Megacity Addis Abeba

Die heimliche Hauptstadt Afrikas

Blick auf Addis Abeba, die Hauptstadt Äthiopiens
Die Skyline der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba in Smog gehüllt © dpa / picture alliance / Yannick Tylle
Von Hindi Kiflai |
Äthiopien galt lange als Armutsland, das regelmäßig von Dürren heimgesucht wird. Dieses Image versucht die Regierung in Addis Abeba mit allen Mitteln loszuwerden. Nur in wenigen Ländern, heißt es, wird die Entwicklungshilfe mit vergleichbar hoher Effektivität verwendet.
"I am Michael Baheru, I am 25 years old. I am a medical doctor."
Michael Baheru ist 25 Jahre alt, Arzt und leidenschaftlicher Skater. Im vergangenen Jahr hat eine Nichtregierungsorganisation einen Skatepark in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba errichtet. Auf 600 Quadratmetern betonierter Fläche können die Jugendlichen sich nun auf ihren Brettern austoben. Eigentlich toll, meint Michael Baheru. Aber nur eigentlich.
"Die Frage wirtschaftliche Entwicklung versus Sport wird immer wieder aufgeworfen. Die Regierung wird sich immer darauf konzentrieren, Investitionen zu tätigen, die auch einen Profit bringen. Der Sport fördert aber auch eine wirtschaftliche Entwicklung, die Regierung kann den positiven Aspekt des Skateparks und unseres Sports sehen, weil das die Jugend stärkt und ihre Kreativität fördert. Aber im Ernst: Das Wachstum der Stadt macht uns schon zu schaffen, allein deshalb, weil es immer schwerer wird, zum Skatepark zu gelangen bei all den Baustellen. Und doch, vielleicht werden wir dadurch auch mehr gesehen, bekommen größere und nachhaltige Skateparks!"

Wachstum um jeden Preis?

Michael Baheru steht mit seiner Zwiespältigkeit nicht allein – die Einwohner von Addis Abeba sind hin- und hergerissen: Einerseits gilt die Stadt schon jetzt für manchen als heimliche Hauptstadt Afrikas. Die Afrikanische Union hat hier ihren Sitz und die Weltöffentlichkeit beobachtet das Geschehen in Addis Abeba genau. Andererseits bringt das Wachstum auch eine Perspektive, nach der sich alle sehnen.
Es ist Sonntagnachmittag, die Geschäfte haben geöffnet, und vor der beliebten Edna Mall tummeln sich viele Menschen. Sie trinken hier Kaffee, treffen sich mit Freunden oder shoppen. Und überall: die Mini-Busse – das Fortbewegungsmittel in Addis Abeba.
In dem weiß-blauen Minibus ist noch Platz für vier Leute. Der Fahrer ruft seine Fahrtrichtung den vorbeilaufenden Passanten zu. Es ist das beliebteste Fortbewegungsmittel in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Bis zu elf Leute passen rein und für maximal 5 Birr, knapp 20 Cent, kommt man bis ans andere Ende der Stadt. Gabra Kelyle ist viel unterwegs in Addis Abeba. Wann immer es geht, nimmt er einen Minibus
"Die sind sehr günstig, wenn es kurze Strecken sind, wenn es längere sind, wird es zwar teurer, aber die bringen uns dort hin, wo wir hin wollen. Das Netz der Minibusse ist einfach sehr gut und sie sind nicht überfüllt."

