden trifft. Gerät das Gespräch ins Stocken oder es wird langweilig: Dann schnappt man sich lieber das Smartphone."
Die 37-jährige bezeichnet sich selber als WeChat-süchtig:
"Ich kann gar nicht mehr mitzählen, wie oft ich am Tag WeChat benutze. Gleich morgens beim Aufstehen! Wenn ich die Augen aufmache, dann schaue ich zu allererst nach neuen Messages!"

Piep, piep, piep ...

Wenn sie sich einen Kaffee am Straßenrand holt: Piep --- schon bezahlt mit dem WeChat QR-Code. In der U-Bahn, Piep, schnell mal zum Zeitvertreib ein paar unnütze Dinge eingekauft. Und, ach ja, Piep, den Zahnarzttermin für nächste Woche vereinbart. WeChat kann alles, erleichtert alles, und weiß natürlich alles über seine 700 Millionen Nutzer. Den Shanghaier Geschäftsmann Tu Aijun, auch WeChat-User, sorgt das:
"Das ist immerhin ein kommerzielles Unternehmen und wenn die sich nicht an den Datenschutz halten, dann wird mein ganzes Leben transparent."
Die Datenmenge, die über WeChat zusammenkommt in dem Land, in dem Facebook und Twitter gesperrt sind, ist schier unvorstellbar. Je mehr WeChat seinen Usern im Alltag abnimmt, desto lückenloser weiß das System Bescheid über deren Leben. Eine Debatte darüber gibt es jedoch nicht. Die Chinesen sind viel zu sehr beschäftigt: mit WeChat!
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