Die Zeit der Minibusse geht zu Ende

Mit den Minibussen soll jedoch bald Schluss sein. Denn Addis Abeba will den Verkehr besser regulieren, Staus verringern, moderner werden und dabei den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß nicht erhöhen. Der Grund: Sie droht in ihrem Verkehr zu ersticken. Zur Rush Hour liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit auf den Straßen der Millionen-Metropole bei gerade mal 10 Stundenkilometern.
Ein Schritt aus dem Verkehrschaos soll das Schnellbussystem BRT sein, das ab 2018 mit sieben Linien den Verkehr in der Stadt vereinfachen soll. Die Zeit der Minibusse wäre damit also definitiv vorbei – so will es das Verkehrsdezernat in Addis Abeba, das von den Vereinten Nationen mit deren Stadtentwicklungsprogramm Habitat unterstützt wird. Für Solomon Kidane, Leiter des Straßen- und Verkehrsamts Addis Abeba, folgerichtig:
"Diese Minibusse sind nicht rentabel. Das wissen wir. Außerdem sind es alte Autos, die in der Stadt die Luft verpesten und den Verkehr aufhalten. Wir wollen den Betrieb der Minibusse aber nicht verbieten. Wir haben den Gewerkschaften der Minibusfahrer angeboten, dass sie steuerfrei und mit einem Kredit in Höhe von 70 Prozent des Kaufpreises neue Busse kaufen können. Das hat dazu geführt, dass viele aus dem Minibus-Business ausgestiegen sind und größere Busse fahren. Langfristig wird aber das BRT für die Fahrgäste so attraktiv sein, dass sich diese Minibusse von selbst erledigen werden. Schon jetzt geht ihre Zahl deutlich zurück. Noch vor ein paar Jahren waren es 10.000 Minibusse, jetzt sind es nur noch 7000."

Mobilität gestalten

Erklärtes Ziel ist es, die Mobilität der Menschen zu erhöhen. Denn noch sind 55 Prozent der Leute in Addis Abeba zu Fuß unterwegs, 35 Prozent nutzen öffentliche Verkehrsmittel und die restlichen 10 Prozent fahren Auto. In der westlichen Welt wären das perfekte Zahlen, sagt Kidane. In Addis Abeba sieht das anders aus. Nachhaltig könne das Wachstum hier nur sein, wenn mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs seien, ohne dass sich die Zahl der Autos signifikant erhöhe.
"Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr einfach sehr viel attraktiver machen in puncto Preis, Komfort und Verlässlichkeit."
Gabra Kelyle kann das nur bestätigen:
"Die Busse sind selten, mal kommen sie zu früh, dann wieder zu spät. Außerdem ist es sehr eng, total unbequem da drin und man kann sich nicht mal richtig unterhalten, weil man einfach so dicht gedrängt ist. Im Bus denke ich immer, zum Glück bin ich keine Frau, es ist einfach zu voll."
Konferenzgebäude der Afrikanischen Union, aufgenommen am 18.03.2013 in Addis Abeba in Äthiopien.
Das Konferenzgebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba, Äthiopien© picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm

Bauboom in Addis Abeba

Alle paar Meter wird in Addis Abeba gebaut. Kräne, Bagger und Baugerüste prägen das Stadtbild ebenso wie die vielen Kirchen und die breiten Boulevards. Fahrräder sieht man kaum als Fortbewegungsmittel. Auch das soll sich jedoch ändern, denn die Ausweitung der Fuß- und Fahrradwege ist fester Bestandteil der nachhaltigen Verkehrsplanung.
Ein Meilenstein in der neuen Verkehrsgestaltung Addis Abebas stellt die elektronische "Light Rail Transport" dar. Es gibt zwei Linien der weiß-blauen Tram. Sie verbindet seit Ende 2015 den Norden mit dem Süden der Stadt und den Osten mit dem Westen, mit einem Knotenpunkt in der Stadtmitte. 475 Millionen Dollar hat die Tram gekostet. Zu 85 Prozent finanziert von durch Investoren aus China – der Rest wurde vom äthiopischen Staat beigesteuert.

Die erste Tram südlich der Sahara

Die Menschen stehen dicht gedrängt in der Bahn, beim Ein- und Aussteigen ist man höflich und achtet aufeinander. Einem Rollstuhlfahrer wollen vier Leute gleichzeitig helfen. Sie sind stolz!!! Die Chinesen als die größten Investoren der Bahn betreuen noch den Betrieb. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist überwältigend - war die Bahn für 60.000 Fahrgäste pro Tag konzipiert, wird sie jetzt täglich von 120.000 genutzt.
Abraham Amhara ist Freelancer in Addis Abeba und absoluter Fan der Bahn:
"Ich fahre jeden Tag mit der Bahn. Steige schon an der Station Piazza ein und fahre bis zur Endstation. Es ist einfach bequem und spart Zeit mit der Tram zu fahren."
Addis Abeba ist die erste Stadt südlich der Sahara, die eine solche Bahn hat. Damit aber nicht genug. Die rasant wachsende Stadt will ihren Wachstum nachhaltig gestalten und das auf vielerlei Ebenen.

Nachhaltiges Wachstum

Am Rande der Stadt, zu Besuch bei der Firma Gogle. 18 Menschen arbeiten hier. In einer alten roten Fabrikhalle, die etwa so groß ist wie eine Sporthalle, sitzt ein junger Kerl im Blaumann an einer Maschine. Er schweißt Ringe zusammen, die aussehen wie Tortenringe. Diese stapelt er vor sich zu einem großen Turm auf.
Weiter vorne hämmern zwei Frauen kleine Metallteile zusammen. Hier entstehen täglich rund 200 effiziente Öfen, mit denen die Haushalte beim Kochen 50 Prozent Energie sparen. Gogle ist eine der Firmen, die die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit im Rahmen des "Energizing Developement Projekts" unterstützt. Dadurch soll Zugang zu moderner Energietechnologie ermöglicht werden.
Dass die Öfen von Gogle darüber hinaus auch noch Vorteile vor allem für Frauen und Kinder haben, macht sie für Projektleiter Rainer Hakala doppelt nützlich:
"Wenn man weniger Feuerholz braucht, dann kann man sich auch Feuerholz leisten und muss nicht auf zum Beispiel Kuhdung zurückgreifen. Kuhdung hat natürlich viel größere Luftbelastung und negativere Auswirkungen auf die Gesundheit, und das sind meist Frauen und die Kinder, die dem ausgesetzt sind. Also diese Förderung des Marktes für effizientere Öfen hilft nicht nur der Umwelt, also die Abholzung zu verhindern, sondern hilft auch, die Gesundheit der Menschen zu fördern."
Die Firma Gogle hat 2013 mit ihren nachhaltigen Produkten wie den Öfen einen von den Vereinten Nationen mit herausgegebenen Innovationspreis gewonnen.
Neben den Öfen werden hier auch täglich 5000 Kilo Briketts hergestellt. Auch sie sind effizienter als die gängigen Briketts, die in Äthiopien angeboten werden, erklärt Addis Sime, technischer Direktor von Gogle:
Wir verkaufen unsere Brickets für 3 Birr, normale Brickets kosten 8 Birr. Unsere brennen über drei Stunden und sind praktisch rauchfrei. Die normalen Brickets sind einfach teurer und bringen auch noch Rauch mit sich.

Die Stadt platzt aus allen Nähten

In und um Addis Abeba sind in den letzten Jahren viele große moderne Industrieparks hochgezogen worden. Mit dabei Textilfabriken, die auch für Konzerne wie Tchibo oder die schwedischen Fast Fashion Kette H&M fertigen. Die so entstehenden Arbeitsplätze beschleunigen das Wachstum der Stadt. Textilbranchenberater Sebatian Siegele von der Sustainability Agency aus Berlin ist mehrmals im Jahr in der Stadt.
"Addis platzt aus allen Nähten. Das hängt auch mit den Factories zusammen, die hier überall gebaut werden. Die Arbeiter, die dort arbeiten, brauchen ja auch Wohnraum. Die Regierung versucht die Slumbildung zu verhindern und hat dann sogenannte Condemeniums gebaut , wo sich die Arbeiter dann einmieten können oder Eigentumswohnungen kaufen können. Das ist natürlich notwendig, weil sonst hat die Bekleidungsindustrie keine Zukunft. Wir haben nicht die Situation wie in China, wo es schon lange die Tradition der Wanderarbeiter gibt, wo die jungen Leute in die Städte gehen, dort vier, fünf Jahre in der Fabrik arbeiten und das Geld nach Hause schicken oder dort einen Friseursalon aufmachen. Das läuft hier ganz anders. Eigentlich ist hier die Perspektive, seine Familie herzuholen oder eine Familie zu gründen.
Äthiopien versucht, sich als Global Player im Textilbusiness zu behaupten. Pluspunkt des Vielvölkerstaats ist, dass hier die gesamte Wertschöpfungskette in einer Hand bleibt. So kann ein Produzent hier die Baumwolle anbauen, die er dann selbst erntet, weiter verarbeitet und schließlich als fertiges Produkt ins Ausland verschickt.
Dies birgt große Chancen, aber auch Herausforderungen, sagt Siegele.
"Erst mal ist das noch Theorie, weil es wird hier Baumwolle angebaut, die Qualität stimmt noch nicht, auch nicht im Wettbewerb zu anderen Ländern. Das ist das Potential und es ist nicht nur das Potential für Äthiopien, die ganze Wertschöpfungskette abzudecken, sondern da sie neu am Start sind, haben sie auch das Potential, die Nachfrage von nach umwelt- und sozialverträglicher Kleidung zu bedienen."
Auf der "African Fine Coffee Conference and Exhibition" in Addis Abeba in Äthiopien trafen sich im Februar 2017 regionale und internationale Kaffeeröster, Händler und Kaffeeproduzenten.
Auf der "African Fine Coffee Conference and Exhibition" in Addis Abeba in Äthiopien trafen sich im Februar 2017 regionale und internationale Kaffeeröster, Händler und Kaffeeproduzenten© Imago

Ein langer Weg: Vom Agrarland zum "grünen" Wirtschaftsstandort

Bis 2023 will das Noch-Agrarland Äthiopien einen global konkurrenzfähigen Industriesektor erschaffen haben, der eine entscheidende Rolle in der Wirtschaft und beim nachhaltigen Wachstum spielen soll, so das Ministerium für industrielle Entwicklung. Für die Textilbranche ist daher langfristig das Ziel , nachhaltig zu wachsen und alles abzudecken: vom Anbau der Baumwolle, über die Produktion der Ware bis hin zum Transport in den Hafen des Nachbarlandes Djibouti.
Addis Abeba hat große Strahlkraft auf ganz Äthiopien. 85 Prozent der heimischen Industrie liegt in und um Addis Abeba, die Finanz- und Kommerzinstitutionen befinden sich hier.
Sie alle brauchen Strom. Aber – und das unterscheidet viele Initiativen in Afrika von dieser hier – Äthiopien setzt auf grünen Strom aus Wasser- und Windkraft, Geothermik und Solaranlagen. Derzeit wird am Jahrhundertprojekt gebaut: Der Staudamm GERD. Gerd steht für "Great Ethiopian Renaissance Dam". Gestaut werden soll das Wasser am blauen Nil. Damit soll die laut der Vereinten Nationen auf 100 Millionen Menschen anwachsende Bevölkerung Äthiopiens mit Elektrizität versorgt werden.

Politisch ausgegrenzt?

Doch das rasante Wachstum Addis Abebas wird nicht von allen Menschen im Vielvölker-Staat Äthiopien begrüßt. Oromo zum Beispiel, die größte ethnische Gruppe im Land, protestiert gegen die Ausweitung der Stadt Addis Abeba. Sie befürchtet unter anderem, dass das Wachstum auf ihre Kosten geht, weil Addis Abeba in ihrem Bundesland Oromia liegt.
Mit jeder Ausweitung – so die Angst der Oromo – werden welche von ihnen von ihrem Land vertrieben. Immer wieder kam es daher im vergangenen Jahr zu Demonstrationen gegen die äthiopische Regierung. Diese hat seit Oktober 2016 den Ausnahmezustand verhängt. Heißt für die Menschen in Äthiopien unter anderem: Versammlungsverbot, eingeschränkter Internetzugang und Verhaftungen ohne richterliche Genehmigung.
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